Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches [Beginn Spaltensatz] Schöne Literatur Die jungen Schweizer. Den historischen Noch mehr als Conrad Ferdinand Meyer Der Jonathan Bregger, der in den mitmachen will und nicht kann, ist ein Sym- Dagegen haftet Moeschlin durchaus am Auch sonst weisen Schaffner und Moeschlin ") Jakob Schaffner: "Die Irrfahrten des Jonathan Bregger." Fischers Roman¬ bibliothek. 1 M. "Der Bote Gottes." Roman. S. Fischers Verlag, Berlin 1911. 4 M. **) Felix. Moeschlin: "Der Amerika-Jo¬
hann." Verlag von Gideon Karl Sarasin, Leipzig 19t 2. Maßgebliches und Unmaßgebliches [Beginn Spaltensatz] Schöne Literatur Die jungen Schweizer. Den historischen Noch mehr als Conrad Ferdinand Meyer Der Jonathan Bregger, der in den mitmachen will und nicht kann, ist ein Sym- Dagegen haftet Moeschlin durchaus am Auch sonst weisen Schaffner und Moeschlin ") Jakob Schaffner: „Die Irrfahrten des Jonathan Bregger." Fischers Roman¬ bibliothek. 1 M. „Der Bote Gottes." Roman. S. Fischers Verlag, Berlin 1911. 4 M. **) Felix. Moeschlin: „Der Amerika-Jo¬
hann." Verlag von Gideon Karl Sarasin, Leipzig 19t 2. <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0645" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/323047"/> <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341895_322400/figures/grenzboten_341895_322400_323047_000.jpg"/><lb/> </div> <div n="1"> <head> Maßgebliches und Unmaßgebliches</head><lb/> <cb type="start"/> <div n="2"> <head> Schöne Literatur</head> <p xml:id="ID_3131"> Die jungen Schweizer. Den historischen<lb/> Roman, der zur Zeit der archäologischen<lb/> Dichtung der Ebers, Dahn u. a, so sehr im<lb/> argen lag, hat C. F. Meyer mit am kräftigsten<lb/> neugestaltet. Statt der Poetisch angefärbten<lb/> Geschichtserzählung vermochte er das histo¬<lb/> rische Geschehnis in poetische Handlung umzu¬<lb/> modeln und, ein dichterischer ?Ihm - sir-<lb/> Künstler die historische Atmosphäre hervorzu¬<lb/> zaubern. Zwei starkbegabte Erzähler, beide<lb/> Baseler, wandeln auf gleicher Bahn.: Jakob<lb/> Schaffner") und Felix Moeschlin"*),</p> <p xml:id="ID_3132"> Noch mehr als Conrad Ferdinand Meyer<lb/> entfernen sich beide vom historischen Geschehnis<lb/> und suchen durchaus unabhängig von ihm das<lb/> geschichtliche plain-iur, die Atmosphäre der<lb/> Zeit. Sie bauen im Gegensatz zu Meyer ihre<lb/> Handlung auf den Lebensgang eines un-<lb/> historischen Menschen, eines Premier venu<lb/> auf, der aber von den großen Ereignissen<lb/> seine Beleuchtung erfährt. Dabei tritt ein<lb/> reizvoller Gegensatz der poetischen Empfin-<lb/> dungsart zutage. Schaffner geht ins Meta¬<lb/> physische, in das Naturwissenschaftliche, Moesch-<lb/> lin verharrt bei dem Einzelfall, bei der<lb/> Historie.</p> <p xml:id="ID_3133" next="#ID_3134"> Der Jonathan Bregger, der in den<lb/> siebziger Jahren die Umwandlung von der<lb/> patriarchalischen Handarbeit zur Großindustrie</p> <note xml:id="FID_68" place="foot"> ") Jakob Schaffner: „Die Irrfahrten<lb/> des Jonathan Bregger." Fischers Roman¬<lb/> bibliothek. 1 M. „Der Bote Gottes." Roman.<lb/> S. Fischers Verlag, Berlin 1911. 4 M.</note> <cb/><lb/> <p xml:id="ID_3134" prev="#ID_3133"> mitmachen will und nicht kann, ist ein Sym-<lb/> bolon sich ablösender Weltordnungen, er<lb/> deutet über sich hinaus auf eine Einheit.<lb/> Der Bote Gottes, der allein vom Gefühl<lb/> seiner inneren Sendung getrieben, nach dem<lb/> westfälischen Krieg hingeht und kraft der Voll¬<lb/> macht, die er von Gott erhalten und vom<lb/> Kaiser erlogen, Leben, Gedeihen in die Wüsten<lb/> trägt, ist der Kulturwille in Fleisch und Bein<lb/> und spricht Baseldütsch. Wo steht geschrieben,<lb/> daß Gott nicht auch diesen Dialekt versteht?<lb/> Das Bezeichnende ist, daß dieser Kulturwille<lb/> — mutstis mutsnäis — in alle Ewigkeit<lb/> hinein sich so gebärden wird, so oft ein Mensch<lb/> von Gottes Gnaden dem irdischen Nichts,<lb/> dem deutschen Zustand nach dem westfälischen<lb/> Frieden gegenübergestellt wird. So ist<lb/> Schaffners Geist eigentlich naturwissenschaftlich<lb/> eingestellt: er sucht das Gemeinsame der Er¬<lb/> scheinungen.</p> <p xml:id="ID_3135"> Dagegen haftet Moeschlin durchaus am<lb/> Einzelfall, ein Vollbluthistoriker, der beruflich,<lb/> wie ich höre — eine Ironie des Schicksals —,<lb/> Ingenieur ist. Ztppelvik ist ein Dorf in<lb/> Schweden. Die Bauern leben fast ganz in<lb/> der Naturalwirtschaft. Da kommt der Amerika-<lb/> Johann heim und bringt das Geld. Das<lb/> kehrt das unterste zu oberst und wir erleben<lb/> die Geschichte Europas Ende des neunzehnten<lb/> Jahrhunderts in Appelvik, wie sie Wohl auch<lb/> typisch und allgemeingültig in ihrem Prinzip,<lb/> jedoch eben durch die festgekettete Einzigkeit<lb/> des eben vorliegenden Falles ihren gewaltigen<lb/> Zauber ausübt.</p> <p xml:id="ID_3136" next="#ID_3137"> Auch sonst weisen Schaffner und Moeschlin<lb/> gar verlockende Ähnlichkeiten und Verschieden¬<lb/> heiten auf und geben miteinander ein treff¬<lb/> liches Stück Basel. Alte, vererbte, veredelte<lb/> Kultur, Liebe und Verständnis für Tradition</p> <cb type="end"/><lb/> <note xml:id="FID_69" place="foot"> **) Felix. Moeschlin: „Der Amerika-Jo¬<lb/> hann." Verlag von Gideon Karl Sarasin,<lb/> Leipzig 19t 2.</note><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0645]
[Abbildung]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
Schöne Literatur Die jungen Schweizer. Den historischen
Roman, der zur Zeit der archäologischen
Dichtung der Ebers, Dahn u. a, so sehr im
argen lag, hat C. F. Meyer mit am kräftigsten
neugestaltet. Statt der Poetisch angefärbten
Geschichtserzählung vermochte er das histo¬
rische Geschehnis in poetische Handlung umzu¬
modeln und, ein dichterischer ?Ihm - sir-
Künstler die historische Atmosphäre hervorzu¬
zaubern. Zwei starkbegabte Erzähler, beide
Baseler, wandeln auf gleicher Bahn.: Jakob
Schaffner") und Felix Moeschlin"*),
Noch mehr als Conrad Ferdinand Meyer
entfernen sich beide vom historischen Geschehnis
und suchen durchaus unabhängig von ihm das
geschichtliche plain-iur, die Atmosphäre der
Zeit. Sie bauen im Gegensatz zu Meyer ihre
Handlung auf den Lebensgang eines un-
historischen Menschen, eines Premier venu
auf, der aber von den großen Ereignissen
seine Beleuchtung erfährt. Dabei tritt ein
reizvoller Gegensatz der poetischen Empfin-
dungsart zutage. Schaffner geht ins Meta¬
physische, in das Naturwissenschaftliche, Moesch-
lin verharrt bei dem Einzelfall, bei der
Historie.
Der Jonathan Bregger, der in den
siebziger Jahren die Umwandlung von der
patriarchalischen Handarbeit zur Großindustrie
mitmachen will und nicht kann, ist ein Sym-
bolon sich ablösender Weltordnungen, er
deutet über sich hinaus auf eine Einheit.
Der Bote Gottes, der allein vom Gefühl
seiner inneren Sendung getrieben, nach dem
westfälischen Krieg hingeht und kraft der Voll¬
macht, die er von Gott erhalten und vom
Kaiser erlogen, Leben, Gedeihen in die Wüsten
trägt, ist der Kulturwille in Fleisch und Bein
und spricht Baseldütsch. Wo steht geschrieben,
daß Gott nicht auch diesen Dialekt versteht?
Das Bezeichnende ist, daß dieser Kulturwille
— mutstis mutsnäis — in alle Ewigkeit
hinein sich so gebärden wird, so oft ein Mensch
von Gottes Gnaden dem irdischen Nichts,
dem deutschen Zustand nach dem westfälischen
Frieden gegenübergestellt wird. So ist
Schaffners Geist eigentlich naturwissenschaftlich
eingestellt: er sucht das Gemeinsame der Er¬
scheinungen.
Dagegen haftet Moeschlin durchaus am
Einzelfall, ein Vollbluthistoriker, der beruflich,
wie ich höre — eine Ironie des Schicksals —,
Ingenieur ist. Ztppelvik ist ein Dorf in
Schweden. Die Bauern leben fast ganz in
der Naturalwirtschaft. Da kommt der Amerika-
Johann heim und bringt das Geld. Das
kehrt das unterste zu oberst und wir erleben
die Geschichte Europas Ende des neunzehnten
Jahrhunderts in Appelvik, wie sie Wohl auch
typisch und allgemeingültig in ihrem Prinzip,
jedoch eben durch die festgekettete Einzigkeit
des eben vorliegenden Falles ihren gewaltigen
Zauber ausübt.
Auch sonst weisen Schaffner und Moeschlin
gar verlockende Ähnlichkeiten und Verschieden¬
heiten auf und geben miteinander ein treff¬
liches Stück Basel. Alte, vererbte, veredelte
Kultur, Liebe und Verständnis für Tradition
") Jakob Schaffner: „Die Irrfahrten
des Jonathan Bregger." Fischers Roman¬
bibliothek. 1 M. „Der Bote Gottes." Roman.
S. Fischers Verlag, Berlin 1911. 4 M.
**) Felix. Moeschlin: „Der Amerika-Jo¬
hann." Verlag von Gideon Karl Sarasin,
Leipzig 19t 2.
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