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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr.

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Der Brief des Dichters und das Rezept des Lmidammcinns

Kammer zu den "Drei Eidgenossen" kam, hing er noch lange im Fenster und
sah dem Leuchten der fernen Wetter wie dem Geflacker seiner erregten Jünglings¬
seele zu, bis er seinen Nock mit dankbarer Sehnsucht küssend sich endlich in einen
kurzen Schlaf fand.

Er hatte für den anderen Tag mit der Frau und dem Knaben eine
Besteigung des Großen Mythen ausgemacht, zu der sie in der Frühe aufbrechen
wollten, von einem Knecht der Doktorsleute begleitet, der schon mehrmals oben
gewesen war und die Felswege kannte. Der holte ihn noch halb im Dunkeln
zur Morgenmahlzeit ab, worauf sie, mit Proviant reichlich gerüstet, ihre Berg¬
fahrt antraten, gerade als in der Ferne die weißen Zacken vom Urirotstock in
der ersten Sonne glühten, während das Tal, von den Felswänden der beiden
Mythen breit überschattet, noch in tauiger Dämmerung lag. Sie kamen auch
nach mancherlei Mühsalen gut hinauf bis auf den letzten Grat, als sich die
dunstige Morgensitze unvermutet zu einem Gewitter sammelte, das blauschwarz
hinter den grell beleuchteten Felszacken stand und Wolkenfetzen wie Sturmvögel
über ihre Köpfe jagte.

Sie versuchten noch, ein Felsloch zu erreichen, das mit Stangen und
Steinen bedeckt seit Alters eine notdürftige Zuflucht bot, schon aber brach ein
Donner los, der den Berg zu zersplittern und die losgerissenen Blöcke krachend
in die Tiefen zu werfen schien. Noch war jedoch kein Tropfen gefallen; und
während der Knecht mit dem Knaben in dein dunklen Loch aufräumte, blieb
die Frau tiefatmend davor stehen und sah in das drohende Wetter hinein. Sie
hatte bei der raschen Flucht ihren Hut abgenommen und der Sturm jagte ihr
rotblondes Haar, das in einem grell durchbrechenden Licht feurig leuchtete;
senkrecht über ihr aber stand und schien aus ihrem Kopf gewachsen ein altes
Steinkreuz vom nahen Gipfel, das von Menschenhänden mit eisernen Stangen
in das Gestein verklammert war. Wie der Dichter das sah, in dem donnernden
Aufruhr -- darin die schwarzgeballten Lüfte mit den flackernden Felsen eine
Schlacht der Apokalypse kämpften -- die lächelnde Frau und das ragende
Kreuz unbewegt: riß ihn das Sinnbild hin zu Gedanken menschlicher Vollmacht,
wie sie ihm nie in eine Ode geflossen waren. Als ob das alles, der Ver¬
nichtungskampf der Natur, die Frau und das .Kreuz lächelnd und leidend darin,
nur ein Schauspiel seiner entzückten Seele wäre, so brachen die Worte über¬
menschlich heraus.

Aber Sturm und Donner rissen die Worte wie fallende Blätter hin; was
stark wie Posaunen in ihm klang, wurde leer, w -um sein Mund es irr die Welt
zurück gab; und was sein eigenes Ohr davon vernahm, war kaum ein Vogel¬
schrei. So unentrinnbar überkam ihn die Ohnmacht des Menschengeistes, der
sich als Verwalter alles irdischen Daseins fühlen konnte, so lange er klug im
Bereich seiner Seele blieb, und nichts wurde, wenn er sich selbst hochmütig
hinaus tragen wollte in die Sprache der Natur: daß er niederbrach auf den
Stein und sich mit ausgestreckten Händen anklammerte. Wie er sich schluchzend


Der Brief des Dichters und das Rezept des Lmidammcinns

Kammer zu den „Drei Eidgenossen" kam, hing er noch lange im Fenster und
sah dem Leuchten der fernen Wetter wie dem Geflacker seiner erregten Jünglings¬
seele zu, bis er seinen Nock mit dankbarer Sehnsucht küssend sich endlich in einen
kurzen Schlaf fand.

Er hatte für den anderen Tag mit der Frau und dem Knaben eine
Besteigung des Großen Mythen ausgemacht, zu der sie in der Frühe aufbrechen
wollten, von einem Knecht der Doktorsleute begleitet, der schon mehrmals oben
gewesen war und die Felswege kannte. Der holte ihn noch halb im Dunkeln
zur Morgenmahlzeit ab, worauf sie, mit Proviant reichlich gerüstet, ihre Berg¬
fahrt antraten, gerade als in der Ferne die weißen Zacken vom Urirotstock in
der ersten Sonne glühten, während das Tal, von den Felswänden der beiden
Mythen breit überschattet, noch in tauiger Dämmerung lag. Sie kamen auch
nach mancherlei Mühsalen gut hinauf bis auf den letzten Grat, als sich die
dunstige Morgensitze unvermutet zu einem Gewitter sammelte, das blauschwarz
hinter den grell beleuchteten Felszacken stand und Wolkenfetzen wie Sturmvögel
über ihre Köpfe jagte.

Sie versuchten noch, ein Felsloch zu erreichen, das mit Stangen und
Steinen bedeckt seit Alters eine notdürftige Zuflucht bot, schon aber brach ein
Donner los, der den Berg zu zersplittern und die losgerissenen Blöcke krachend
in die Tiefen zu werfen schien. Noch war jedoch kein Tropfen gefallen; und
während der Knecht mit dem Knaben in dein dunklen Loch aufräumte, blieb
die Frau tiefatmend davor stehen und sah in das drohende Wetter hinein. Sie
hatte bei der raschen Flucht ihren Hut abgenommen und der Sturm jagte ihr
rotblondes Haar, das in einem grell durchbrechenden Licht feurig leuchtete;
senkrecht über ihr aber stand und schien aus ihrem Kopf gewachsen ein altes
Steinkreuz vom nahen Gipfel, das von Menschenhänden mit eisernen Stangen
in das Gestein verklammert war. Wie der Dichter das sah, in dem donnernden
Aufruhr — darin die schwarzgeballten Lüfte mit den flackernden Felsen eine
Schlacht der Apokalypse kämpften — die lächelnde Frau und das ragende
Kreuz unbewegt: riß ihn das Sinnbild hin zu Gedanken menschlicher Vollmacht,
wie sie ihm nie in eine Ode geflossen waren. Als ob das alles, der Ver¬
nichtungskampf der Natur, die Frau und das .Kreuz lächelnd und leidend darin,
nur ein Schauspiel seiner entzückten Seele wäre, so brachen die Worte über¬
menschlich heraus.

Aber Sturm und Donner rissen die Worte wie fallende Blätter hin; was
stark wie Posaunen in ihm klang, wurde leer, w -um sein Mund es irr die Welt
zurück gab; und was sein eigenes Ohr davon vernahm, war kaum ein Vogel¬
schrei. So unentrinnbar überkam ihn die Ohnmacht des Menschengeistes, der
sich als Verwalter alles irdischen Daseins fühlen konnte, so lange er klug im
Bereich seiner Seele blieb, und nichts wurde, wenn er sich selbst hochmütig
hinaus tragen wollte in die Sprache der Natur: daß er niederbrach auf den
Stein und sich mit ausgestreckten Händen anklammerte. Wie er sich schluchzend


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[0631] Der Brief des Dichters und das Rezept des Lmidammcinns Kammer zu den „Drei Eidgenossen" kam, hing er noch lange im Fenster und sah dem Leuchten der fernen Wetter wie dem Geflacker seiner erregten Jünglings¬ seele zu, bis er seinen Nock mit dankbarer Sehnsucht küssend sich endlich in einen kurzen Schlaf fand. Er hatte für den anderen Tag mit der Frau und dem Knaben eine Besteigung des Großen Mythen ausgemacht, zu der sie in der Frühe aufbrechen wollten, von einem Knecht der Doktorsleute begleitet, der schon mehrmals oben gewesen war und die Felswege kannte. Der holte ihn noch halb im Dunkeln zur Morgenmahlzeit ab, worauf sie, mit Proviant reichlich gerüstet, ihre Berg¬ fahrt antraten, gerade als in der Ferne die weißen Zacken vom Urirotstock in der ersten Sonne glühten, während das Tal, von den Felswänden der beiden Mythen breit überschattet, noch in tauiger Dämmerung lag. Sie kamen auch nach mancherlei Mühsalen gut hinauf bis auf den letzten Grat, als sich die dunstige Morgensitze unvermutet zu einem Gewitter sammelte, das blauschwarz hinter den grell beleuchteten Felszacken stand und Wolkenfetzen wie Sturmvögel über ihre Köpfe jagte. Sie versuchten noch, ein Felsloch zu erreichen, das mit Stangen und Steinen bedeckt seit Alters eine notdürftige Zuflucht bot, schon aber brach ein Donner los, der den Berg zu zersplittern und die losgerissenen Blöcke krachend in die Tiefen zu werfen schien. Noch war jedoch kein Tropfen gefallen; und während der Knecht mit dem Knaben in dein dunklen Loch aufräumte, blieb die Frau tiefatmend davor stehen und sah in das drohende Wetter hinein. Sie hatte bei der raschen Flucht ihren Hut abgenommen und der Sturm jagte ihr rotblondes Haar, das in einem grell durchbrechenden Licht feurig leuchtete; senkrecht über ihr aber stand und schien aus ihrem Kopf gewachsen ein altes Steinkreuz vom nahen Gipfel, das von Menschenhänden mit eisernen Stangen in das Gestein verklammert war. Wie der Dichter das sah, in dem donnernden Aufruhr — darin die schwarzgeballten Lüfte mit den flackernden Felsen eine Schlacht der Apokalypse kämpften — die lächelnde Frau und das ragende Kreuz unbewegt: riß ihn das Sinnbild hin zu Gedanken menschlicher Vollmacht, wie sie ihm nie in eine Ode geflossen waren. Als ob das alles, der Ver¬ nichtungskampf der Natur, die Frau und das .Kreuz lächelnd und leidend darin, nur ein Schauspiel seiner entzückten Seele wäre, so brachen die Worte über¬ menschlich heraus. Aber Sturm und Donner rissen die Worte wie fallende Blätter hin; was stark wie Posaunen in ihm klang, wurde leer, w -um sein Mund es irr die Welt zurück gab; und was sein eigenes Ohr davon vernahm, war kaum ein Vogel¬ schrei. So unentrinnbar überkam ihn die Ohnmacht des Menschengeistes, der sich als Verwalter alles irdischen Daseins fühlen konnte, so lange er klug im Bereich seiner Seele blieb, und nichts wurde, wenn er sich selbst hochmütig hinaus tragen wollte in die Sprache der Natur: daß er niederbrach auf den Stein und sich mit ausgestreckten Händen anklammerte. Wie er sich schluchzend

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_322400/631>, abgerufen am 15.01.2025.