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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

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Briefe aus Trebeldorf

Sternbein draußen hat sich immer mit einem blanken Taschentuch ausgerüstet,
wenn er wußte, ich würde reden.

Wenn ich gewollt hätte, ich hätte die ganze Bande anzetteln lönnen zu
Heller Empörung gegen Kaiser und Landrat, und sie wären mit mir gelaufen
quer durch alle Torfmoore und wären darin ersoffen."

Er trank erst mal.

"Sie begreifen," fuhr er fort, "daß so einem Manne die Annemarie nichts
sein konnte. Fleißig war sie. Das ist gewiß. Den ganzen Tag schwirrte sie
in der Küche herum. Sie schabte und scheuerte und putzte vom Morgen bis
zum Abend. Ihre Salzfässer und Senfnäpfe waren innen so blank wie außen.
Sie war die sauberste Frau in Trebeldorf.

Was hatte ich davon? Es fehlte der geistige Bindfaden zwischen uns,
und so gewöhnte ich mich daran Abend für Abend in das Hotel zu wandern.
Auf diese Art hat mich der Genius von Trebeldorf, der verfluchte, satanische
Genius, der Saufteufel, der hat mich nach und nach in seine Krallen gezwängt
und zuletzt mich ausgeschüttet in denselben Strom, in dem sie alle schwimmen.

Hüten Sie sich, lieber Korrektor, hüten Sie sich! -- Aber Sie trinken ja
nicht? -- Prosit!"

Wir stießen an. Er war bei der vierten Flasche. Ich hatte meine Mühe
mit der zweiten. Aber hier werd ich's noch lernen.

"Sehen Sie," begann er wieder und strich mit den mageren Gichtfingeru
durch den elegisch herabhängenden Schnauzbart, "das mit der Annemarie, das
war ein Elend. Nach drei Jahren wurde sie krank. Sie bekam die knall¬
roten Flecken im Gesicht, und nach abermals zwei Jahren habe ich sie begraben
müssen. -- Arme Annemarie! Als ich sie nicht mehr hatte, da merkte ich erst,
daß sie mir doch etwas gewesen war.---Na, prost! , Trinken wir mal!"

Dann erzählte er noch von seiner stolzen, schönen, klugen Elfe -- Musch,
die sein zweites Weib geworden war. Aber es ging stockend. Der Faden riß
ihm des öfteren entzwei. Von Zeit zu Zeit wiederholte er dabei wie im Selbst¬
gespräch verträumt vor sich hinstarrend: "Und Du möchtest so gerne feine,
glatte, gelbe Seide, meine Elfe -- Musch!" --

Es war, als hätte er wehmütige Erinnerungen zu verschweigen und suche
sorgsam das wenige heraus, was von seinem Leben mit ihr verraten werden dürfe.

Schließlich versiegte der Strom seiner langsam gemächlicher fließenden
Beredsamkeit, und als zuletzt das Plapperwerk ganz stille stand, nahm ich
Gelegenheit, mich zu empfehlen.

Heute erst am Gehaltstage habe ich unseren Bürgermeister wieder gesehen,
und in welchem Zustande!

Er hatte, wie er zu tun pflegt, sein Gehalt selber vom Rathause geholt
und war nun mit vollen Taschen im Hotel gestrandet. Dort fand ich ihn, als
ich zum Mittagessen eintrat. Er saß in einem Kreise von acht bis zehn Männern
im alten Ecksofa am runden Tisch mit glasigen Augen und lallender Zunge.


Briefe aus Trebeldorf

Sternbein draußen hat sich immer mit einem blanken Taschentuch ausgerüstet,
wenn er wußte, ich würde reden.

Wenn ich gewollt hätte, ich hätte die ganze Bande anzetteln lönnen zu
Heller Empörung gegen Kaiser und Landrat, und sie wären mit mir gelaufen
quer durch alle Torfmoore und wären darin ersoffen."

Er trank erst mal.

„Sie begreifen," fuhr er fort, „daß so einem Manne die Annemarie nichts
sein konnte. Fleißig war sie. Das ist gewiß. Den ganzen Tag schwirrte sie
in der Küche herum. Sie schabte und scheuerte und putzte vom Morgen bis
zum Abend. Ihre Salzfässer und Senfnäpfe waren innen so blank wie außen.
Sie war die sauberste Frau in Trebeldorf.

Was hatte ich davon? Es fehlte der geistige Bindfaden zwischen uns,
und so gewöhnte ich mich daran Abend für Abend in das Hotel zu wandern.
Auf diese Art hat mich der Genius von Trebeldorf, der verfluchte, satanische
Genius, der Saufteufel, der hat mich nach und nach in seine Krallen gezwängt
und zuletzt mich ausgeschüttet in denselben Strom, in dem sie alle schwimmen.

Hüten Sie sich, lieber Korrektor, hüten Sie sich! — Aber Sie trinken ja
nicht? — Prosit!"

Wir stießen an. Er war bei der vierten Flasche. Ich hatte meine Mühe
mit der zweiten. Aber hier werd ich's noch lernen.

„Sehen Sie," begann er wieder und strich mit den mageren Gichtfingeru
durch den elegisch herabhängenden Schnauzbart, „das mit der Annemarie, das
war ein Elend. Nach drei Jahren wurde sie krank. Sie bekam die knall¬
roten Flecken im Gesicht, und nach abermals zwei Jahren habe ich sie begraben
müssen. — Arme Annemarie! Als ich sie nicht mehr hatte, da merkte ich erst,
daß sie mir doch etwas gewesen war.---Na, prost! , Trinken wir mal!"

Dann erzählte er noch von seiner stolzen, schönen, klugen Elfe — Musch,
die sein zweites Weib geworden war. Aber es ging stockend. Der Faden riß
ihm des öfteren entzwei. Von Zeit zu Zeit wiederholte er dabei wie im Selbst¬
gespräch verträumt vor sich hinstarrend: „Und Du möchtest so gerne feine,
glatte, gelbe Seide, meine Elfe — Musch!" —

Es war, als hätte er wehmütige Erinnerungen zu verschweigen und suche
sorgsam das wenige heraus, was von seinem Leben mit ihr verraten werden dürfe.

Schließlich versiegte der Strom seiner langsam gemächlicher fließenden
Beredsamkeit, und als zuletzt das Plapperwerk ganz stille stand, nahm ich
Gelegenheit, mich zu empfehlen.

Heute erst am Gehaltstage habe ich unseren Bürgermeister wieder gesehen,
und in welchem Zustande!

Er hatte, wie er zu tun pflegt, sein Gehalt selber vom Rathause geholt
und war nun mit vollen Taschen im Hotel gestrandet. Dort fand ich ihn, als
ich zum Mittagessen eintrat. Er saß in einem Kreise von acht bis zehn Männern
im alten Ecksofa am runden Tisch mit glasigen Augen und lallender Zunge.


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[0188] Briefe aus Trebeldorf Sternbein draußen hat sich immer mit einem blanken Taschentuch ausgerüstet, wenn er wußte, ich würde reden. Wenn ich gewollt hätte, ich hätte die ganze Bande anzetteln lönnen zu Heller Empörung gegen Kaiser und Landrat, und sie wären mit mir gelaufen quer durch alle Torfmoore und wären darin ersoffen." Er trank erst mal. „Sie begreifen," fuhr er fort, „daß so einem Manne die Annemarie nichts sein konnte. Fleißig war sie. Das ist gewiß. Den ganzen Tag schwirrte sie in der Küche herum. Sie schabte und scheuerte und putzte vom Morgen bis zum Abend. Ihre Salzfässer und Senfnäpfe waren innen so blank wie außen. Sie war die sauberste Frau in Trebeldorf. Was hatte ich davon? Es fehlte der geistige Bindfaden zwischen uns, und so gewöhnte ich mich daran Abend für Abend in das Hotel zu wandern. Auf diese Art hat mich der Genius von Trebeldorf, der verfluchte, satanische Genius, der Saufteufel, der hat mich nach und nach in seine Krallen gezwängt und zuletzt mich ausgeschüttet in denselben Strom, in dem sie alle schwimmen. Hüten Sie sich, lieber Korrektor, hüten Sie sich! — Aber Sie trinken ja nicht? — Prosit!" Wir stießen an. Er war bei der vierten Flasche. Ich hatte meine Mühe mit der zweiten. Aber hier werd ich's noch lernen. „Sehen Sie," begann er wieder und strich mit den mageren Gichtfingeru durch den elegisch herabhängenden Schnauzbart, „das mit der Annemarie, das war ein Elend. Nach drei Jahren wurde sie krank. Sie bekam die knall¬ roten Flecken im Gesicht, und nach abermals zwei Jahren habe ich sie begraben müssen. — Arme Annemarie! Als ich sie nicht mehr hatte, da merkte ich erst, daß sie mir doch etwas gewesen war.---Na, prost! , Trinken wir mal!" Dann erzählte er noch von seiner stolzen, schönen, klugen Elfe — Musch, die sein zweites Weib geworden war. Aber es ging stockend. Der Faden riß ihm des öfteren entzwei. Von Zeit zu Zeit wiederholte er dabei wie im Selbst¬ gespräch verträumt vor sich hinstarrend: „Und Du möchtest so gerne feine, glatte, gelbe Seide, meine Elfe — Musch!" — Es war, als hätte er wehmütige Erinnerungen zu verschweigen und suche sorgsam das wenige heraus, was von seinem Leben mit ihr verraten werden dürfe. Schließlich versiegte der Strom seiner langsam gemächlicher fließenden Beredsamkeit, und als zuletzt das Plapperwerk ganz stille stand, nahm ich Gelegenheit, mich zu empfehlen. Heute erst am Gehaltstage habe ich unseren Bürgermeister wieder gesehen, und in welchem Zustande! Er hatte, wie er zu tun pflegt, sein Gehalt selber vom Rathause geholt und war nun mit vollen Taschen im Hotel gestrandet. Dort fand ich ihn, als ich zum Mittagessen eintrat. Er saß in einem Kreise von acht bis zehn Männern im alten Ecksofa am runden Tisch mit glasigen Augen und lallender Zunge.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/188>, abgerufen am 22.07.2024.