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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr.

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Luther und Jesuit

Noch geschickter ist die Schilderung von Luthers Stellung im Observanten-
streit der Augustinerkloster. Zweifellos ist sein Übergang zu der Gegenpartei
ein entscheidendes Ereignis seines Lebens gewesen. Was man davon wissen
kann, ist nur, daß die Wendung im Zusammenhang mit der Wendung zu den:
neuen Gott steht. Grisar aber versteht es durch Andenken und Zurücknehmen
den Eindruck zu erwecken, daß Luther seine Überzeugung für Staupizens Gunst
und den Wittenberger Lehrstuhl aus Streberei und ehrgeiziger Berechnung
gewechselt habe. Er bringt es dahin, daß diese Gewissenlosigkeit und ihre Ver¬
teidigung als eine der wichtigsten Triebfedern für die Gotteslehre des jungen
Luther Hervortritt. "Eine Fortsetzung des früheren Widerstrebens gegen Staupiz
konnte ihm nur hinderlich sein. Doch das Nähere über die eigentümliche
Schwenkung ist nicht bekannt." So wird zugleich ein häßlicher Verdacht aus¬
gesprochen und die Verantwortung abgelehnt. -- Will man Ähnliches sehen, so
lese man den Abschnitt mit der Überschrift: "Die böse Begierlichkeit unwider¬
stehlich?" Es heißt: "Bei Luther wurde angenommen" (von früheren Erklärern),
"daß er durch gewohnheitsmäßige sittliche Vergehen, durch beständiges Nachgeben
gegen die Begierlichkeit des Fleisches sich im Zustande vollständiger innerer
Verrottung befunden habe. Nun läßt sich aber nichts anderes über sein ethisches
Verhalten vor dem Umschlag seiner Lehre anführen, als was oben dargelegt
ist. Freilich besitzt die Geschichte kein allwissendes Auge wie der Eine, der
Herzen und Nieren durchforscht; jedoch für uns sind die historischen Argumente
für jene Behauptung von größter innerer Verrottung, nämlich Texte und Tat¬
sachen, die jeden überzeugen müssen, nicht vorhanden. Wenn Luther die vor¬
ausgesetzte Stärke der Begierde lehrte, so konnte er hierzu auch auf anderem
Wege gelangt sein, als bloß durch fortgesetztes Fallen. Sicher ist es nicht bloß
die eigene traurige Erfahrung, welche zu großen Abirrungen des Urteils Ver¬
anlassung geben kann." (S. 86 f.) Der Leser deute sich die Absicht der von
mir hervorgehobenen Worte, um zu erkennen, was hier ausgesprochen und was
gemeint ist. -- Oder man beachte endlich, mit welchem Nebenton Spalatin
fortwährend als der Hofmann im Priesterrock bezeichnet ist und wie Luthers
Benehmen seinen Fürsten gegenüber trotz aller Gegengründe beharrlich auf die
Linie der höfischen Berechnung herabgezogen wird. Das alles sind Unredlichkeiten,
ohne die sich Luthers Bild nun einmal auch für Katholiken nicht so rettungslos
vernichten läßt, wie es Grisar versucht hat. Ob sie absichtlich oder im unbewußten
Trieb geschehen, ist, das sei nochmal betont, für ihren Wert belanglos.

Luther fühlte sich mit allen großen Frommen der christlichen und jüdischen
Vergangenheit im Einklang. Er wird Recht haben; es wird so sein, daß alle
religiöse Kraft in jedem Gewand aus der Natur gesogen wurde. Nur steht
Luther an Entschiedenheit über allen und wir dürfen ihn getrost allen
Neligionsbringern aus fremdem Blute an die Seite stellen.




Grenzboten IV 1912
Luther und Jesuit

Noch geschickter ist die Schilderung von Luthers Stellung im Observanten-
streit der Augustinerkloster. Zweifellos ist sein Übergang zu der Gegenpartei
ein entscheidendes Ereignis seines Lebens gewesen. Was man davon wissen
kann, ist nur, daß die Wendung im Zusammenhang mit der Wendung zu den:
neuen Gott steht. Grisar aber versteht es durch Andenken und Zurücknehmen
den Eindruck zu erwecken, daß Luther seine Überzeugung für Staupizens Gunst
und den Wittenberger Lehrstuhl aus Streberei und ehrgeiziger Berechnung
gewechselt habe. Er bringt es dahin, daß diese Gewissenlosigkeit und ihre Ver¬
teidigung als eine der wichtigsten Triebfedern für die Gotteslehre des jungen
Luther Hervortritt. „Eine Fortsetzung des früheren Widerstrebens gegen Staupiz
konnte ihm nur hinderlich sein. Doch das Nähere über die eigentümliche
Schwenkung ist nicht bekannt." So wird zugleich ein häßlicher Verdacht aus¬
gesprochen und die Verantwortung abgelehnt. — Will man Ähnliches sehen, so
lese man den Abschnitt mit der Überschrift: „Die böse Begierlichkeit unwider¬
stehlich?" Es heißt: „Bei Luther wurde angenommen" (von früheren Erklärern),
„daß er durch gewohnheitsmäßige sittliche Vergehen, durch beständiges Nachgeben
gegen die Begierlichkeit des Fleisches sich im Zustande vollständiger innerer
Verrottung befunden habe. Nun läßt sich aber nichts anderes über sein ethisches
Verhalten vor dem Umschlag seiner Lehre anführen, als was oben dargelegt
ist. Freilich besitzt die Geschichte kein allwissendes Auge wie der Eine, der
Herzen und Nieren durchforscht; jedoch für uns sind die historischen Argumente
für jene Behauptung von größter innerer Verrottung, nämlich Texte und Tat¬
sachen, die jeden überzeugen müssen, nicht vorhanden. Wenn Luther die vor¬
ausgesetzte Stärke der Begierde lehrte, so konnte er hierzu auch auf anderem
Wege gelangt sein, als bloß durch fortgesetztes Fallen. Sicher ist es nicht bloß
die eigene traurige Erfahrung, welche zu großen Abirrungen des Urteils Ver¬
anlassung geben kann." (S. 86 f.) Der Leser deute sich die Absicht der von
mir hervorgehobenen Worte, um zu erkennen, was hier ausgesprochen und was
gemeint ist. — Oder man beachte endlich, mit welchem Nebenton Spalatin
fortwährend als der Hofmann im Priesterrock bezeichnet ist und wie Luthers
Benehmen seinen Fürsten gegenüber trotz aller Gegengründe beharrlich auf die
Linie der höfischen Berechnung herabgezogen wird. Das alles sind Unredlichkeiten,
ohne die sich Luthers Bild nun einmal auch für Katholiken nicht so rettungslos
vernichten läßt, wie es Grisar versucht hat. Ob sie absichtlich oder im unbewußten
Trieb geschehen, ist, das sei nochmal betont, für ihren Wert belanglos.

Luther fühlte sich mit allen großen Frommen der christlichen und jüdischen
Vergangenheit im Einklang. Er wird Recht haben; es wird so sein, daß alle
religiöse Kraft in jedem Gewand aus der Natur gesogen wurde. Nur steht
Luther an Entschiedenheit über allen und wir dürfen ihn getrost allen
Neligionsbringern aus fremdem Blute an die Seite stellen.




Grenzboten IV 1912
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[0077] Luther und Jesuit Noch geschickter ist die Schilderung von Luthers Stellung im Observanten- streit der Augustinerkloster. Zweifellos ist sein Übergang zu der Gegenpartei ein entscheidendes Ereignis seines Lebens gewesen. Was man davon wissen kann, ist nur, daß die Wendung im Zusammenhang mit der Wendung zu den: neuen Gott steht. Grisar aber versteht es durch Andenken und Zurücknehmen den Eindruck zu erwecken, daß Luther seine Überzeugung für Staupizens Gunst und den Wittenberger Lehrstuhl aus Streberei und ehrgeiziger Berechnung gewechselt habe. Er bringt es dahin, daß diese Gewissenlosigkeit und ihre Ver¬ teidigung als eine der wichtigsten Triebfedern für die Gotteslehre des jungen Luther Hervortritt. „Eine Fortsetzung des früheren Widerstrebens gegen Staupiz konnte ihm nur hinderlich sein. Doch das Nähere über die eigentümliche Schwenkung ist nicht bekannt." So wird zugleich ein häßlicher Verdacht aus¬ gesprochen und die Verantwortung abgelehnt. — Will man Ähnliches sehen, so lese man den Abschnitt mit der Überschrift: „Die böse Begierlichkeit unwider¬ stehlich?" Es heißt: „Bei Luther wurde angenommen" (von früheren Erklärern), „daß er durch gewohnheitsmäßige sittliche Vergehen, durch beständiges Nachgeben gegen die Begierlichkeit des Fleisches sich im Zustande vollständiger innerer Verrottung befunden habe. Nun läßt sich aber nichts anderes über sein ethisches Verhalten vor dem Umschlag seiner Lehre anführen, als was oben dargelegt ist. Freilich besitzt die Geschichte kein allwissendes Auge wie der Eine, der Herzen und Nieren durchforscht; jedoch für uns sind die historischen Argumente für jene Behauptung von größter innerer Verrottung, nämlich Texte und Tat¬ sachen, die jeden überzeugen müssen, nicht vorhanden. Wenn Luther die vor¬ ausgesetzte Stärke der Begierde lehrte, so konnte er hierzu auch auf anderem Wege gelangt sein, als bloß durch fortgesetztes Fallen. Sicher ist es nicht bloß die eigene traurige Erfahrung, welche zu großen Abirrungen des Urteils Ver¬ anlassung geben kann." (S. 86 f.) Der Leser deute sich die Absicht der von mir hervorgehobenen Worte, um zu erkennen, was hier ausgesprochen und was gemeint ist. — Oder man beachte endlich, mit welchem Nebenton Spalatin fortwährend als der Hofmann im Priesterrock bezeichnet ist und wie Luthers Benehmen seinen Fürsten gegenüber trotz aller Gegengründe beharrlich auf die Linie der höfischen Berechnung herabgezogen wird. Das alles sind Unredlichkeiten, ohne die sich Luthers Bild nun einmal auch für Katholiken nicht so rettungslos vernichten läßt, wie es Grisar versucht hat. Ob sie absichtlich oder im unbewußten Trieb geschehen, ist, das sei nochmal betont, für ihren Wert belanglos. Luther fühlte sich mit allen großen Frommen der christlichen und jüdischen Vergangenheit im Einklang. Er wird Recht haben; es wird so sein, daß alle religiöse Kraft in jedem Gewand aus der Natur gesogen wurde. Nur steht Luther an Entschiedenheit über allen und wir dürfen ihn getrost allen Neligionsbringern aus fremdem Blute an die Seite stellen. Grenzboten IV 1912

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_322400/77>, abgerufen am 15.01.2025.