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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr.

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Der Lricf des Dichters und das Rezcxt des Landammcinns

ausfloß und mit den strömenden Tränen sich doch im Ausbruch solchen
Schmerzes etwas Großes retten wollte, prasselten nach den ersten klatschenden
Tropfen die Wasserstürze nieder und spotteten auch seiner salzigen Tränen, daß
er wie ein gestürzter Vogel daliegen blieb und sich vom Wasser des Himmels
durchtränken ließ.

Als der Dichter, dem das begegnet war, wieder zu sich kam aus den
Untiefen seiner Ohnmacht, waren Sturm und Donner mit zackigen Blitzen schon
weit hinunter ins flachere Land um Einsiedeln gefahren und nur noch der Regen
strömte sein rieselndes Geräusch. Irgendwer hatte ihn an der Schulter gefaßt,
und als er aufsah, stand die Frau tiefgebeugt zu ihm und sah mit ihren Augen
erschrocken in die seinen. Da griff er die Hand mit beiden Händen und legte
Augen und Mund hinein und küßte sie, wie nie ein Heiligtum geküßt wurde.
Und sie, die außer dem Bereich seiner Seele eine Doktorsfrau zu Schwnz war
und ihren Knaben mit dem Knecht starr auf dies Schauspiel blicken sah, zog
ihm die Hand nicht fort und stand ihm bei mit ihrer Menschennase, bis er sie
selber ließ und tief aufstöhnend auch das Gewitter seiner Seele in kräuselnden
Tränen zur Ruhe brachte.

Sie standen nachher noch auf dem Gipfel bei dem ragenden Steinkreuz,
sahen tiefeingebettete Seegewässer und Berggipfel wie einen Sturzäcker liegen:
in des Dichters Seele drangen sie nicht mehr ein; die hatte ihr Gehäuse
geschlossen, und was dann mit den anderen stundenlang auf schlüpfrig gewordenen
Felsspuren hinunterstieg, war ein demütiges Menschentier, das in nassen Kleidern
fröstelte wie sie. Nur als sie, immer noch stumm von dem Ereignis, sich unten
trennten und der Dichter in einem wehen Gefühl, daß sie ihn mißverstehen
könnte, zum Abschied noch einmal ihre Hand bekam und sie fragte, ob er ihr
davon schreiben dürste, was ihm da oben begegnet wäre: sah er sie rot werden
und dann lächeln mit Hinterhalt, wie nur eine Frau lächeln kann, doch mit
hellen Augen, die fast schelmisch mit irgendeinem Einfall waren: das dürfe
er, nur müsse sie ihn: dann auch das Rezept von ihrem Vater, dem Land-
ammann, sagen." "




So kam es, daß der Dichter Friedrich Gottlieb Klopstock in den "Drei
Eidgenossen" zu Schwyz einen Brief schrieb, in dem er tiefer an die hilflose
Not des Menschenschicksals zu rühren glaubte als in allem, was er früher
gedichtet hatte. Er schrieb einen Abend lang und bei der Kerze noch die halbe
Nacht daran; er traute der tönenden Macht erhabener Worte kaum noch und
stammelte mehr, als daß er sprach. Als aber die Kerze schon auf Finger¬
länge heruntergebrannt war, als immer stärker durch das offene Fenster das
mahnende Geräusch ferner Bäche scholl, legte er die Feder weg, weil ihn die
Merkwürdigkeit überkam, dies alles gerade der Doktorsfrau in Schwyz zu
schreiben. Sogleich wußte er aber auch, warum, und einmal soweit entfesselt,


Der Lricf des Dichters und das Rezcxt des Landammcinns

ausfloß und mit den strömenden Tränen sich doch im Ausbruch solchen
Schmerzes etwas Großes retten wollte, prasselten nach den ersten klatschenden
Tropfen die Wasserstürze nieder und spotteten auch seiner salzigen Tränen, daß
er wie ein gestürzter Vogel daliegen blieb und sich vom Wasser des Himmels
durchtränken ließ.

Als der Dichter, dem das begegnet war, wieder zu sich kam aus den
Untiefen seiner Ohnmacht, waren Sturm und Donner mit zackigen Blitzen schon
weit hinunter ins flachere Land um Einsiedeln gefahren und nur noch der Regen
strömte sein rieselndes Geräusch. Irgendwer hatte ihn an der Schulter gefaßt,
und als er aufsah, stand die Frau tiefgebeugt zu ihm und sah mit ihren Augen
erschrocken in die seinen. Da griff er die Hand mit beiden Händen und legte
Augen und Mund hinein und küßte sie, wie nie ein Heiligtum geküßt wurde.
Und sie, die außer dem Bereich seiner Seele eine Doktorsfrau zu Schwnz war
und ihren Knaben mit dem Knecht starr auf dies Schauspiel blicken sah, zog
ihm die Hand nicht fort und stand ihm bei mit ihrer Menschennase, bis er sie
selber ließ und tief aufstöhnend auch das Gewitter seiner Seele in kräuselnden
Tränen zur Ruhe brachte.

Sie standen nachher noch auf dem Gipfel bei dem ragenden Steinkreuz,
sahen tiefeingebettete Seegewässer und Berggipfel wie einen Sturzäcker liegen:
in des Dichters Seele drangen sie nicht mehr ein; die hatte ihr Gehäuse
geschlossen, und was dann mit den anderen stundenlang auf schlüpfrig gewordenen
Felsspuren hinunterstieg, war ein demütiges Menschentier, das in nassen Kleidern
fröstelte wie sie. Nur als sie, immer noch stumm von dem Ereignis, sich unten
trennten und der Dichter in einem wehen Gefühl, daß sie ihn mißverstehen
könnte, zum Abschied noch einmal ihre Hand bekam und sie fragte, ob er ihr
davon schreiben dürste, was ihm da oben begegnet wäre: sah er sie rot werden
und dann lächeln mit Hinterhalt, wie nur eine Frau lächeln kann, doch mit
hellen Augen, die fast schelmisch mit irgendeinem Einfall waren: das dürfe
er, nur müsse sie ihn: dann auch das Rezept von ihrem Vater, dem Land-
ammann, sagen.» »




So kam es, daß der Dichter Friedrich Gottlieb Klopstock in den „Drei
Eidgenossen" zu Schwyz einen Brief schrieb, in dem er tiefer an die hilflose
Not des Menschenschicksals zu rühren glaubte als in allem, was er früher
gedichtet hatte. Er schrieb einen Abend lang und bei der Kerze noch die halbe
Nacht daran; er traute der tönenden Macht erhabener Worte kaum noch und
stammelte mehr, als daß er sprach. Als aber die Kerze schon auf Finger¬
länge heruntergebrannt war, als immer stärker durch das offene Fenster das
mahnende Geräusch ferner Bäche scholl, legte er die Feder weg, weil ihn die
Merkwürdigkeit überkam, dies alles gerade der Doktorsfrau in Schwyz zu
schreiben. Sogleich wußte er aber auch, warum, und einmal soweit entfesselt,


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[0632] Der Lricf des Dichters und das Rezcxt des Landammcinns ausfloß und mit den strömenden Tränen sich doch im Ausbruch solchen Schmerzes etwas Großes retten wollte, prasselten nach den ersten klatschenden Tropfen die Wasserstürze nieder und spotteten auch seiner salzigen Tränen, daß er wie ein gestürzter Vogel daliegen blieb und sich vom Wasser des Himmels durchtränken ließ. Als der Dichter, dem das begegnet war, wieder zu sich kam aus den Untiefen seiner Ohnmacht, waren Sturm und Donner mit zackigen Blitzen schon weit hinunter ins flachere Land um Einsiedeln gefahren und nur noch der Regen strömte sein rieselndes Geräusch. Irgendwer hatte ihn an der Schulter gefaßt, und als er aufsah, stand die Frau tiefgebeugt zu ihm und sah mit ihren Augen erschrocken in die seinen. Da griff er die Hand mit beiden Händen und legte Augen und Mund hinein und küßte sie, wie nie ein Heiligtum geküßt wurde. Und sie, die außer dem Bereich seiner Seele eine Doktorsfrau zu Schwnz war und ihren Knaben mit dem Knecht starr auf dies Schauspiel blicken sah, zog ihm die Hand nicht fort und stand ihm bei mit ihrer Menschennase, bis er sie selber ließ und tief aufstöhnend auch das Gewitter seiner Seele in kräuselnden Tränen zur Ruhe brachte. Sie standen nachher noch auf dem Gipfel bei dem ragenden Steinkreuz, sahen tiefeingebettete Seegewässer und Berggipfel wie einen Sturzäcker liegen: in des Dichters Seele drangen sie nicht mehr ein; die hatte ihr Gehäuse geschlossen, und was dann mit den anderen stundenlang auf schlüpfrig gewordenen Felsspuren hinunterstieg, war ein demütiges Menschentier, das in nassen Kleidern fröstelte wie sie. Nur als sie, immer noch stumm von dem Ereignis, sich unten trennten und der Dichter in einem wehen Gefühl, daß sie ihn mißverstehen könnte, zum Abschied noch einmal ihre Hand bekam und sie fragte, ob er ihr davon schreiben dürste, was ihm da oben begegnet wäre: sah er sie rot werden und dann lächeln mit Hinterhalt, wie nur eine Frau lächeln kann, doch mit hellen Augen, die fast schelmisch mit irgendeinem Einfall waren: das dürfe er, nur müsse sie ihn: dann auch das Rezept von ihrem Vater, dem Land- ammann, sagen.» » So kam es, daß der Dichter Friedrich Gottlieb Klopstock in den „Drei Eidgenossen" zu Schwyz einen Brief schrieb, in dem er tiefer an die hilflose Not des Menschenschicksals zu rühren glaubte als in allem, was er früher gedichtet hatte. Er schrieb einen Abend lang und bei der Kerze noch die halbe Nacht daran; er traute der tönenden Macht erhabener Worte kaum noch und stammelte mehr, als daß er sprach. Als aber die Kerze schon auf Finger¬ länge heruntergebrannt war, als immer stärker durch das offene Fenster das mahnende Geräusch ferner Bäche scholl, legte er die Feder weg, weil ihn die Merkwürdigkeit überkam, dies alles gerade der Doktorsfrau in Schwyz zu schreiben. Sogleich wußte er aber auch, warum, und einmal soweit entfesselt,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_322400/632>, abgerufen am 15.01.2025.