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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr.

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Der Brief des Dichters und das Rezept des Landammaniis

Erhalten wohl, sagte sie und wurde still, als sie vor seinen Augen noch
lächeln wollte; dann aber faßte sie sich gleich und rief nach ihrem Knaben, der
irgendwoher lustige Antwort gab: Da er nun einmal geschrieben habe, sei sie ihm
das Rezept von ihrem Vater schuldig geworden. Sie versuchte schon wieder zu
lächeln und es wurde dasselbe Gesicht voll weiblichem Hinterhalt daraus, das
sie ihm gestern beim Abschied gelassen hatte, nur daß in die Schelmerei der
Ernst gefallen war: Ihr Vater wäre der Landammann von Schwyz gewesen,
dessen Urteil im Land wie ein Gesetz gegolten habe; da ihre Mutter früh
gestorben und sie das einzige Kind gewesen sei. hätte sie anders als sonst wohl
eine Tochter zu ihm gestanden in ihrem zweisamen Beisammensein. So habe
ihr der Vater schon als Mädchen abverlangt, alles, was sie ihm nicht ohne
Überwindung sagen könne, in einen Brief zu schreiben, den er ihr nie vorhalten
wolle, wie böse oder unrecht er auch wäre, damit ihr keine Verstimmung einen
Rest im Herzen lasse, aus denen sich allmählich Mißtrauen sammele.

Sie habe das Rezept durch ihre Mädchen- und Jungfrauenjahre treu
befolgt, anfänglich oft, dann immer seltener; sie sei wohl manchmal ungerecht
und hitzig, doch immer aufrichtig dabei gewesen, da sie gesehen habe, mit welcher
Milde ihr Vater alle Launen, Klagen und Vorwürfe ertrug. Bis ihr der
Hochzeitstag diese Milde zwar auf eine resolute Art, jedoch die Weisheit des
Rezeptes um so unerwarteter offenbart habe. Unter allen Geschenken dieses
Tages sei nämlich eins gewesen, das ihr der Vater selber in die Hand gegeben
habe: ein Kästchen aus polierten Birnenholz mit ihrem Namenszug in eingelegter
Perlmutterarbeit und einem vergoldeten Schlüsselchen; darin hätten all ihre
Briefe in der Reihenfolge gelegen, wie sie geschrieben waren, keiner fehlend --
und alle ungeöffnet: da es bei solchem Unkraut wohl wichtig sei, daß es
vom eigenen Herzen loskäme, nicht aber, daß es seine Saat in andere
Herzen würfe!

Als so die blonde Doktorsfrau aus Schwyz dem Dichter das Rezept von
ihrem Vater, demi Landammann, gegeben hatte, holte sie auch seinen Brief
heraus, der in bunter Umhüllung ein ziemliches Päckchen war: sie habe ihn:
kein Kästchen aus Birnenholz machen können, wohl aber eine Tasche aus Zürcher
Seide, wenn ihm ein Andenken an sie nachdem nicht unlieb wäre.

Da riß der Dichter, der in seiner Enttäuschung die Weisheit des Land-
ammanns nicht schmackhaft finden konnte und sich in einem Spiel gespiegelt
sah, wo er im Feuer gebrannt hatte, den Brief aus seiner Hülle, dessen Siegel
unerbrochen war, und wollte ihn durch die blaugrünen Spalten zornig in die
tiefe Muota hinunterwerfen. Weil aber das Päckchen zu dick war und sich
zwängte, mußte er ihm kniend nachhelfen, so daß der Knabe, zufällig von seiner
Kletterei in den Schattengang der Brücke tretend, ihn in derselben Stellung
überraschte, in der er selber vor zwei Tagen da gewesen war. Nur, daß er
nicht aufsprang bei seinen Schritten, sondern tief auf die Spalten gebeugt zornige
Tränen tropfen ließ.


Der Brief des Dichters und das Rezept des Landammaniis

Erhalten wohl, sagte sie und wurde still, als sie vor seinen Augen noch
lächeln wollte; dann aber faßte sie sich gleich und rief nach ihrem Knaben, der
irgendwoher lustige Antwort gab: Da er nun einmal geschrieben habe, sei sie ihm
das Rezept von ihrem Vater schuldig geworden. Sie versuchte schon wieder zu
lächeln und es wurde dasselbe Gesicht voll weiblichem Hinterhalt daraus, das
sie ihm gestern beim Abschied gelassen hatte, nur daß in die Schelmerei der
Ernst gefallen war: Ihr Vater wäre der Landammann von Schwyz gewesen,
dessen Urteil im Land wie ein Gesetz gegolten habe; da ihre Mutter früh
gestorben und sie das einzige Kind gewesen sei. hätte sie anders als sonst wohl
eine Tochter zu ihm gestanden in ihrem zweisamen Beisammensein. So habe
ihr der Vater schon als Mädchen abverlangt, alles, was sie ihm nicht ohne
Überwindung sagen könne, in einen Brief zu schreiben, den er ihr nie vorhalten
wolle, wie böse oder unrecht er auch wäre, damit ihr keine Verstimmung einen
Rest im Herzen lasse, aus denen sich allmählich Mißtrauen sammele.

Sie habe das Rezept durch ihre Mädchen- und Jungfrauenjahre treu
befolgt, anfänglich oft, dann immer seltener; sie sei wohl manchmal ungerecht
und hitzig, doch immer aufrichtig dabei gewesen, da sie gesehen habe, mit welcher
Milde ihr Vater alle Launen, Klagen und Vorwürfe ertrug. Bis ihr der
Hochzeitstag diese Milde zwar auf eine resolute Art, jedoch die Weisheit des
Rezeptes um so unerwarteter offenbart habe. Unter allen Geschenken dieses
Tages sei nämlich eins gewesen, das ihr der Vater selber in die Hand gegeben
habe: ein Kästchen aus polierten Birnenholz mit ihrem Namenszug in eingelegter
Perlmutterarbeit und einem vergoldeten Schlüsselchen; darin hätten all ihre
Briefe in der Reihenfolge gelegen, wie sie geschrieben waren, keiner fehlend —
und alle ungeöffnet: da es bei solchem Unkraut wohl wichtig sei, daß es
vom eigenen Herzen loskäme, nicht aber, daß es seine Saat in andere
Herzen würfe!

Als so die blonde Doktorsfrau aus Schwyz dem Dichter das Rezept von
ihrem Vater, demi Landammann, gegeben hatte, holte sie auch seinen Brief
heraus, der in bunter Umhüllung ein ziemliches Päckchen war: sie habe ihn:
kein Kästchen aus Birnenholz machen können, wohl aber eine Tasche aus Zürcher
Seide, wenn ihm ein Andenken an sie nachdem nicht unlieb wäre.

Da riß der Dichter, der in seiner Enttäuschung die Weisheit des Land-
ammanns nicht schmackhaft finden konnte und sich in einem Spiel gespiegelt
sah, wo er im Feuer gebrannt hatte, den Brief aus seiner Hülle, dessen Siegel
unerbrochen war, und wollte ihn durch die blaugrünen Spalten zornig in die
tiefe Muota hinunterwerfen. Weil aber das Päckchen zu dick war und sich
zwängte, mußte er ihm kniend nachhelfen, so daß der Knabe, zufällig von seiner
Kletterei in den Schattengang der Brücke tretend, ihn in derselben Stellung
überraschte, in der er selber vor zwei Tagen da gewesen war. Nur, daß er
nicht aufsprang bei seinen Schritten, sondern tief auf die Spalten gebeugt zornige
Tränen tropfen ließ.


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[0634] Der Brief des Dichters und das Rezept des Landammaniis Erhalten wohl, sagte sie und wurde still, als sie vor seinen Augen noch lächeln wollte; dann aber faßte sie sich gleich und rief nach ihrem Knaben, der irgendwoher lustige Antwort gab: Da er nun einmal geschrieben habe, sei sie ihm das Rezept von ihrem Vater schuldig geworden. Sie versuchte schon wieder zu lächeln und es wurde dasselbe Gesicht voll weiblichem Hinterhalt daraus, das sie ihm gestern beim Abschied gelassen hatte, nur daß in die Schelmerei der Ernst gefallen war: Ihr Vater wäre der Landammann von Schwyz gewesen, dessen Urteil im Land wie ein Gesetz gegolten habe; da ihre Mutter früh gestorben und sie das einzige Kind gewesen sei. hätte sie anders als sonst wohl eine Tochter zu ihm gestanden in ihrem zweisamen Beisammensein. So habe ihr der Vater schon als Mädchen abverlangt, alles, was sie ihm nicht ohne Überwindung sagen könne, in einen Brief zu schreiben, den er ihr nie vorhalten wolle, wie böse oder unrecht er auch wäre, damit ihr keine Verstimmung einen Rest im Herzen lasse, aus denen sich allmählich Mißtrauen sammele. Sie habe das Rezept durch ihre Mädchen- und Jungfrauenjahre treu befolgt, anfänglich oft, dann immer seltener; sie sei wohl manchmal ungerecht und hitzig, doch immer aufrichtig dabei gewesen, da sie gesehen habe, mit welcher Milde ihr Vater alle Launen, Klagen und Vorwürfe ertrug. Bis ihr der Hochzeitstag diese Milde zwar auf eine resolute Art, jedoch die Weisheit des Rezeptes um so unerwarteter offenbart habe. Unter allen Geschenken dieses Tages sei nämlich eins gewesen, das ihr der Vater selber in die Hand gegeben habe: ein Kästchen aus polierten Birnenholz mit ihrem Namenszug in eingelegter Perlmutterarbeit und einem vergoldeten Schlüsselchen; darin hätten all ihre Briefe in der Reihenfolge gelegen, wie sie geschrieben waren, keiner fehlend — und alle ungeöffnet: da es bei solchem Unkraut wohl wichtig sei, daß es vom eigenen Herzen loskäme, nicht aber, daß es seine Saat in andere Herzen würfe! Als so die blonde Doktorsfrau aus Schwyz dem Dichter das Rezept von ihrem Vater, demi Landammann, gegeben hatte, holte sie auch seinen Brief heraus, der in bunter Umhüllung ein ziemliches Päckchen war: sie habe ihn: kein Kästchen aus Birnenholz machen können, wohl aber eine Tasche aus Zürcher Seide, wenn ihm ein Andenken an sie nachdem nicht unlieb wäre. Da riß der Dichter, der in seiner Enttäuschung die Weisheit des Land- ammanns nicht schmackhaft finden konnte und sich in einem Spiel gespiegelt sah, wo er im Feuer gebrannt hatte, den Brief aus seiner Hülle, dessen Siegel unerbrochen war, und wollte ihn durch die blaugrünen Spalten zornig in die tiefe Muota hinunterwerfen. Weil aber das Päckchen zu dick war und sich zwängte, mußte er ihm kniend nachhelfen, so daß der Knabe, zufällig von seiner Kletterei in den Schattengang der Brücke tretend, ihn in derselben Stellung überraschte, in der er selber vor zwei Tagen da gewesen war. Nur, daß er nicht aufsprang bei seinen Schritten, sondern tief auf die Spalten gebeugt zornige Tränen tropfen ließ.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_322400/634>, abgerufen am 15.01.2025.