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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr.

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Luther und Jesuit

das Durchgehende und eigentlich Neue in allen lutherischen Gedankenbildungen
erkennen zu lassen. Es ist nicht zu leugnen, daß er damit recht hat.

Der Lehre entsprach bei Luther das Leben. Was Grisar für den Wahr¬
heitsbeweis an diesem Punkte irgend einsetzen konnte, das hat er eingesetzt.
Denn damit geht es erst vollends an den Wert der Persönlichkeit. Über den
Sinn undeutlicher oder die Tragweite verunglückter Lehren wird sich immer
streiten lassen. Das übrige Verhalten erst muß sie ihres gefährlichen Charakters
entkleiden oder ihn erhärten. Grisar sügt Ring sür Ring eine Kette, die Luther
erdrosseln soll.

Das Schlimmste ist in seinen Augen die Heirat. Sollten nun nicht hier
endlich Luthers gleichfalls verheiratete Nachfolger in der Lage sein, seine Tat
zu der ihrigen zu machen? Man sollte es glauben, und es fehlt auch nicht
am Preis des protestantischen Pfarrhauses. Aber Grisar sängt sie mit dem
Witz des Simplizissimus. Der protestantische Pfarrer heiratet, wie er sagt, aus
sittlicher Pflicht, nicht ans sinnlicher Lust, und wirkt durch diesen Gegensatz
lächerlich. Es blieb uicht aus, daß auch Luthers Ehe ausschließlich nach der Pflicht¬
seite bearbeitet wurde, und seine Worte scheinen das Recht dazu zu geben. Er
wollte ja dem Teufel, ehe er stürbe, noch ein Spiel anrichten und sollte es auch
nur eine verlobte Josephsehe sein, weil er es nicht wagte, ohne die gottgewollte
Ergänzung durch ein Weib zum jüngsten Gericht zu kommen*). Aber wenn
man seine sämtlichen Erwägungen über die Verbindung mit einem Weib über¬
sieht, so findet man ausschließlich den Gedanken des Naturtriebes und in einer
Deutlichkeit, die fromme Ohren in die Flucht treibt. Sein Pflichtgesetz ist die
Lust. Das stimmt, denn Gott, das weiß er, wohnt in den Körpern. Wer
meldet denn sonst seine vollzogene Trauung mit den Worten: Um Warnungen
durch meine Freunde auszuweichen, "bin ich der Bore eiligst beigelegen" ? Diese
einzige Äußerung ist das Lachen des Erdgeistes auf alle Anstrengungen der Ausleger
zugunsten des übersinnlichen Pflichtgesetzes, und die Protestanten, die Gott und
Pflicht bei Luther so schmerzlich mißverstanden, werden zur Gefolgschaft des
Katholiken. Grisar läßt es sich nicht verdrießen, diesen Zusammenhang zwischen
Lehre und Leben bei Luther an allen Punkten aufzuspüren, wobei er sehr deutlich
herausarbeitet, daß Luthers Nachdenken während der Wartburgzeit sich fast ganz
als Auseinandersetzung mit dieser Hauptangelegenheit kund gibt.

Der Naturalist der Frauenliebe war er, wie sich denken läßt, in allem.
Und in allem verrät ihn seine Sprache. Man nennt sie im Protestantismus
unfein, derb, barbarisch, zynisch. Grisar versäumt nicht, sie auch gemein und
schmutzig zu nennen und kann peinlich schweigenden Zugeständnisses sicher sein.
Luther redet auch ungereizt selten ohne starke Natürlichkeiten; seine Kampf¬
schriften aber schwelgen in Tiervergleichen und Stoffwechselgefühlen. Die Tat-



") Die alte Sprache und der neue Glaube vertrugen sich. Luther war Künstler und
spielte ohne Ende mit den alten Verdichtungen göttlicher Eindrücke, deren natürlichen Urgehalt
er nach Abstrcifung des Kirchenglnubens um so sicherer fühlte.
Luther und Jesuit

das Durchgehende und eigentlich Neue in allen lutherischen Gedankenbildungen
erkennen zu lassen. Es ist nicht zu leugnen, daß er damit recht hat.

Der Lehre entsprach bei Luther das Leben. Was Grisar für den Wahr¬
heitsbeweis an diesem Punkte irgend einsetzen konnte, das hat er eingesetzt.
Denn damit geht es erst vollends an den Wert der Persönlichkeit. Über den
Sinn undeutlicher oder die Tragweite verunglückter Lehren wird sich immer
streiten lassen. Das übrige Verhalten erst muß sie ihres gefährlichen Charakters
entkleiden oder ihn erhärten. Grisar sügt Ring sür Ring eine Kette, die Luther
erdrosseln soll.

Das Schlimmste ist in seinen Augen die Heirat. Sollten nun nicht hier
endlich Luthers gleichfalls verheiratete Nachfolger in der Lage sein, seine Tat
zu der ihrigen zu machen? Man sollte es glauben, und es fehlt auch nicht
am Preis des protestantischen Pfarrhauses. Aber Grisar sängt sie mit dem
Witz des Simplizissimus. Der protestantische Pfarrer heiratet, wie er sagt, aus
sittlicher Pflicht, nicht ans sinnlicher Lust, und wirkt durch diesen Gegensatz
lächerlich. Es blieb uicht aus, daß auch Luthers Ehe ausschließlich nach der Pflicht¬
seite bearbeitet wurde, und seine Worte scheinen das Recht dazu zu geben. Er
wollte ja dem Teufel, ehe er stürbe, noch ein Spiel anrichten und sollte es auch
nur eine verlobte Josephsehe sein, weil er es nicht wagte, ohne die gottgewollte
Ergänzung durch ein Weib zum jüngsten Gericht zu kommen*). Aber wenn
man seine sämtlichen Erwägungen über die Verbindung mit einem Weib über¬
sieht, so findet man ausschließlich den Gedanken des Naturtriebes und in einer
Deutlichkeit, die fromme Ohren in die Flucht treibt. Sein Pflichtgesetz ist die
Lust. Das stimmt, denn Gott, das weiß er, wohnt in den Körpern. Wer
meldet denn sonst seine vollzogene Trauung mit den Worten: Um Warnungen
durch meine Freunde auszuweichen, „bin ich der Bore eiligst beigelegen" ? Diese
einzige Äußerung ist das Lachen des Erdgeistes auf alle Anstrengungen der Ausleger
zugunsten des übersinnlichen Pflichtgesetzes, und die Protestanten, die Gott und
Pflicht bei Luther so schmerzlich mißverstanden, werden zur Gefolgschaft des
Katholiken. Grisar läßt es sich nicht verdrießen, diesen Zusammenhang zwischen
Lehre und Leben bei Luther an allen Punkten aufzuspüren, wobei er sehr deutlich
herausarbeitet, daß Luthers Nachdenken während der Wartburgzeit sich fast ganz
als Auseinandersetzung mit dieser Hauptangelegenheit kund gibt.

Der Naturalist der Frauenliebe war er, wie sich denken läßt, in allem.
Und in allem verrät ihn seine Sprache. Man nennt sie im Protestantismus
unfein, derb, barbarisch, zynisch. Grisar versäumt nicht, sie auch gemein und
schmutzig zu nennen und kann peinlich schweigenden Zugeständnisses sicher sein.
Luther redet auch ungereizt selten ohne starke Natürlichkeiten; seine Kampf¬
schriften aber schwelgen in Tiervergleichen und Stoffwechselgefühlen. Die Tat-



") Die alte Sprache und der neue Glaube vertrugen sich. Luther war Künstler und
spielte ohne Ende mit den alten Verdichtungen göttlicher Eindrücke, deren natürlichen Urgehalt
er nach Abstrcifung des Kirchenglnubens um so sicherer fühlte.
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[0070] Luther und Jesuit das Durchgehende und eigentlich Neue in allen lutherischen Gedankenbildungen erkennen zu lassen. Es ist nicht zu leugnen, daß er damit recht hat. Der Lehre entsprach bei Luther das Leben. Was Grisar für den Wahr¬ heitsbeweis an diesem Punkte irgend einsetzen konnte, das hat er eingesetzt. Denn damit geht es erst vollends an den Wert der Persönlichkeit. Über den Sinn undeutlicher oder die Tragweite verunglückter Lehren wird sich immer streiten lassen. Das übrige Verhalten erst muß sie ihres gefährlichen Charakters entkleiden oder ihn erhärten. Grisar sügt Ring sür Ring eine Kette, die Luther erdrosseln soll. Das Schlimmste ist in seinen Augen die Heirat. Sollten nun nicht hier endlich Luthers gleichfalls verheiratete Nachfolger in der Lage sein, seine Tat zu der ihrigen zu machen? Man sollte es glauben, und es fehlt auch nicht am Preis des protestantischen Pfarrhauses. Aber Grisar sängt sie mit dem Witz des Simplizissimus. Der protestantische Pfarrer heiratet, wie er sagt, aus sittlicher Pflicht, nicht ans sinnlicher Lust, und wirkt durch diesen Gegensatz lächerlich. Es blieb uicht aus, daß auch Luthers Ehe ausschließlich nach der Pflicht¬ seite bearbeitet wurde, und seine Worte scheinen das Recht dazu zu geben. Er wollte ja dem Teufel, ehe er stürbe, noch ein Spiel anrichten und sollte es auch nur eine verlobte Josephsehe sein, weil er es nicht wagte, ohne die gottgewollte Ergänzung durch ein Weib zum jüngsten Gericht zu kommen*). Aber wenn man seine sämtlichen Erwägungen über die Verbindung mit einem Weib über¬ sieht, so findet man ausschließlich den Gedanken des Naturtriebes und in einer Deutlichkeit, die fromme Ohren in die Flucht treibt. Sein Pflichtgesetz ist die Lust. Das stimmt, denn Gott, das weiß er, wohnt in den Körpern. Wer meldet denn sonst seine vollzogene Trauung mit den Worten: Um Warnungen durch meine Freunde auszuweichen, „bin ich der Bore eiligst beigelegen" ? Diese einzige Äußerung ist das Lachen des Erdgeistes auf alle Anstrengungen der Ausleger zugunsten des übersinnlichen Pflichtgesetzes, und die Protestanten, die Gott und Pflicht bei Luther so schmerzlich mißverstanden, werden zur Gefolgschaft des Katholiken. Grisar läßt es sich nicht verdrießen, diesen Zusammenhang zwischen Lehre und Leben bei Luther an allen Punkten aufzuspüren, wobei er sehr deutlich herausarbeitet, daß Luthers Nachdenken während der Wartburgzeit sich fast ganz als Auseinandersetzung mit dieser Hauptangelegenheit kund gibt. Der Naturalist der Frauenliebe war er, wie sich denken läßt, in allem. Und in allem verrät ihn seine Sprache. Man nennt sie im Protestantismus unfein, derb, barbarisch, zynisch. Grisar versäumt nicht, sie auch gemein und schmutzig zu nennen und kann peinlich schweigenden Zugeständnisses sicher sein. Luther redet auch ungereizt selten ohne starke Natürlichkeiten; seine Kampf¬ schriften aber schwelgen in Tiervergleichen und Stoffwechselgefühlen. Die Tat- ") Die alte Sprache und der neue Glaube vertrugen sich. Luther war Künstler und spielte ohne Ende mit den alten Verdichtungen göttlicher Eindrücke, deren natürlichen Urgehalt er nach Abstrcifung des Kirchenglnubens um so sicherer fühlte.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_322400/70>, abgerufen am 15.01.2025.