Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches K36 [Beginn Spaltensatz] Winter brechen zwei, drei Menschen durch's In seinein großen Roman "Der Bote [Spaltenumbruch]Gottes" ist die Befreiung natürlich und un¬ Gewiß, Schaffners Werk ist nicht geschlossen, Ob Moeschlin hier Halt macht und nach Maßgebliches und Unmaßgebliches K36 [Beginn Spaltensatz] Winter brechen zwei, drei Menschen durch's In seinein großen Roman „Der Bote [Spaltenumbruch]Gottes" ist die Befreiung natürlich und un¬ Gewiß, Schaffners Werk ist nicht geschlossen, Ob Moeschlin hier Halt macht und nach <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0647" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/323049"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/> <p xml:id="ID_3143" prev="#ID_3142" next="#ID_3144"> K36</p><lb/> <cb type="start"/> <p xml:id="ID_3144" prev="#ID_3143"> Winter brechen zwei, drei Menschen durch's<lb/> Eis/'</p> <p xml:id="ID_3145" next="#ID_3146"> In seinein großen Roman „Der Bote</p> <cb/><lb/> <p xml:id="ID_3146" prev="#ID_3145"> Gottes" ist die Befreiung natürlich und un¬<lb/> gewaltsam vollzogen. Hat da der Stoff an<lb/> sich dem Dichter den Simplizius von Grimmels-<lb/> hausen auch nahegelegt, so hat diese Ver¬<lb/> wandtschaft längst nichts Schülerhaftes mehr,<lb/> sie liegt durchaus in der Natur der Sache. Ein<lb/> gewaltiges, episches Wollen trieb den Dichter<lb/> zur Geburtsstunde, zu allem Anfang deutschen<lb/> Lebens Anno 1648. Wir stehen gleichviel<lb/> wo — es ist ja nirgends etwas vorhanden —<lb/> auf irgendeinem Punkt des weiten heiligen,<lb/> römischen Reichs deutscher Nation. Ein ver¬<lb/> branntes Dorf, ein halbverhungerter Bauer,<lb/> mit einem Reichtum an verwilderten Hunden,<lb/> Katzen, nackte» Kindern. Wölfe, Raub, Mord<lb/> um und min so sieht des Kaisers Frieden<lb/> aus. Und nun kommt der Schweizer daher,<lb/> der Bote Gottes, mit einem unzähmbaren<lb/> Ding im Herzen, dem wir in dieser poetischen<lb/> Greifbarkeit Wohl noch nicht begegnet sind,<lb/> und nennt sich das Ding: Kulturwille. Und<lb/> ist sein einzig Wunder: Glaube und Selbst¬<lb/> losigkeit. Auftrag hat er von Gott allein,<lb/> doch schwindelt er in der Not den Leuten<lb/> den Kaiser vom blauen Himmel runter um<lb/> landauf landab schaffendes Leben, neues Ge¬<lb/> deihen hervorzuzaubern, das um ihn herum<lb/> aus dem Boden hervorwnchst, wie ein uraltes<lb/> Alltagsmärchen. Nur für ihn selber ist kein<lb/> Raum, sobald schützend daS Dach steht, die<lb/> erste Ernte wieder eingeheimst ist und friedlich<lb/> ein Herdfeuer flackert. Dann verbrennt er den<lb/> blechernen Pandursorden samt der betreßter<lb/> Uniform und zieht weiter: die Wüste ruft.<lb/> Es ist nicht behaglich der Bote Gottes zu<lb/> sein, die Boten des Kaisers haben es besser.</p> <p xml:id="ID_3147"> Gewiß, Schaffners Werk ist nicht geschlossen,<lb/> die Teile durchwachsen sich noch nicht so, wie<lb/> dies die Größe seiner Epik erfordert, aber Wohl<lb/> strahlt und leuchtet da ein Bild nach dein<lb/> anderen, in Jugendpracht und Sonnenfülle.<lb/> Nur eines: einen Augenblick nur hineingeguckt<lb/> in den Hof des gottverlassensten aller Bauern,—<lb/> ehe der Bote erscheint: „Die Ostersonne schien.<lb/> Es war eine Fülle Auferstehung im Licht,<lb/> wenn es die Glocken auch nicht beläuten<lb/> konnten, weil man sie gestohlen und den Krieg<lb/> damit bezahlt hatte. Der Schatten von zwei<lb/> wandernden Störchen ging über den Hof.<lb/> Der Bauer sah auf und es kam ihm bor,<lb/> als sei die Friedenstaube Nocchs das reine</p> <cb type="end"/><lb/> <p xml:id="ID_3148" next="#ID_3149"> Ob Moeschlin hier Halt macht und nach<lb/> einer Reihe wahrhaft tröstender Werke seinen<lb/> Platz etwa in der Reihe Wieland, Fontane,<lb/> I. V. Widmann behaglich einnimmt, — der<lb/> Platz, dünkt mich, ist so übel nicht — oder<lb/> ob er ausschlagen wird, nach rechts und nach<lb/> links, wie die Rebe auf dem Berge Samaria -.....<lb/> wer wollte da antworten? Fast ist es taktlos,<lb/> die Frage zu stellen; so scheu und geheimnis¬<lb/> voll sind die Wallungen inneren Werdens,<lb/> daß ich dus klare Gefühl habe, wir sprechen<lb/> immer zu laut und zu viel davon. Man<lb/> sollte eigentlich noch zehn Jahre über Moeschlin<lb/> überhaupt schweigen, wer weis;, ob man dann<lb/> nicht ganz anders reden könnte. Aber: que<lb/> poule? vous c>ne je lasse, — sagte der<lb/> Grüne Heinrich, wenn er sein Französisch<lb/> zeigen wollte; auch ich bin des weitver¬<lb/> breiteten Irrtums, man müsse ja leben.<lb/> Spreche ich nicht, so sagen die anderen desto<lb/> mehr, und Moeschlin hat keinen Nutzen, ich<lb/> aber den Schaden davon. So wollen wir<lb/> denn bloß immer wünschen und hoffen, daß<lb/> den Schaffenden nichts davon zu Ohren<lb/> kommt. Mit Schaffner aber ist es überhaupt<lb/> eine böse Sache. Da muß man nun ganz<lb/> sicher leise sein: denn er ist ganz ein Werdender.<lb/> Im „Bregger" ist er noch der tüchtige Schüler<lb/> tüchtiger Schule, in die er nicht zufällig hinein¬<lb/> gestolpert ist: Raabe, Fontäne, Keller. Fontane<lb/> und Keller sind im Tonfall, in des Satzes<lb/> leichtem und elegantem Rhythmus erkennbar;<lb/> das heitere Sichbescheiden, die Ehrfurcht vor<lb/> der Macht des Tntsächlichen könnte er von<lb/> beiden gelernt haben. Raabe schlägt aufs<lb/> Verborgene, mehr Innere: das Zittern einer<lb/> echten Schusterseele, das Rembrmidtsche Halb¬<lb/> dunkel der Werkstätte vor Feierabend, das<lb/> Tiefe, Ahnungsvolle und Unberechenbare, das<lb/> in der nüchternsten Menschenseele sich still ver¬<lb/> krochen duckt, im gegebenen Augenblick aber<lb/> alles über den Haufen rennt, was der Herr<lb/> im oberen Stockwerk sich fein säuberlich zurecht¬<lb/> gelegt hat, selbst wenn man ein so ehren-<lb/> und erdenfester Spezierer wie Herr Wacker,<lb/> und durchaus kein Wolkengucker ist, — daS<lb/> ist ein Porträt, dessen sich Meister und Schüler<lb/> rühmen dürfen.</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0647]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
K36
Winter brechen zwei, drei Menschen durch's
Eis/'
In seinein großen Roman „Der Bote
Gottes" ist die Befreiung natürlich und un¬
gewaltsam vollzogen. Hat da der Stoff an
sich dem Dichter den Simplizius von Grimmels-
hausen auch nahegelegt, so hat diese Ver¬
wandtschaft längst nichts Schülerhaftes mehr,
sie liegt durchaus in der Natur der Sache. Ein
gewaltiges, episches Wollen trieb den Dichter
zur Geburtsstunde, zu allem Anfang deutschen
Lebens Anno 1648. Wir stehen gleichviel
wo — es ist ja nirgends etwas vorhanden —
auf irgendeinem Punkt des weiten heiligen,
römischen Reichs deutscher Nation. Ein ver¬
branntes Dorf, ein halbverhungerter Bauer,
mit einem Reichtum an verwilderten Hunden,
Katzen, nackte» Kindern. Wölfe, Raub, Mord
um und min so sieht des Kaisers Frieden
aus. Und nun kommt der Schweizer daher,
der Bote Gottes, mit einem unzähmbaren
Ding im Herzen, dem wir in dieser poetischen
Greifbarkeit Wohl noch nicht begegnet sind,
und nennt sich das Ding: Kulturwille. Und
ist sein einzig Wunder: Glaube und Selbst¬
losigkeit. Auftrag hat er von Gott allein,
doch schwindelt er in der Not den Leuten
den Kaiser vom blauen Himmel runter um
landauf landab schaffendes Leben, neues Ge¬
deihen hervorzuzaubern, das um ihn herum
aus dem Boden hervorwnchst, wie ein uraltes
Alltagsmärchen. Nur für ihn selber ist kein
Raum, sobald schützend daS Dach steht, die
erste Ernte wieder eingeheimst ist und friedlich
ein Herdfeuer flackert. Dann verbrennt er den
blechernen Pandursorden samt der betreßter
Uniform und zieht weiter: die Wüste ruft.
Es ist nicht behaglich der Bote Gottes zu
sein, die Boten des Kaisers haben es besser.
Gewiß, Schaffners Werk ist nicht geschlossen,
die Teile durchwachsen sich noch nicht so, wie
dies die Größe seiner Epik erfordert, aber Wohl
strahlt und leuchtet da ein Bild nach dein
anderen, in Jugendpracht und Sonnenfülle.
Nur eines: einen Augenblick nur hineingeguckt
in den Hof des gottverlassensten aller Bauern,—
ehe der Bote erscheint: „Die Ostersonne schien.
Es war eine Fülle Auferstehung im Licht,
wenn es die Glocken auch nicht beläuten
konnten, weil man sie gestohlen und den Krieg
damit bezahlt hatte. Der Schatten von zwei
wandernden Störchen ging über den Hof.
Der Bauer sah auf und es kam ihm bor,
als sei die Friedenstaube Nocchs das reine
Ob Moeschlin hier Halt macht und nach
einer Reihe wahrhaft tröstender Werke seinen
Platz etwa in der Reihe Wieland, Fontane,
I. V. Widmann behaglich einnimmt, — der
Platz, dünkt mich, ist so übel nicht — oder
ob er ausschlagen wird, nach rechts und nach
links, wie die Rebe auf dem Berge Samaria -.....
wer wollte da antworten? Fast ist es taktlos,
die Frage zu stellen; so scheu und geheimnis¬
voll sind die Wallungen inneren Werdens,
daß ich dus klare Gefühl habe, wir sprechen
immer zu laut und zu viel davon. Man
sollte eigentlich noch zehn Jahre über Moeschlin
überhaupt schweigen, wer weis;, ob man dann
nicht ganz anders reden könnte. Aber: que
poule? vous c>ne je lasse, — sagte der
Grüne Heinrich, wenn er sein Französisch
zeigen wollte; auch ich bin des weitver¬
breiteten Irrtums, man müsse ja leben.
Spreche ich nicht, so sagen die anderen desto
mehr, und Moeschlin hat keinen Nutzen, ich
aber den Schaden davon. So wollen wir
denn bloß immer wünschen und hoffen, daß
den Schaffenden nichts davon zu Ohren
kommt. Mit Schaffner aber ist es überhaupt
eine böse Sache. Da muß man nun ganz
sicher leise sein: denn er ist ganz ein Werdender.
Im „Bregger" ist er noch der tüchtige Schüler
tüchtiger Schule, in die er nicht zufällig hinein¬
gestolpert ist: Raabe, Fontäne, Keller. Fontane
und Keller sind im Tonfall, in des Satzes
leichtem und elegantem Rhythmus erkennbar;
das heitere Sichbescheiden, die Ehrfurcht vor
der Macht des Tntsächlichen könnte er von
beiden gelernt haben. Raabe schlägt aufs
Verborgene, mehr Innere: das Zittern einer
echten Schusterseele, das Rembrmidtsche Halb¬
dunkel der Werkstätte vor Feierabend, das
Tiefe, Ahnungsvolle und Unberechenbare, das
in der nüchternsten Menschenseele sich still ver¬
krochen duckt, im gegebenen Augenblick aber
alles über den Haufen rennt, was der Herr
im oberen Stockwerk sich fein säuberlich zurecht¬
gelegt hat, selbst wenn man ein so ehren-
und erdenfester Spezierer wie Herr Wacker,
und durchaus kein Wolkengucker ist, — daS
ist ein Porträt, dessen sich Meister und Schüler
rühmen dürfen.
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Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
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