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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

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Politik und Wirtschaft

Pflicht von über 700 Millionen gehen weit über das bisherige Höchstmaß
hinaus. Es ist diese Anspannung auf dem Geldmarkt, die sich auch in Zins¬
sätzen von 8 und 9 Prozent ausdrückte, das Widerspiel der gewaltigen Ent¬
wicklung, welche unsere wirtschaftlichen Verhältnisse in den letzten fünf Jahren
genommen haben. Bedenken wir, daß in der gleichen Zeit unsere Eisenerzeugung
um 50 Prozent, unsere Kohlenproduktivn um etwa 25 Prozent gestiegen ist,
so dürfen wir uns nicht wundern, wenn auch die Ansprüche an die Reichsbank
in annähernd gleichem Verhältnis gewachsen sind. Wir dürfen noch eine Genug¬
tuung darüber empfinden, daß trotz dieser schwierigen Verhältnisse und trotz
der politischen Störungen, welche zu der Einsperrung von Barvorräten führten,
der Goldbestand der Reichsbank sich noch immer auf annähernd 800 Millionen
Mark belaufen konnte, während er 1907 trotz eines viel höheren Diskontsatzes
auf 472 Millionen herabsank. Es ist dies ein untrüglicher Beweis dafür, daß
die Politik der Reichsbank, welche die Stärkung ihres Goldbestandes durch
andere Mittel als durch das Anziehen der Diskontschraube versucht hat, von
einem vollen Erfolg begleitet worden ist. Zu diesen Mitteln gehört neben der
Unterhaltung eines starken Bestandes von Goldwechseln auf das Ausland auch
die Ausgabe kleiner Noten. Zu dieser Ausgabe ist die Reichsbank seit dem
Jahre 1905 ermächtigt; aber erst in neuerer Zeit ist es gelungen, diese kleinen
Noten in erheblicheren Maße dem Verkehr zuzuführen. Nachdem nun auch
der Bankiertag in München sich zugunsten dieses Mittels ausgesprochen hat,
wird dasselbe anscheinend als eine Art Allheilmittel angesehen. Daher auch
das fast einmütige Einverständnis in der Budgetkommission, die bis¬
herige Ausgabegrenze von 300 Millionen zu beseitigen. Es darf aber
nicht übersehen werden, daß die Ausgabe kleiner Noten eine sehr gefähr¬
liche Kehrseite hat. Indem sie das bare Gold aus dem Verkehr drängt,
entblößt sie denselben von der Goldreserve, die in den zirkulierenden Gold¬
münzen liegt. Die Goldbestände der Reichsbank werden aber um deswillen
nicht etwa soviel höher sein, als kleine Noten im Umlauf sind, sondern es wird
sich der bekannte Vorgang wiederholen, daß das vollwichtige Geld nach dem
Ausland abströmt und die Noten als ein Kreditgeld im Lande bleiben. Wir
haben daher schon die Stellungnahme des Bankiertages zu der Frage nicht
gebilligt, wir halten es aber für ein geradezu gefährliches Experiment, jede
Grenze für die Aufgabe kleiner Noten einfach aufzuheben.




Auf dem Gebiete des Versicherungswesens vollziehen sich gegenwärtig Vor¬
gänge, welche die größte Aufmerksamkeit beanspruchen. In das deutsche Ver¬
sicherungswesen hat schon vor einiger Zeit die Gründung öffentlich rechtlicher
Lebensversicherungsanstalten, welche von den Landschaften unter Führung der
ostpreußischen ausging, einen Keil getrieben. Die Landschaften nahmen die
Lebensversicherung zunächst unter dem Gesichtspunkte auf, mittels derselben die


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Politik und Wirtschaft

Pflicht von über 700 Millionen gehen weit über das bisherige Höchstmaß
hinaus. Es ist diese Anspannung auf dem Geldmarkt, die sich auch in Zins¬
sätzen von 8 und 9 Prozent ausdrückte, das Widerspiel der gewaltigen Ent¬
wicklung, welche unsere wirtschaftlichen Verhältnisse in den letzten fünf Jahren
genommen haben. Bedenken wir, daß in der gleichen Zeit unsere Eisenerzeugung
um 50 Prozent, unsere Kohlenproduktivn um etwa 25 Prozent gestiegen ist,
so dürfen wir uns nicht wundern, wenn auch die Ansprüche an die Reichsbank
in annähernd gleichem Verhältnis gewachsen sind. Wir dürfen noch eine Genug¬
tuung darüber empfinden, daß trotz dieser schwierigen Verhältnisse und trotz
der politischen Störungen, welche zu der Einsperrung von Barvorräten führten,
der Goldbestand der Reichsbank sich noch immer auf annähernd 800 Millionen
Mark belaufen konnte, während er 1907 trotz eines viel höheren Diskontsatzes
auf 472 Millionen herabsank. Es ist dies ein untrüglicher Beweis dafür, daß
die Politik der Reichsbank, welche die Stärkung ihres Goldbestandes durch
andere Mittel als durch das Anziehen der Diskontschraube versucht hat, von
einem vollen Erfolg begleitet worden ist. Zu diesen Mitteln gehört neben der
Unterhaltung eines starken Bestandes von Goldwechseln auf das Ausland auch
die Ausgabe kleiner Noten. Zu dieser Ausgabe ist die Reichsbank seit dem
Jahre 1905 ermächtigt; aber erst in neuerer Zeit ist es gelungen, diese kleinen
Noten in erheblicheren Maße dem Verkehr zuzuführen. Nachdem nun auch
der Bankiertag in München sich zugunsten dieses Mittels ausgesprochen hat,
wird dasselbe anscheinend als eine Art Allheilmittel angesehen. Daher auch
das fast einmütige Einverständnis in der Budgetkommission, die bis¬
herige Ausgabegrenze von 300 Millionen zu beseitigen. Es darf aber
nicht übersehen werden, daß die Ausgabe kleiner Noten eine sehr gefähr¬
liche Kehrseite hat. Indem sie das bare Gold aus dem Verkehr drängt,
entblößt sie denselben von der Goldreserve, die in den zirkulierenden Gold¬
münzen liegt. Die Goldbestände der Reichsbank werden aber um deswillen
nicht etwa soviel höher sein, als kleine Noten im Umlauf sind, sondern es wird
sich der bekannte Vorgang wiederholen, daß das vollwichtige Geld nach dem
Ausland abströmt und die Noten als ein Kreditgeld im Lande bleiben. Wir
haben daher schon die Stellungnahme des Bankiertages zu der Frage nicht
gebilligt, wir halten es aber für ein geradezu gefährliches Experiment, jede
Grenze für die Aufgabe kleiner Noten einfach aufzuheben.




Auf dem Gebiete des Versicherungswesens vollziehen sich gegenwärtig Vor¬
gänge, welche die größte Aufmerksamkeit beanspruchen. In das deutsche Ver¬
sicherungswesen hat schon vor einiger Zeit die Gründung öffentlich rechtlicher
Lebensversicherungsanstalten, welche von den Landschaften unter Führung der
ostpreußischen ausging, einen Keil getrieben. Die Landschaften nahmen die
Lebensversicherung zunächst unter dem Gesichtspunkte auf, mittels derselben die


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[0199] Politik und Wirtschaft Pflicht von über 700 Millionen gehen weit über das bisherige Höchstmaß hinaus. Es ist diese Anspannung auf dem Geldmarkt, die sich auch in Zins¬ sätzen von 8 und 9 Prozent ausdrückte, das Widerspiel der gewaltigen Ent¬ wicklung, welche unsere wirtschaftlichen Verhältnisse in den letzten fünf Jahren genommen haben. Bedenken wir, daß in der gleichen Zeit unsere Eisenerzeugung um 50 Prozent, unsere Kohlenproduktivn um etwa 25 Prozent gestiegen ist, so dürfen wir uns nicht wundern, wenn auch die Ansprüche an die Reichsbank in annähernd gleichem Verhältnis gewachsen sind. Wir dürfen noch eine Genug¬ tuung darüber empfinden, daß trotz dieser schwierigen Verhältnisse und trotz der politischen Störungen, welche zu der Einsperrung von Barvorräten führten, der Goldbestand der Reichsbank sich noch immer auf annähernd 800 Millionen Mark belaufen konnte, während er 1907 trotz eines viel höheren Diskontsatzes auf 472 Millionen herabsank. Es ist dies ein untrüglicher Beweis dafür, daß die Politik der Reichsbank, welche die Stärkung ihres Goldbestandes durch andere Mittel als durch das Anziehen der Diskontschraube versucht hat, von einem vollen Erfolg begleitet worden ist. Zu diesen Mitteln gehört neben der Unterhaltung eines starken Bestandes von Goldwechseln auf das Ausland auch die Ausgabe kleiner Noten. Zu dieser Ausgabe ist die Reichsbank seit dem Jahre 1905 ermächtigt; aber erst in neuerer Zeit ist es gelungen, diese kleinen Noten in erheblicheren Maße dem Verkehr zuzuführen. Nachdem nun auch der Bankiertag in München sich zugunsten dieses Mittels ausgesprochen hat, wird dasselbe anscheinend als eine Art Allheilmittel angesehen. Daher auch das fast einmütige Einverständnis in der Budgetkommission, die bis¬ herige Ausgabegrenze von 300 Millionen zu beseitigen. Es darf aber nicht übersehen werden, daß die Ausgabe kleiner Noten eine sehr gefähr¬ liche Kehrseite hat. Indem sie das bare Gold aus dem Verkehr drängt, entblößt sie denselben von der Goldreserve, die in den zirkulierenden Gold¬ münzen liegt. Die Goldbestände der Reichsbank werden aber um deswillen nicht etwa soviel höher sein, als kleine Noten im Umlauf sind, sondern es wird sich der bekannte Vorgang wiederholen, daß das vollwichtige Geld nach dem Ausland abströmt und die Noten als ein Kreditgeld im Lande bleiben. Wir haben daher schon die Stellungnahme des Bankiertages zu der Frage nicht gebilligt, wir halten es aber für ein geradezu gefährliches Experiment, jede Grenze für die Aufgabe kleiner Noten einfach aufzuheben. Auf dem Gebiete des Versicherungswesens vollziehen sich gegenwärtig Vor¬ gänge, welche die größte Aufmerksamkeit beanspruchen. In das deutsche Ver¬ sicherungswesen hat schon vor einiger Zeit die Gründung öffentlich rechtlicher Lebensversicherungsanstalten, welche von den Landschaften unter Führung der ostpreußischen ausging, einen Keil getrieben. Die Landschaften nahmen die Lebensversicherung zunächst unter dem Gesichtspunkte auf, mittels derselben die 13*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/199>, abgerufen am 04.07.2024.