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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

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Deutschland und die Erschließung Chinas

finanziell unabhängig machen werden. Die großen Ausgaben, die China für die
Reform seines Unterrichtswesens, seiner Verwaltung und Justiz, für eine funda¬
mentale Umgestaltung seines völlig verworrenen Münzwesens, insbesondere aber
für den dringend nötigen Ausbau seines Verkehrswesens in Zukunft bevorstehen,
kann es unter keinen Umständen aus den regelmäßigen Einnahmen, auch nicht
aus im eigenen Lande aufgenommenen Anleihen, sondern allein mit Hilfe großer
ausländischer Anleihen decken. Bei den reichen natürlichen Hilfsmitteln Chinas liegt
darin an und für sich keine Gefahr, sofern nur für eine vernünftige, die Entwicklung
Chinas fördernde Verwendung Garantien geboten werden. Da es nicht genügt,
daß diese Garantien auf dein Papier stehen, China aber im übrigen mit dem
geliehenen Kapital macht, was ihm beliebt, so wird sich eine Kontrolle über die
Verwendung der Anleihen nicht umgehen lassen. Angeblich ist die von China
beabsichtigte große Anleihe beim Sechs - Mächte - Syndikat wegen der von ihm
in bezug auf die Kontrolle über die Verwendung gestellten Forderungen ge¬
scheitert. Es ist möglich, daß das zutrifft, wenngleich nicht verkannt werden
darf, daß auch noch andere gewichtige Gründe vorlagen, die zu dem Abbruch
der Verhandlungen mit dem Syndikate und zum Abschluß einer kleineren An¬
leihe mit einer englischen Finanzgruppe führten. Es ist die Befürchtung aus¬
gesprochen worden, daß China, nachdem die große Anleihe nicht zustande kam,
nun versuche" werde, eine Reihe kleinerer Anleihen unterzubringen. Die erste
dieser kleinen Anleihen, die sogenannte Crisp-Anleihe, sei in England aufgenommen;
es bestehe die Gefahr, China werde auch seine weiteren kleinen Anleihen in
England oder Amerika aufnehmen, so daß schließlich diese beioen Staaten die
chinesischen Anleihen monopolisieren würden. Ob diese Kombination zutrifft,
mag dahingestellt bleiben, nur das muß betont werden, daß sie, falls sie sich verwirk¬
lichen sollte, unseren Interessen ganz entschieden widersprechen würde. Jede in
England und Amerika aufgenommene Anleihe stärkt den politischen und wirt¬
schaftlichen Einfluß dieser Länder und beeinträchtigt unsere Stellung in China.
Wir haben daher das lebhafteste Interesse daran, daß Deutschland an den
chinesischen Anleihen nach Möglichkeit beteiligt werde, als eines der Mittel, die
geeignet sind, unsere wirtschaftlichen Beziehungen zum Reich der Mitte zu festigen
und auszudehnen. Schon wiederholt sind englische, amerikanische, deutsche und
französische Bankgruppen als Verbündete aufgetreten, sobald es sich um die
Befriedigung der finanziellen Bedürfnisse Chinas handelte. Ein derartiges
Vier-Mächte-Syndikat entspricht den Verhältnissen in weit höherem Grade als
ein Sechs-Mächte-Syndikat, in dem außer den eben genannten auch noch
russische und japanische Finanzgruppen vertreten sind. Rußland und Japan
verfolgen in China, wie eingangs erwähnt, politische Sonderinteressen, die mit
den Interessen Chinas unvereinbar sind, und die Annahme liegt nahe, daß
diese beiden Staaten -- die übrigens wahrscheinlich die ganze Summe, die sie
bereit sind, China zu leihen, selbst erst durch Ausländsanleihen aufbringen
müßten -- eine Beteiligung an den chinesischen Anleihen nur deshalb erstreben,


Deutschland und die Erschließung Chinas

finanziell unabhängig machen werden. Die großen Ausgaben, die China für die
Reform seines Unterrichtswesens, seiner Verwaltung und Justiz, für eine funda¬
mentale Umgestaltung seines völlig verworrenen Münzwesens, insbesondere aber
für den dringend nötigen Ausbau seines Verkehrswesens in Zukunft bevorstehen,
kann es unter keinen Umständen aus den regelmäßigen Einnahmen, auch nicht
aus im eigenen Lande aufgenommenen Anleihen, sondern allein mit Hilfe großer
ausländischer Anleihen decken. Bei den reichen natürlichen Hilfsmitteln Chinas liegt
darin an und für sich keine Gefahr, sofern nur für eine vernünftige, die Entwicklung
Chinas fördernde Verwendung Garantien geboten werden. Da es nicht genügt,
daß diese Garantien auf dein Papier stehen, China aber im übrigen mit dem
geliehenen Kapital macht, was ihm beliebt, so wird sich eine Kontrolle über die
Verwendung der Anleihen nicht umgehen lassen. Angeblich ist die von China
beabsichtigte große Anleihe beim Sechs - Mächte - Syndikat wegen der von ihm
in bezug auf die Kontrolle über die Verwendung gestellten Forderungen ge¬
scheitert. Es ist möglich, daß das zutrifft, wenngleich nicht verkannt werden
darf, daß auch noch andere gewichtige Gründe vorlagen, die zu dem Abbruch
der Verhandlungen mit dem Syndikate und zum Abschluß einer kleineren An¬
leihe mit einer englischen Finanzgruppe führten. Es ist die Befürchtung aus¬
gesprochen worden, daß China, nachdem die große Anleihe nicht zustande kam,
nun versuche« werde, eine Reihe kleinerer Anleihen unterzubringen. Die erste
dieser kleinen Anleihen, die sogenannte Crisp-Anleihe, sei in England aufgenommen;
es bestehe die Gefahr, China werde auch seine weiteren kleinen Anleihen in
England oder Amerika aufnehmen, so daß schließlich diese beioen Staaten die
chinesischen Anleihen monopolisieren würden. Ob diese Kombination zutrifft,
mag dahingestellt bleiben, nur das muß betont werden, daß sie, falls sie sich verwirk¬
lichen sollte, unseren Interessen ganz entschieden widersprechen würde. Jede in
England und Amerika aufgenommene Anleihe stärkt den politischen und wirt¬
schaftlichen Einfluß dieser Länder und beeinträchtigt unsere Stellung in China.
Wir haben daher das lebhafteste Interesse daran, daß Deutschland an den
chinesischen Anleihen nach Möglichkeit beteiligt werde, als eines der Mittel, die
geeignet sind, unsere wirtschaftlichen Beziehungen zum Reich der Mitte zu festigen
und auszudehnen. Schon wiederholt sind englische, amerikanische, deutsche und
französische Bankgruppen als Verbündete aufgetreten, sobald es sich um die
Befriedigung der finanziellen Bedürfnisse Chinas handelte. Ein derartiges
Vier-Mächte-Syndikat entspricht den Verhältnissen in weit höherem Grade als
ein Sechs-Mächte-Syndikat, in dem außer den eben genannten auch noch
russische und japanische Finanzgruppen vertreten sind. Rußland und Japan
verfolgen in China, wie eingangs erwähnt, politische Sonderinteressen, die mit
den Interessen Chinas unvereinbar sind, und die Annahme liegt nahe, daß
diese beiden Staaten — die übrigens wahrscheinlich die ganze Summe, die sie
bereit sind, China zu leihen, selbst erst durch Ausländsanleihen aufbringen
müßten — eine Beteiligung an den chinesischen Anleihen nur deshalb erstreben,


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[0178] Deutschland und die Erschließung Chinas finanziell unabhängig machen werden. Die großen Ausgaben, die China für die Reform seines Unterrichtswesens, seiner Verwaltung und Justiz, für eine funda¬ mentale Umgestaltung seines völlig verworrenen Münzwesens, insbesondere aber für den dringend nötigen Ausbau seines Verkehrswesens in Zukunft bevorstehen, kann es unter keinen Umständen aus den regelmäßigen Einnahmen, auch nicht aus im eigenen Lande aufgenommenen Anleihen, sondern allein mit Hilfe großer ausländischer Anleihen decken. Bei den reichen natürlichen Hilfsmitteln Chinas liegt darin an und für sich keine Gefahr, sofern nur für eine vernünftige, die Entwicklung Chinas fördernde Verwendung Garantien geboten werden. Da es nicht genügt, daß diese Garantien auf dein Papier stehen, China aber im übrigen mit dem geliehenen Kapital macht, was ihm beliebt, so wird sich eine Kontrolle über die Verwendung der Anleihen nicht umgehen lassen. Angeblich ist die von China beabsichtigte große Anleihe beim Sechs - Mächte - Syndikat wegen der von ihm in bezug auf die Kontrolle über die Verwendung gestellten Forderungen ge¬ scheitert. Es ist möglich, daß das zutrifft, wenngleich nicht verkannt werden darf, daß auch noch andere gewichtige Gründe vorlagen, die zu dem Abbruch der Verhandlungen mit dem Syndikate und zum Abschluß einer kleineren An¬ leihe mit einer englischen Finanzgruppe führten. Es ist die Befürchtung aus¬ gesprochen worden, daß China, nachdem die große Anleihe nicht zustande kam, nun versuche« werde, eine Reihe kleinerer Anleihen unterzubringen. Die erste dieser kleinen Anleihen, die sogenannte Crisp-Anleihe, sei in England aufgenommen; es bestehe die Gefahr, China werde auch seine weiteren kleinen Anleihen in England oder Amerika aufnehmen, so daß schließlich diese beioen Staaten die chinesischen Anleihen monopolisieren würden. Ob diese Kombination zutrifft, mag dahingestellt bleiben, nur das muß betont werden, daß sie, falls sie sich verwirk¬ lichen sollte, unseren Interessen ganz entschieden widersprechen würde. Jede in England und Amerika aufgenommene Anleihe stärkt den politischen und wirt¬ schaftlichen Einfluß dieser Länder und beeinträchtigt unsere Stellung in China. Wir haben daher das lebhafteste Interesse daran, daß Deutschland an den chinesischen Anleihen nach Möglichkeit beteiligt werde, als eines der Mittel, die geeignet sind, unsere wirtschaftlichen Beziehungen zum Reich der Mitte zu festigen und auszudehnen. Schon wiederholt sind englische, amerikanische, deutsche und französische Bankgruppen als Verbündete aufgetreten, sobald es sich um die Befriedigung der finanziellen Bedürfnisse Chinas handelte. Ein derartiges Vier-Mächte-Syndikat entspricht den Verhältnissen in weit höherem Grade als ein Sechs-Mächte-Syndikat, in dem außer den eben genannten auch noch russische und japanische Finanzgruppen vertreten sind. Rußland und Japan verfolgen in China, wie eingangs erwähnt, politische Sonderinteressen, die mit den Interessen Chinas unvereinbar sind, und die Annahme liegt nahe, daß diese beiden Staaten — die übrigens wahrscheinlich die ganze Summe, die sie bereit sind, China zu leihen, selbst erst durch Ausländsanleihen aufbringen müßten — eine Beteiligung an den chinesischen Anleihen nur deshalb erstreben,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/178>, abgerufen am 04.07.2024.