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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

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Politik und Wirtschaft

ein Absatz erst am Markte gesucht werden muß. Die Industrie ist mithin
darauf angewiesen, diesen Absatz zu fördern, sich neue Absatzquellen zu erschließen,
alle Kräfte anzuspannen, um ihre Erzeugnisse an den Mann zu bringen. Das
Inland reicht hierzu nicht aus; sie sucht daher das Ausland auf, macht
Propaganda, treibt Reklame, sucht, wo ein Bedürfnis nach ihren Waren nicht
vorhanden ist, ein solches künstlich groß zu züchten, hierbei unterstützt durch die
Billigkeit ihrer Erzeugnisse und deren -- oft nur scheinbare -- Zweckmäßigkeit.
Ein jedes Warenhaus ist ein Beispiel dafür, wie Artikel größerer oder geringerer
Wichtigkeit, oft genug ganz wertlose Spielereien, in Massen hergestellt werden,
um durch ihre Billigkeit Käufer anzulocken.

Dieses Gesetz gilt aber in gleichem Maße auch für die schwere Industrie;
auch sie muß daher den Absatz künstlich und durch besondere Einrichtungen und
Organisationen fördern. Auch hier muß das Ausland als Abnehmer heran;
jede nur einigermaßen entwickelte Industrie hat alsbald ihren Schwerpunkt im
Export. Dieser Export wird nun in großzügigster Weise gefördert. Es werden
in fremden Landen Eisenbahnen gebaut, Hafen und Kanäle angelegt, Elektrizitäts¬
und Gaswerke gegründet, alles um der rastlos produzierenden Industrie Gelegenheit
zum Absatz ihrer Produkte zu geben. So hat Deutschland, welches keine
Kolonien von Aufnahmefähigkeiten besitzt, und ausschließlich auf Länder unter
fremder Oberherrlichkeit angewiesen ist, im Wege dieser friedlichen Durch¬
dringung und wirtschaftlichen Eroberung sich in Südamerika, in Ostasien, vor¬
nehmlich aber in den Ländern der Türkei (die anatolische und die Bagdadbahn)
dauernde Absatzquellen geschaffen und gewaltige Summen investiert. Es entsteht
so in weniger kultivierten Ländern eine Art friedlicher Kolonisation und
Exploitierung, welcher dem Industrieland ein gewisses wirtschaftliches und unter
Umständen auch politisches Übergewicht verleiht. Damit sind dann aber
auch die Keime zu Rivalitäten und politischen Zusammenstößen mit anderen
Nationen gegeben. Es braucht nur an unser Verhältnis zu England wegen
der türkischen Bahnen, zu Frankreich wegen unserer Interessen in Marokko
erinnert zu werden.

Diese ganze Entwicklung der Industrie ist nun nicht möglich, ohne daß
eine finanzielle Unterstützung größten Maßstabes ihr zur Seite steht. Hand in
Hand mit dem Aufblühen der Industrie geht daher die Ausbildung des Bank¬
wesens. Die Banken haben die Aufgabe, der Industrie die erforderlichen
Mittel zur Durchführung ihrer großen Pläne zu liefern. Diese Mittel sind
sehr bedeutend. Die Herstellung der industriellen Anlagen selbst, welche mit
dem Erlös von Aktien und Obligationen oder Krediten bestritten wird, die
Investitionen im Ausland, zu deren Deckung Anleihen übernommen werden
oder neue Gesellschaften gegründet werden müssen, stellen an die Leistungs¬
fähigkeit der Banken große Anforderungen. Die Beschaffung des Kapitals durch
Emission von Effekten und die Heranziehung von Depositen und Spareinlagen
führt zu einer steigenden Mobilisation der Vermögen. Enorme Beträge an


Politik und Wirtschaft

ein Absatz erst am Markte gesucht werden muß. Die Industrie ist mithin
darauf angewiesen, diesen Absatz zu fördern, sich neue Absatzquellen zu erschließen,
alle Kräfte anzuspannen, um ihre Erzeugnisse an den Mann zu bringen. Das
Inland reicht hierzu nicht aus; sie sucht daher das Ausland auf, macht
Propaganda, treibt Reklame, sucht, wo ein Bedürfnis nach ihren Waren nicht
vorhanden ist, ein solches künstlich groß zu züchten, hierbei unterstützt durch die
Billigkeit ihrer Erzeugnisse und deren — oft nur scheinbare — Zweckmäßigkeit.
Ein jedes Warenhaus ist ein Beispiel dafür, wie Artikel größerer oder geringerer
Wichtigkeit, oft genug ganz wertlose Spielereien, in Massen hergestellt werden,
um durch ihre Billigkeit Käufer anzulocken.

Dieses Gesetz gilt aber in gleichem Maße auch für die schwere Industrie;
auch sie muß daher den Absatz künstlich und durch besondere Einrichtungen und
Organisationen fördern. Auch hier muß das Ausland als Abnehmer heran;
jede nur einigermaßen entwickelte Industrie hat alsbald ihren Schwerpunkt im
Export. Dieser Export wird nun in großzügigster Weise gefördert. Es werden
in fremden Landen Eisenbahnen gebaut, Hafen und Kanäle angelegt, Elektrizitäts¬
und Gaswerke gegründet, alles um der rastlos produzierenden Industrie Gelegenheit
zum Absatz ihrer Produkte zu geben. So hat Deutschland, welches keine
Kolonien von Aufnahmefähigkeiten besitzt, und ausschließlich auf Länder unter
fremder Oberherrlichkeit angewiesen ist, im Wege dieser friedlichen Durch¬
dringung und wirtschaftlichen Eroberung sich in Südamerika, in Ostasien, vor¬
nehmlich aber in den Ländern der Türkei (die anatolische und die Bagdadbahn)
dauernde Absatzquellen geschaffen und gewaltige Summen investiert. Es entsteht
so in weniger kultivierten Ländern eine Art friedlicher Kolonisation und
Exploitierung, welcher dem Industrieland ein gewisses wirtschaftliches und unter
Umständen auch politisches Übergewicht verleiht. Damit sind dann aber
auch die Keime zu Rivalitäten und politischen Zusammenstößen mit anderen
Nationen gegeben. Es braucht nur an unser Verhältnis zu England wegen
der türkischen Bahnen, zu Frankreich wegen unserer Interessen in Marokko
erinnert zu werden.

Diese ganze Entwicklung der Industrie ist nun nicht möglich, ohne daß
eine finanzielle Unterstützung größten Maßstabes ihr zur Seite steht. Hand in
Hand mit dem Aufblühen der Industrie geht daher die Ausbildung des Bank¬
wesens. Die Banken haben die Aufgabe, der Industrie die erforderlichen
Mittel zur Durchführung ihrer großen Pläne zu liefern. Diese Mittel sind
sehr bedeutend. Die Herstellung der industriellen Anlagen selbst, welche mit
dem Erlös von Aktien und Obligationen oder Krediten bestritten wird, die
Investitionen im Ausland, zu deren Deckung Anleihen übernommen werden
oder neue Gesellschaften gegründet werden müssen, stellen an die Leistungs¬
fähigkeit der Banken große Anforderungen. Die Beschaffung des Kapitals durch
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/120>, abgerufen am 22.07.2024.