Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr.Aarl Scilzor Da wird des Arztes Gesicht von Unmutfalten zerrissen, und in Karl tastet Darauf sagt der Arzt mit freundlichem Gesichte zu Seelchen: "Es ist ein Schreiben für den Oberarzt der Anstalt, der mit mir befreundet ist!" Da spricht Tante Seelchen dem Doktor von ihrer Sorge, daß sich im Dorfe "Owowowowo!" erwidert der Arzt, "so schlimm sind unsere Bauern denn Aber Tante Seelchen hat noch andere Bedenken. Ob man nicht noch ein¬ Da schnalzt der Doktor mit der Zunge, wie er schnalzt, wenn er mißmutig Bei diesem guten Rate des Arztes denkt Seelchen an ihren leeren Geldbeutel. "Herr Dokter, könnt das mit dem kranke Made net zu Unzuträglichkeiten "Dja!" wirft der Arzt ein, "das ist so ne Sache, jetzt bei der vielen Feld¬ Da rafft Tante Seelchen sich auf, und während ihr die Schamröte bis unter "Herr Dokter, 's ist auch wegen den Kosten!" Im ersten Augenblicke zuckt es dem Mann in den Fingerspitzen, er möchte "Fräulein Seelchen, das kann auch so gehen; wie Sie wollen. Den Aarl Scilzor Da wird des Arztes Gesicht von Unmutfalten zerrissen, und in Karl tastet Darauf sagt der Arzt mit freundlichem Gesichte zu Seelchen: „Es ist ein Schreiben für den Oberarzt der Anstalt, der mit mir befreundet ist!" Da spricht Tante Seelchen dem Doktor von ihrer Sorge, daß sich im Dorfe „Owowowowo!" erwidert der Arzt, „so schlimm sind unsere Bauern denn Aber Tante Seelchen hat noch andere Bedenken. Ob man nicht noch ein¬ Da schnalzt der Doktor mit der Zunge, wie er schnalzt, wenn er mißmutig Bei diesem guten Rate des Arztes denkt Seelchen an ihren leeren Geldbeutel. „Herr Dokter, könnt das mit dem kranke Made net zu Unzuträglichkeiten „Dja!" wirft der Arzt ein, „das ist so ne Sache, jetzt bei der vielen Feld¬ Da rafft Tante Seelchen sich auf, und während ihr die Schamröte bis unter „Herr Dokter, 's ist auch wegen den Kosten!" Im ersten Augenblicke zuckt es dem Mann in den Fingerspitzen, er möchte „Fräulein Seelchen, das kann auch so gehen; wie Sie wollen. Den <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0097" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/322498"/> <fw type="header" place="top"> Aarl Scilzor</fw><lb/> <p xml:id="ID_394"> Da wird des Arztes Gesicht von Unmutfalten zerrissen, und in Karl tastet<lb/> mit kalten Fingern eine große Enttäuschung. Er geht aus dem Zimmer.</p><lb/> <p xml:id="ID_395"> Darauf sagt der Arzt mit freundlichem Gesichte zu Seelchen:</p><lb/> <p xml:id="ID_396"> „Es ist ein Schreiben für den Oberarzt der Anstalt, der mit mir befreundet ist!"</p><lb/> <p xml:id="ID_397"> Da spricht Tante Seelchen dem Doktor von ihrer Sorge, daß sich im Dorfe<lb/> keine Chaise finden möge, um das Mädchen nach Worms an den Bahnhof zu<lb/> fahren, denn man könne mit der Kranken den Weg doch nicht zu Fuß machen.</p><lb/> <p xml:id="ID_398"> „Owowowowo!" erwidert der Arzt, „so schlimm sind unsere Bauern denn<lb/> doch noch nicht alle, liebes Fräulein Seelchen. Zum Beispiel sind da die Ge¬<lb/> schwister Holtner, der Hannes, der Vinzenz und die Male. Besonders der Hannes.<lb/> Derb, vielleicht auch grob, aber gut und gütig. Der Vinzenz hat sich beim<lb/> Sensenwetzen eine böse Schnittwunde in den Arm beigebracht und liegt nun an<lb/> ein wenig Wundfieber. Zu dem muß ich, und da will ich dem alten Hannes<lb/> Holtner sagen, daß er mal gleich seine alte Kalesche einspannt. Sie machen unter¬<lb/> dessen das Mädchen fertig."</p><lb/> <p xml:id="ID_399"> Aber Tante Seelchen hat noch andere Bedenken. Ob man nicht noch ein¬<lb/> mal einen Tag warten solle, weil sie doch die Vorbereitungen zur Beerdigung<lb/> treffen müsse.</p><lb/> <p xml:id="ID_400"> Da schnalzt der Doktor mit der Zunge, wie er schnalzt, wenn er mißmutig<lb/> ist, und sagt der Alten, sie solle mehr an die Lebendigen als an die Toten denken.<lb/> Was da zu ordnen sei, könne wohl auch der Junge machen. Ein feierlich Be¬<lb/> gräbnis gäbe das ja doch nicht, wie er ganz frei heraussagen wolle, wozu da also<lb/> viele Vorbereitungen? In einer halben Stunde sei der Hannes Holtner da, und<lb/> dann reiche es noch für den Zehnuhrzug nach Bensheim. Von dort fahre man<lb/> mit der Mainneckarbahn nach Heppenheim.</p><lb/> <p xml:id="ID_401"> Bei diesem guten Rate des Arztes denkt Seelchen an ihren leeren Geldbeutel.<lb/> Aber es ist eine Scham in ihr, die sie hindert, dem Doktor davon zu sprechen.<lb/> Darum sagt sie:'</p><lb/> <p xml:id="ID_402"> „Herr Dokter, könnt das mit dem kranke Made net zu Unzuträglichkeiten<lb/> führen in der Eisenbahn? Jeßgott, ich wär so froh, wenn uns der Vetter Holtner<lb/> mit seiner Kutsch gleich bis nach Heppenheim fahren wollt I"</p><lb/> <p xml:id="ID_403"> „Dja!" wirft der Arzt ein, „das ist so ne Sache, jetzt bei der vielen Feld¬<lb/> arbeit. Hin und zurück ist das ein Weg von einem ganzen Tag; wird nicht gut<lb/> zu machen sein!"</p><lb/> <p xml:id="ID_404"> Da rafft Tante Seelchen sich auf, und während ihr die Schamröte bis unter<lb/> die Haarwurzeln steigt, sagt sie hastig:</p><lb/> <p xml:id="ID_405"> „Herr Dokter, 's ist auch wegen den Kosten!"</p><lb/> <p xml:id="ID_406"> Im ersten Augenblicke zuckt es dem Mann in den Fingerspitzen, er möchte<lb/> das Portemonnaie aus der Hosentasche ziehen. Doch er besinnt sich eines anderen,<lb/> und reicht Tante Seelchen die Hand hin:</p><lb/> <p xml:id="ID_407"> „Fräulein Seelchen, das kann auch so gehen; wie Sie wollen. Den<lb/> lachenden Erben der Holtners wird es nichts verschlagen, wenn der Hannes ein-<lb/> mal einen Werktag lang feiert. Ich bring das in Ordnung! Guten Morgen,<lb/> Fräulein Seelchen!" (Fortsetzung folgt)</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0097]
Aarl Scilzor
Da wird des Arztes Gesicht von Unmutfalten zerrissen, und in Karl tastet
mit kalten Fingern eine große Enttäuschung. Er geht aus dem Zimmer.
Darauf sagt der Arzt mit freundlichem Gesichte zu Seelchen:
„Es ist ein Schreiben für den Oberarzt der Anstalt, der mit mir befreundet ist!"
Da spricht Tante Seelchen dem Doktor von ihrer Sorge, daß sich im Dorfe
keine Chaise finden möge, um das Mädchen nach Worms an den Bahnhof zu
fahren, denn man könne mit der Kranken den Weg doch nicht zu Fuß machen.
„Owowowowo!" erwidert der Arzt, „so schlimm sind unsere Bauern denn
doch noch nicht alle, liebes Fräulein Seelchen. Zum Beispiel sind da die Ge¬
schwister Holtner, der Hannes, der Vinzenz und die Male. Besonders der Hannes.
Derb, vielleicht auch grob, aber gut und gütig. Der Vinzenz hat sich beim
Sensenwetzen eine böse Schnittwunde in den Arm beigebracht und liegt nun an
ein wenig Wundfieber. Zu dem muß ich, und da will ich dem alten Hannes
Holtner sagen, daß er mal gleich seine alte Kalesche einspannt. Sie machen unter¬
dessen das Mädchen fertig."
Aber Tante Seelchen hat noch andere Bedenken. Ob man nicht noch ein¬
mal einen Tag warten solle, weil sie doch die Vorbereitungen zur Beerdigung
treffen müsse.
Da schnalzt der Doktor mit der Zunge, wie er schnalzt, wenn er mißmutig
ist, und sagt der Alten, sie solle mehr an die Lebendigen als an die Toten denken.
Was da zu ordnen sei, könne wohl auch der Junge machen. Ein feierlich Be¬
gräbnis gäbe das ja doch nicht, wie er ganz frei heraussagen wolle, wozu da also
viele Vorbereitungen? In einer halben Stunde sei der Hannes Holtner da, und
dann reiche es noch für den Zehnuhrzug nach Bensheim. Von dort fahre man
mit der Mainneckarbahn nach Heppenheim.
Bei diesem guten Rate des Arztes denkt Seelchen an ihren leeren Geldbeutel.
Aber es ist eine Scham in ihr, die sie hindert, dem Doktor davon zu sprechen.
Darum sagt sie:'
„Herr Dokter, könnt das mit dem kranke Made net zu Unzuträglichkeiten
führen in der Eisenbahn? Jeßgott, ich wär so froh, wenn uns der Vetter Holtner
mit seiner Kutsch gleich bis nach Heppenheim fahren wollt I"
„Dja!" wirft der Arzt ein, „das ist so ne Sache, jetzt bei der vielen Feld¬
arbeit. Hin und zurück ist das ein Weg von einem ganzen Tag; wird nicht gut
zu machen sein!"
Da rafft Tante Seelchen sich auf, und während ihr die Schamröte bis unter
die Haarwurzeln steigt, sagt sie hastig:
„Herr Dokter, 's ist auch wegen den Kosten!"
Im ersten Augenblicke zuckt es dem Mann in den Fingerspitzen, er möchte
das Portemonnaie aus der Hosentasche ziehen. Doch er besinnt sich eines anderen,
und reicht Tante Seelchen die Hand hin:
„Fräulein Seelchen, das kann auch so gehen; wie Sie wollen. Den
lachenden Erben der Holtners wird es nichts verschlagen, wenn der Hannes ein-
mal einen Werktag lang feiert. Ich bring das in Ordnung! Guten Morgen,
Fräulein Seelchen!" (Fortsetzung folgt)
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |