Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches [Beginn Spaltensatz] und doch wieder eine Wohl verstandesmüßig "Und diese seltsamen, ja unangenehmen Die Bauern standen da, als fiele am Man steht erstaunt und ergriffen vor Dock genug des Vergleichs, beide haben "Na ja, mit der Herrlichkeit ist's nicht *) A. Francke, Bern. 3 Bände. " **) "Der Bote Gottes, 249 Seite". **") Ebenda, S. 26ö.
Maßgebliches und Unmaßgebliches [Beginn Spaltensatz] und doch wieder eine Wohl verstandesmüßig „Und diese seltsamen, ja unangenehmen Die Bauern standen da, als fiele am Man steht erstaunt und ergriffen vor Dock genug des Vergleichs, beide haben „Na ja, mit der Herrlichkeit ist's nicht *) A. Francke, Bern. 3 Bände. " **) „Der Bote Gottes, 249 Seite». **") Ebenda, S. 26ö.
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Der unauf¬<lb/> hörlich „malende", „bildende" Geist der ale¬<lb/> mannischen Mundart, dem eine erstaunliche<lb/> Symbolik innewohnt, ist in ihm lebendig.<lb/> Man braucht nur das Wunderbolle Werk<lb/> Emanuel Friedlis „Berndütsch, als Spiegel<lb/> des bernischen Volkstums"*) zu studieren,<lb/> um die stets aus der augenblicklichen Umwelt<lb/> schaffende Symbolik des Alemannischen kennen<lb/> zu lernen und zugleich die Quelle zu kosten,<lb/> aus der ein Stil wie Schaffners entspringt.<lb/> Die frisch geprägte Redensart sprudelt er<lb/> nur so heraus, als schlüge er Münze für<lb/> Peter und Paul mit jedem Satz: „Der Süße<lb/> tappte wie ein Nasenbär, und die andern<lb/> beiden hatten Ladestocke in den Beinen"**).<lb/> Oder: „Ihr seid beide gleich unsinnig. Und<lb/> wenn es möglich wäre, daß einer noch<lb/> dümmer wäre als ihr, so könnte er sich nicht<lb/> mehr zusammenhalten und müßte ausein¬<lb/> anderfallen vor Dummheit"***) Das kann<lb/> sich vor Bild und Bildnerlust kaum halten<lb/> und hält sich auch zuweilen nicht in seinein<lb/> üppigen Wuchern, in unverbrauchter Ver¬<lb/> schwendung. Dagegen ist Moeschlin der kluge<lb/> Wirt und Künstler. Ihm sind die Schätze,<lb/> die Schaffner mit vollen Händen ausstreut,<lb/> nicht weniger zugänglich; aber er beherrscht<lb/> die Wirkung. Es muß bei ihm alles seine<lb/> größtmögliche Wirkung hergeben und deshalb<lb/> setzt er bewußt seinen leuchtenden Stein in<lb/> die gedämpfte Umgebung. Dafür wirkt er<lb/> auch schlagend: mitten in den trockensten<lb/> Geschäftsbericht bricht seine Sprachpoesie hin¬<lb/> ein, das Armlichste siegreich umgoldend:</p> <note xml:id="FID_70" place="foot"> *) A. Francke, Bern. 3 Bände.<lb/> "</note> <note xml:id="FID_71" place="foot"> **) „Der Bote Gottes, 249 Seite».</note> <note xml:id="FID_72" place="foot"> **") Ebenda, S. 26ö.</note> <cb/><lb/> <p xml:id="ID_3138" prev="#ID_3137"> „Und diese seltsamen, ja unangenehmen<lb/> Herren erklärten den Appelvikern, daß bei<lb/> einem Konkurse vor allem und zu allererst<lb/> die Ansprüche der Gläubiger befriedigt werden<lb/> müßten. Erst wenn das geschehen sei, kämen<lb/> die Aktionäre an die Reihe. Die Gläubiger<lb/> aber, das seien sie.</p> <p xml:id="ID_3139"> Die Bauern standen da, als fiele am<lb/> heiterhellen Tage die Sonne vom Himmel<lb/> herunter wie ein angeschossener Vogel und<lb/> rundum werde es rabenschwarz."</p> <p xml:id="ID_3140"> Man steht erstaunt und ergriffen vor<lb/> der Überlegenheit dieser Reife der Könner¬<lb/> schaft bei einem jungen Erzähler, während<lb/> Schaffner eher das innere Wohlbehagen sorg¬<lb/> losen Reichtums weckt: greift zu, man hat's,<lb/> es ist nicht wie bei armen LeutenI</p> <p xml:id="ID_3141"> Dock genug des Vergleichs, beide haben<lb/> ein Anrecht, auch für sich betrachtet zu werden.<lb/> Moeschlins Werk zeigt uns den Künstler als<lb/> einen Fertigen. Er besitzt die Fähigkeit, die<lb/> Ideenfülle eines ganzen Zeitalters Poetisch<lb/> zu bewältigen, er beherrscht die Ökonomie<lb/> seiner Mittel: eine Entwicklung ist da eigent¬<lb/> lich kaum zu erwarten, — es sei denn als<lb/> eine Neugeburt der ganzen Individualität,<lb/> die bei dem Genie immer denkbar ist, die<lb/> jedoch die Kritik nur begreifen kann, wenn<lb/> sie schon da ist. Was aber Moeschlins fol¬<lb/> gende Werke selbst dann vor Interesse¬<lb/> losigkeit bewahren wird, wenn dieses Wun¬<lb/> der ausbleibt, das ist sein echter Humor,<lb/> dasselbe, was uns Fontane trotz des Sich¬<lb/> gleichbleibens nie überdrüssig werden läßt.<lb/> Der echte Humor, im Grunde die Fähigkeit,<lb/> die Welt von zwei oder mehr Gesichtswinkeln<lb/> aus in gleich gescheuter und origineller Weise<lb/> zu betrachten, bleibt stets neu, weil wir ihrer<lb/> in unserer jämmerlichen Gebundenheit so sehr<lb/> bedürfen, um das Leben irgendwie ertragen<lb/> zu können. Der Tourist und der Amerika-<lb/> Johann, die sich auf S. 266 unterhalten, sind<lb/> beide gleich gescheut, beide gleich ernst zu<lb/> nehmen, sogut wie Don Quixote und Sancho<lb/> Pansa. „Und die liebe Schwester, o Was¬<lb/> ser! ... Du göttlicher See... so blau, daß<lb/> das Meer in der Bucht von Neapel nicht<lb/> blauer sein kann. Herrliches Wasser!"</p> <p xml:id="ID_3142" next="#ID_3143"> „Na ja, mit der Herrlichkeit ist's nicht<lb/> so weit her. Gut zum Trinken ist es<lb/> nicht, Fische gibt's auch nicht, und jeden</p> <cb type="end"/><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0646]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
und doch wieder eine Wohl verstandesmüßig
bedingte, aber dennoch imperative Einsicht in
die Notwendigkeit und Unerbittlichkeit des
Fortschritts und auch einen Willen zu ihm,
weil der mit dem Willen zur Macht, ja
zum Leben gleichbedeutend ist. Ein gut
Stück Landsmannschaft mit dem großen
„Lido/en 6e Qenöve" und ein Achtung ge¬
bietender künstlerischer Ernst ist Wohl auch
Baseler Erbgut. Und doch als Künstler eher
Gegensätze als Verwandte. Schaffner Poet
bis in die Fingerspitzen, ein „poieres" im
griechischen Sinne des Wortes. Der unauf¬
hörlich „malende", „bildende" Geist der ale¬
mannischen Mundart, dem eine erstaunliche
Symbolik innewohnt, ist in ihm lebendig.
Man braucht nur das Wunderbolle Werk
Emanuel Friedlis „Berndütsch, als Spiegel
des bernischen Volkstums"*) zu studieren,
um die stets aus der augenblicklichen Umwelt
schaffende Symbolik des Alemannischen kennen
zu lernen und zugleich die Quelle zu kosten,
aus der ein Stil wie Schaffners entspringt.
Die frisch geprägte Redensart sprudelt er
nur so heraus, als schlüge er Münze für
Peter und Paul mit jedem Satz: „Der Süße
tappte wie ein Nasenbär, und die andern
beiden hatten Ladestocke in den Beinen"**).
Oder: „Ihr seid beide gleich unsinnig. Und
wenn es möglich wäre, daß einer noch
dümmer wäre als ihr, so könnte er sich nicht
mehr zusammenhalten und müßte ausein¬
anderfallen vor Dummheit"***) Das kann
sich vor Bild und Bildnerlust kaum halten
und hält sich auch zuweilen nicht in seinein
üppigen Wuchern, in unverbrauchter Ver¬
schwendung. Dagegen ist Moeschlin der kluge
Wirt und Künstler. Ihm sind die Schätze,
die Schaffner mit vollen Händen ausstreut,
nicht weniger zugänglich; aber er beherrscht
die Wirkung. Es muß bei ihm alles seine
größtmögliche Wirkung hergeben und deshalb
setzt er bewußt seinen leuchtenden Stein in
die gedämpfte Umgebung. Dafür wirkt er
auch schlagend: mitten in den trockensten
Geschäftsbericht bricht seine Sprachpoesie hin¬
ein, das Armlichste siegreich umgoldend:
„Und diese seltsamen, ja unangenehmen
Herren erklärten den Appelvikern, daß bei
einem Konkurse vor allem und zu allererst
die Ansprüche der Gläubiger befriedigt werden
müßten. Erst wenn das geschehen sei, kämen
die Aktionäre an die Reihe. Die Gläubiger
aber, das seien sie.
Die Bauern standen da, als fiele am
heiterhellen Tage die Sonne vom Himmel
herunter wie ein angeschossener Vogel und
rundum werde es rabenschwarz."
Man steht erstaunt und ergriffen vor
der Überlegenheit dieser Reife der Könner¬
schaft bei einem jungen Erzähler, während
Schaffner eher das innere Wohlbehagen sorg¬
losen Reichtums weckt: greift zu, man hat's,
es ist nicht wie bei armen LeutenI
Dock genug des Vergleichs, beide haben
ein Anrecht, auch für sich betrachtet zu werden.
Moeschlins Werk zeigt uns den Künstler als
einen Fertigen. Er besitzt die Fähigkeit, die
Ideenfülle eines ganzen Zeitalters Poetisch
zu bewältigen, er beherrscht die Ökonomie
seiner Mittel: eine Entwicklung ist da eigent¬
lich kaum zu erwarten, — es sei denn als
eine Neugeburt der ganzen Individualität,
die bei dem Genie immer denkbar ist, die
jedoch die Kritik nur begreifen kann, wenn
sie schon da ist. Was aber Moeschlins fol¬
gende Werke selbst dann vor Interesse¬
losigkeit bewahren wird, wenn dieses Wun¬
der ausbleibt, das ist sein echter Humor,
dasselbe, was uns Fontane trotz des Sich¬
gleichbleibens nie überdrüssig werden läßt.
Der echte Humor, im Grunde die Fähigkeit,
die Welt von zwei oder mehr Gesichtswinkeln
aus in gleich gescheuter und origineller Weise
zu betrachten, bleibt stets neu, weil wir ihrer
in unserer jämmerlichen Gebundenheit so sehr
bedürfen, um das Leben irgendwie ertragen
zu können. Der Tourist und der Amerika-
Johann, die sich auf S. 266 unterhalten, sind
beide gleich gescheut, beide gleich ernst zu
nehmen, sogut wie Don Quixote und Sancho
Pansa. „Und die liebe Schwester, o Was¬
ser! ... Du göttlicher See... so blau, daß
das Meer in der Bucht von Neapel nicht
blauer sein kann. Herrliches Wasser!"
„Na ja, mit der Herrlichkeit ist's nicht
so weit her. Gut zum Trinken ist es
nicht, Fische gibt's auch nicht, und jeden
*) A. Francke, Bern. 3 Bände.
"
**) „Der Bote Gottes, 249 Seite».
**") Ebenda, S. 26ö.
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