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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr.

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Luther und Jesuit

indem er zuerst die Zorneswolken und dann den Gnadenblick zeigt, ohne irgend¬
welchen Anlaß.

Damit ist der wesentliche Gehalt der Grisarschen Arbeit wiedergegeben
Unserem Bericht ist nur der erste Band aufgegeben, aber er enthält schon alle
wichtigen Gedanken. Luther hätte bei einer Unternehmung, wie der Grisarschen,
gesagt: ich will dem Eselskopf seinen Rotz um die Nase schmieren, -- Grisar
meint, daß "ehrliche Wahrheit und historische Gerechtigkeit schließlich unter der
weiten Sonne doch für jeden noch so heiklen historischen Gegenstand einen Platz,
wo er sich ungefälscht beleuchten läßt, wird finden müssen" (S. IX). Luthers
Wendung wäre mir ansprechender erschienen. Grisar hat seinen Gegenstand
gar nicht an irgendeinen bisher unbekannten Platz unter der Sonne gezogen,
sondern einfach vor das Auge der katholischen Kirche, seiner Gegnerin, genau
wie sein Vorgänger Denifle, nur weniger blind für die möglichen Zugeständ¬
nisse. Wozu also das irreführende Wort vom Platz uuter der Sonne und von
der ungefälschten Beleuchtung?

Es bleibt uns die Aufgabe, den Hauptabschnitten des ersten Bandes zu folgen.
Er führt von Luthers Anfängen bis zum Augsburger Reichstag des Jahres 1530.

Was von der Abstammung und Kindheit Luthers bekannt ist, berichtet
Grisar nur andeutend. Er ließ sich durch die Betrachtungen, mit denen
Arnold Berger vom Einfluß des Blutes und der Umgebung spricht, offenbar
nicht überzeugen. Eine Aufgabe wäre ihm aber doch mit Bestimmtheit gestellt
gewesen. Er teilt selbst mit, daß Eltern und Prügelpräzeptoren den Knaben
scheu machten. Woher nun hatten sie die dazu nötigen moralischen Über¬
zeugungen? Ihre Art entsprach nach Luthers Aussagen dem, was er später
von Kirche und Kloster zu erfahren bekam. Es waren Zumutungen ohne
Lebensgehalt, weil hinter ihnen kein Gott stand. In welchem Verhältnis stehen
heute die fruchtbaren Erziehungsweisen zu denen des Jesuitismus? Herrscht da
nicht der Gegensatz von Lust und Zwang, gegründet auf den tieferen von Natur
und Unnatur? Ist es also glaublich oder nicht, daß Luther schon in seiner
ertötenden Erziehung den Schaden der Kirche zu fühlen bekam und sällt auf die
Art dieses Schadens nicht ein scharfes Licht?

Für den Eintritt ins Kloster gibt er die altbekannten Veranlassungen.
Das Gewitter bei Stotternheim mit den: Blitzschlag, der an Luthers Seite
niedersuhr, steht im Mittelpunkt. Arnold Berger fühlt sehr tief heraus, daß
der Geist der Natur zu allen Zeiten die echte Gottheit war und hier einen
seiner Söhne geschüttelt hat, bis er willenlos sein Knecht wurde. Luther ist
damit ins Urzeitlich-Riesenhafte gerückt und erscheint in dem großen Augenblick
aus seiner übrigen Geschichte herausgerissen. Berger hätte aber zeigen müssen,
wie Luthers Geist sich in der Studienzeit auf ein solches Erlebnis vorbereitete
und wie seine spätere Gottesverehrung dazu stimmte. Grisar hat die Aufgabe
einer Erklärung überhaupt liegen lassen. Die Herbeiziehung der immer ver¬
wendbaren krankhaften Ängstlichkeit und der allgemeine Hinweis auf ein von


Luther und Jesuit

indem er zuerst die Zorneswolken und dann den Gnadenblick zeigt, ohne irgend¬
welchen Anlaß.

Damit ist der wesentliche Gehalt der Grisarschen Arbeit wiedergegeben
Unserem Bericht ist nur der erste Band aufgegeben, aber er enthält schon alle
wichtigen Gedanken. Luther hätte bei einer Unternehmung, wie der Grisarschen,
gesagt: ich will dem Eselskopf seinen Rotz um die Nase schmieren, — Grisar
meint, daß „ehrliche Wahrheit und historische Gerechtigkeit schließlich unter der
weiten Sonne doch für jeden noch so heiklen historischen Gegenstand einen Platz,
wo er sich ungefälscht beleuchten läßt, wird finden müssen" (S. IX). Luthers
Wendung wäre mir ansprechender erschienen. Grisar hat seinen Gegenstand
gar nicht an irgendeinen bisher unbekannten Platz unter der Sonne gezogen,
sondern einfach vor das Auge der katholischen Kirche, seiner Gegnerin, genau
wie sein Vorgänger Denifle, nur weniger blind für die möglichen Zugeständ¬
nisse. Wozu also das irreführende Wort vom Platz uuter der Sonne und von
der ungefälschten Beleuchtung?

Es bleibt uns die Aufgabe, den Hauptabschnitten des ersten Bandes zu folgen.
Er führt von Luthers Anfängen bis zum Augsburger Reichstag des Jahres 1530.

Was von der Abstammung und Kindheit Luthers bekannt ist, berichtet
Grisar nur andeutend. Er ließ sich durch die Betrachtungen, mit denen
Arnold Berger vom Einfluß des Blutes und der Umgebung spricht, offenbar
nicht überzeugen. Eine Aufgabe wäre ihm aber doch mit Bestimmtheit gestellt
gewesen. Er teilt selbst mit, daß Eltern und Prügelpräzeptoren den Knaben
scheu machten. Woher nun hatten sie die dazu nötigen moralischen Über¬
zeugungen? Ihre Art entsprach nach Luthers Aussagen dem, was er später
von Kirche und Kloster zu erfahren bekam. Es waren Zumutungen ohne
Lebensgehalt, weil hinter ihnen kein Gott stand. In welchem Verhältnis stehen
heute die fruchtbaren Erziehungsweisen zu denen des Jesuitismus? Herrscht da
nicht der Gegensatz von Lust und Zwang, gegründet auf den tieferen von Natur
und Unnatur? Ist es also glaublich oder nicht, daß Luther schon in seiner
ertötenden Erziehung den Schaden der Kirche zu fühlen bekam und sällt auf die
Art dieses Schadens nicht ein scharfes Licht?

Für den Eintritt ins Kloster gibt er die altbekannten Veranlassungen.
Das Gewitter bei Stotternheim mit den: Blitzschlag, der an Luthers Seite
niedersuhr, steht im Mittelpunkt. Arnold Berger fühlt sehr tief heraus, daß
der Geist der Natur zu allen Zeiten die echte Gottheit war und hier einen
seiner Söhne geschüttelt hat, bis er willenlos sein Knecht wurde. Luther ist
damit ins Urzeitlich-Riesenhafte gerückt und erscheint in dem großen Augenblick
aus seiner übrigen Geschichte herausgerissen. Berger hätte aber zeigen müssen,
wie Luthers Geist sich in der Studienzeit auf ein solches Erlebnis vorbereitete
und wie seine spätere Gottesverehrung dazu stimmte. Grisar hat die Aufgabe
einer Erklärung überhaupt liegen lassen. Die Herbeiziehung der immer ver¬
wendbaren krankhaften Ängstlichkeit und der allgemeine Hinweis auf ein von


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[0073] Luther und Jesuit indem er zuerst die Zorneswolken und dann den Gnadenblick zeigt, ohne irgend¬ welchen Anlaß. Damit ist der wesentliche Gehalt der Grisarschen Arbeit wiedergegeben Unserem Bericht ist nur der erste Band aufgegeben, aber er enthält schon alle wichtigen Gedanken. Luther hätte bei einer Unternehmung, wie der Grisarschen, gesagt: ich will dem Eselskopf seinen Rotz um die Nase schmieren, — Grisar meint, daß „ehrliche Wahrheit und historische Gerechtigkeit schließlich unter der weiten Sonne doch für jeden noch so heiklen historischen Gegenstand einen Platz, wo er sich ungefälscht beleuchten läßt, wird finden müssen" (S. IX). Luthers Wendung wäre mir ansprechender erschienen. Grisar hat seinen Gegenstand gar nicht an irgendeinen bisher unbekannten Platz unter der Sonne gezogen, sondern einfach vor das Auge der katholischen Kirche, seiner Gegnerin, genau wie sein Vorgänger Denifle, nur weniger blind für die möglichen Zugeständ¬ nisse. Wozu also das irreführende Wort vom Platz uuter der Sonne und von der ungefälschten Beleuchtung? Es bleibt uns die Aufgabe, den Hauptabschnitten des ersten Bandes zu folgen. Er führt von Luthers Anfängen bis zum Augsburger Reichstag des Jahres 1530. Was von der Abstammung und Kindheit Luthers bekannt ist, berichtet Grisar nur andeutend. Er ließ sich durch die Betrachtungen, mit denen Arnold Berger vom Einfluß des Blutes und der Umgebung spricht, offenbar nicht überzeugen. Eine Aufgabe wäre ihm aber doch mit Bestimmtheit gestellt gewesen. Er teilt selbst mit, daß Eltern und Prügelpräzeptoren den Knaben scheu machten. Woher nun hatten sie die dazu nötigen moralischen Über¬ zeugungen? Ihre Art entsprach nach Luthers Aussagen dem, was er später von Kirche und Kloster zu erfahren bekam. Es waren Zumutungen ohne Lebensgehalt, weil hinter ihnen kein Gott stand. In welchem Verhältnis stehen heute die fruchtbaren Erziehungsweisen zu denen des Jesuitismus? Herrscht da nicht der Gegensatz von Lust und Zwang, gegründet auf den tieferen von Natur und Unnatur? Ist es also glaublich oder nicht, daß Luther schon in seiner ertötenden Erziehung den Schaden der Kirche zu fühlen bekam und sällt auf die Art dieses Schadens nicht ein scharfes Licht? Für den Eintritt ins Kloster gibt er die altbekannten Veranlassungen. Das Gewitter bei Stotternheim mit den: Blitzschlag, der an Luthers Seite niedersuhr, steht im Mittelpunkt. Arnold Berger fühlt sehr tief heraus, daß der Geist der Natur zu allen Zeiten die echte Gottheit war und hier einen seiner Söhne geschüttelt hat, bis er willenlos sein Knecht wurde. Luther ist damit ins Urzeitlich-Riesenhafte gerückt und erscheint in dem großen Augenblick aus seiner übrigen Geschichte herausgerissen. Berger hätte aber zeigen müssen, wie Luthers Geist sich in der Studienzeit auf ein solches Erlebnis vorbereitete und wie seine spätere Gottesverehrung dazu stimmte. Grisar hat die Aufgabe einer Erklärung überhaupt liegen lassen. Die Herbeiziehung der immer ver¬ wendbaren krankhaften Ängstlichkeit und der allgemeine Hinweis auf ein von

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_322400/73>, abgerufen am 15.01.2025.