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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

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Briefe aus Trebcldorf

Fesseln binden könnten an das Kleine und Allerkleinste, und zu guter Letzt bin
ich kein Dichter, sondern ich sehe mit den Augen des Durchschnittsmenschen,
und ich rieche mit der Nase des normalen Erdenbürgers.

Komme ich von einem längeren Spaziergange heim, so dringt mir schon
eine Viertelmeile vor dem Tor der für Trebeldorf charakteristische Geruch von
glimmenden und ausgebrannten Torf in die Nase. Er lagert über den Dächern,
er schwimmt durch alle Häuser, er durchströmt die Kleider und Haare der
Menschen. -- Einen Trebeldorfer kann man buchstäblich riechen.

Du wirst es bestätigt finden, wenn Du kommst. -- Die Fahrt hierher ist
ein wenig umständlich. Ohne Postkutsche ist immer noch die günstigste Ver¬
bindung nicht möglich. -- Von der letzten Station ab zwei bis drei Stunden
hierher. -- Und dann wirst Du alles bewundern können. Das unheimliche
Rattern und Ächzen und Quietschen des Postwagens wird Dir genau die Sekunde
anzeigen, in der er in das Tor einrollt.

Die Sehnsucht nach Bergen muß in der menschlichen Natur verborgen
schlummern. Auch die Trebeldorfer haben sie offenbar im geheimsten Winkel
ihres Herzens verspürt. Drum haben sie aus eigener Kraft bei der Anlage
ihrer Straßendamme das nachgeholt und ersetzt, was ihnen die Natur versagt
hat. Aber auch das hat sein Gutes. Wenn der Himmel seine Wässerlein
rinnen läßt, so bilden sich in den Tälern der Dämme weit ausgedehnte Teiche
und Seen, und dann ist Jubeltag für die lieben Entlein und Gänslein, die
kreuz und quer darin herumschwimmen und ihr lustigstes Geschnatter
erheben.

Vergiß auch nicht Deine dickbesohlten Jagdstiefel mitzubringen, denn auch
auf den Seitenleisten unmittelbar an den Häusern entlang wandelt man nicht
auf gebügelten Ebenen. Zudem könnte es Schnee geben, und gefegt wird hier
grundsätzlich nicht.

Auch Deine Laterne vergiß nicht. Wir werden sie nicht entbehren können,
da der Kalender für die Weihnachtszeit keinen Mondschein verheißt.

Du siehst, lieber Cunz, ich bin ganz offen und beschönige nichts, aber ich
übertreibe auch nichts. Es lassen sich eben zum Preise dieser Stadt keine Jubel-
Hymnen singen. -- Im Geiste sehe ich"bei dieser nüchternen Schilderung, die
Dir getreulich das Stadtbild wiederspiegelt, die mir so wohl bekannte Unmuts¬
falte auf Deiner Stirn.

Hätte ich klüger getan, mit meiner Einladung bis zum Sommer zu warten?
Ich weiß es nicht. Wie mag es um die Zeit hier aussehen, und wo mag
man die warmen Abende zubringen? -- Die schmucken Vorgärten, von denen
meine Phantasie mir vorgegaukelt hatte, gibt es hier nirgends. Überhaupt ist
kein Garten im ganzen Ort außer dem des alten Pastors Hacker.

Komm also zu Weihnachten, lieber Cunzl Tue das mir zu Liebe. In
meinen vier Wänden ist es gemütlich. Und "wenn in unserem kleinen Zimmer
die Lampe wieder traulich brennt", und wir sitzen beieinander behaglich wie in


Briefe aus Trebcldorf

Fesseln binden könnten an das Kleine und Allerkleinste, und zu guter Letzt bin
ich kein Dichter, sondern ich sehe mit den Augen des Durchschnittsmenschen,
und ich rieche mit der Nase des normalen Erdenbürgers.

Komme ich von einem längeren Spaziergange heim, so dringt mir schon
eine Viertelmeile vor dem Tor der für Trebeldorf charakteristische Geruch von
glimmenden und ausgebrannten Torf in die Nase. Er lagert über den Dächern,
er schwimmt durch alle Häuser, er durchströmt die Kleider und Haare der
Menschen. — Einen Trebeldorfer kann man buchstäblich riechen.

Du wirst es bestätigt finden, wenn Du kommst. — Die Fahrt hierher ist
ein wenig umständlich. Ohne Postkutsche ist immer noch die günstigste Ver¬
bindung nicht möglich. — Von der letzten Station ab zwei bis drei Stunden
hierher. — Und dann wirst Du alles bewundern können. Das unheimliche
Rattern und Ächzen und Quietschen des Postwagens wird Dir genau die Sekunde
anzeigen, in der er in das Tor einrollt.

Die Sehnsucht nach Bergen muß in der menschlichen Natur verborgen
schlummern. Auch die Trebeldorfer haben sie offenbar im geheimsten Winkel
ihres Herzens verspürt. Drum haben sie aus eigener Kraft bei der Anlage
ihrer Straßendamme das nachgeholt und ersetzt, was ihnen die Natur versagt
hat. Aber auch das hat sein Gutes. Wenn der Himmel seine Wässerlein
rinnen läßt, so bilden sich in den Tälern der Dämme weit ausgedehnte Teiche
und Seen, und dann ist Jubeltag für die lieben Entlein und Gänslein, die
kreuz und quer darin herumschwimmen und ihr lustigstes Geschnatter
erheben.

Vergiß auch nicht Deine dickbesohlten Jagdstiefel mitzubringen, denn auch
auf den Seitenleisten unmittelbar an den Häusern entlang wandelt man nicht
auf gebügelten Ebenen. Zudem könnte es Schnee geben, und gefegt wird hier
grundsätzlich nicht.

Auch Deine Laterne vergiß nicht. Wir werden sie nicht entbehren können,
da der Kalender für die Weihnachtszeit keinen Mondschein verheißt.

Du siehst, lieber Cunz, ich bin ganz offen und beschönige nichts, aber ich
übertreibe auch nichts. Es lassen sich eben zum Preise dieser Stadt keine Jubel-
Hymnen singen. — Im Geiste sehe ich»bei dieser nüchternen Schilderung, die
Dir getreulich das Stadtbild wiederspiegelt, die mir so wohl bekannte Unmuts¬
falte auf Deiner Stirn.

Hätte ich klüger getan, mit meiner Einladung bis zum Sommer zu warten?
Ich weiß es nicht. Wie mag es um die Zeit hier aussehen, und wo mag
man die warmen Abende zubringen? — Die schmucken Vorgärten, von denen
meine Phantasie mir vorgegaukelt hatte, gibt es hier nirgends. Überhaupt ist
kein Garten im ganzen Ort außer dem des alten Pastors Hacker.

Komm also zu Weihnachten, lieber Cunzl Tue das mir zu Liebe. In
meinen vier Wänden ist es gemütlich. Und „wenn in unserem kleinen Zimmer
die Lampe wieder traulich brennt", und wir sitzen beieinander behaglich wie in


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[0191] Briefe aus Trebcldorf Fesseln binden könnten an das Kleine und Allerkleinste, und zu guter Letzt bin ich kein Dichter, sondern ich sehe mit den Augen des Durchschnittsmenschen, und ich rieche mit der Nase des normalen Erdenbürgers. Komme ich von einem längeren Spaziergange heim, so dringt mir schon eine Viertelmeile vor dem Tor der für Trebeldorf charakteristische Geruch von glimmenden und ausgebrannten Torf in die Nase. Er lagert über den Dächern, er schwimmt durch alle Häuser, er durchströmt die Kleider und Haare der Menschen. — Einen Trebeldorfer kann man buchstäblich riechen. Du wirst es bestätigt finden, wenn Du kommst. — Die Fahrt hierher ist ein wenig umständlich. Ohne Postkutsche ist immer noch die günstigste Ver¬ bindung nicht möglich. — Von der letzten Station ab zwei bis drei Stunden hierher. — Und dann wirst Du alles bewundern können. Das unheimliche Rattern und Ächzen und Quietschen des Postwagens wird Dir genau die Sekunde anzeigen, in der er in das Tor einrollt. Die Sehnsucht nach Bergen muß in der menschlichen Natur verborgen schlummern. Auch die Trebeldorfer haben sie offenbar im geheimsten Winkel ihres Herzens verspürt. Drum haben sie aus eigener Kraft bei der Anlage ihrer Straßendamme das nachgeholt und ersetzt, was ihnen die Natur versagt hat. Aber auch das hat sein Gutes. Wenn der Himmel seine Wässerlein rinnen läßt, so bilden sich in den Tälern der Dämme weit ausgedehnte Teiche und Seen, und dann ist Jubeltag für die lieben Entlein und Gänslein, die kreuz und quer darin herumschwimmen und ihr lustigstes Geschnatter erheben. Vergiß auch nicht Deine dickbesohlten Jagdstiefel mitzubringen, denn auch auf den Seitenleisten unmittelbar an den Häusern entlang wandelt man nicht auf gebügelten Ebenen. Zudem könnte es Schnee geben, und gefegt wird hier grundsätzlich nicht. Auch Deine Laterne vergiß nicht. Wir werden sie nicht entbehren können, da der Kalender für die Weihnachtszeit keinen Mondschein verheißt. Du siehst, lieber Cunz, ich bin ganz offen und beschönige nichts, aber ich übertreibe auch nichts. Es lassen sich eben zum Preise dieser Stadt keine Jubel- Hymnen singen. — Im Geiste sehe ich»bei dieser nüchternen Schilderung, die Dir getreulich das Stadtbild wiederspiegelt, die mir so wohl bekannte Unmuts¬ falte auf Deiner Stirn. Hätte ich klüger getan, mit meiner Einladung bis zum Sommer zu warten? Ich weiß es nicht. Wie mag es um die Zeit hier aussehen, und wo mag man die warmen Abende zubringen? — Die schmucken Vorgärten, von denen meine Phantasie mir vorgegaukelt hatte, gibt es hier nirgends. Überhaupt ist kein Garten im ganzen Ort außer dem des alten Pastors Hacker. Komm also zu Weihnachten, lieber Cunzl Tue das mir zu Liebe. In meinen vier Wänden ist es gemütlich. Und „wenn in unserem kleinen Zimmer die Lampe wieder traulich brennt", und wir sitzen beieinander behaglich wie in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/191>, abgerufen am 22.07.2024.