Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr.Die Laicnrichtcrfrage Leben stehende Berufsrichter weltfremder sein als sein Gefährte in der Rechts¬ Wer zum Richter geht, möchte die volle Gewißheit von dessen unbedingter Es soll hier nicht auf diese falsche Auffassung vom Staate weiter Dies ist nur möglich durch eine bestimmtere Betonung der Tatsache, daß der Man hat sogar vorgeschlagen, den Richterstand zu einem freien Berufe wie Die Laicnrichtcrfrage Leben stehende Berufsrichter weltfremder sein als sein Gefährte in der Rechts¬ Wer zum Richter geht, möchte die volle Gewißheit von dessen unbedingter Es soll hier nicht auf diese falsche Auffassung vom Staate weiter Dies ist nur möglich durch eine bestimmtere Betonung der Tatsache, daß der Man hat sogar vorgeschlagen, den Richterstand zu einem freien Berufe wie <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0626" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/323028"/> <fw type="header" place="top"> Die Laicnrichtcrfrage</fw><lb/> <p xml:id="ID_3055" prev="#ID_3054"> Leben stehende Berufsrichter weltfremder sein als sein Gefährte in der Rechts¬<lb/> pflege, der Rechtsanwalt? Sie beruhen auch nicht auf einer Abneigung gegen<lb/> die rechtswissenschaftliche Ausbildung an sich. Sind doch auch die Staatsanwälte<lb/> und die Rechtsanwälte in der Weise wissenschaftlich ausgebildet, daß sie jederzeit<lb/> Richter werden können, und doch hat man in ihren Wissenswein noch niemals<lb/> einen Laienbeiguß tun wollen. Die Gründe liegen allein in dem Mißtrauen der<lb/> Allgenieinheit, daß die beamteten Richter nicht genügend unabhängig seien. Die<lb/> Unabhängigkeit ist naturgemäß das erste Erfordernis für die richterliche Tätigkeit.<lb/> Der Richter soll die Wage sein, durch die das menschliche Handeln mit den<lb/> Gewichten des Rechts nachgewogen wird. Hängt diese Wage nicht frei, sondern<lb/> wird sie irgendwie in ihrer freien Beweglichkeit gehemmt, so wird das Ergebnis<lb/> des Abwägens leicht unrichtig sein.</p><lb/> <p xml:id="ID_3056"> Wer zum Richter geht, möchte die volle Gewißheit von dessen unbedingter<lb/> Unabhängigkeit haben. An dieser entstehen bei der Allgemeinheit darum<lb/> leicht Zweifel, weil diese vielfach noch immer — in völliger Verkennung<lb/> der Staatsausgaben und -ziele — der Meinung ist, der Staat sei nur eine<lb/> Zwangsanstalt für die Staatsbürger und stets bemüht, diese möglichst unter<lb/> seiner „Fuchtel" zu halten. Demgemäß müßten alle Staatsbeamten auch hierauf<lb/> bedacht sein, und zu diesen gehörten aber auch die von dem Staat angestellten<lb/> und besoldeten Richter.</p><lb/> <p xml:id="ID_3057"> Es soll hier nicht auf diese falsche Auffassung vom Staate weiter<lb/> eingegangen werden. Jedenfalls ist sie gänzlich unzutreffend hinsichtlich der<lb/> Stellung der Richter im Staate. Nach ß 1 des Gerichtsverfassungsgesetzes für<lb/> das Deutsche Reich wird die richterliche Gewalt durch unabhängige, nur dem<lb/> Gesetze unterworfene Gerichte allsgeübt. Die Allgemeinheit schenkt nur leider<lb/> dieser Unabhängigkeit nicht das volle Vertrauen, weil sie sich an den Spruch hält:<lb/> „Weh Brot ich esse, des Lied ich singe." Deshalb sind die Richter auf ihren<lb/> Tagungen und in ihren Zeitschriften eifrig bemüht, ihre Unabhängigkeit noch mehr<lb/> als bisher in die äußere, für jedermann erkennbare Erscheinung treten zu lassen<lb/> und überall hervorzuheben, daß sie sich zwar innerlich genügend unabhängig fühlen,<lb/> aber auch für jeden dritten deutlich sichtbar die Gewähr dafür ausgedrückt wissen<lb/> wollen, daß keine Staatsverwaltung daran denkt, die Richter zu ihren Gunsten<lb/> zu beeinflussen.</p><lb/> <p xml:id="ID_3058"> Dies ist nur möglich durch eine bestimmtere Betonung der Tatsache, daß der<lb/> Richter nicht ein Staatsbeamter im engeren Sinne ist, der den Weisungen der<lb/> Staatsleitung unbedingt Folge zu leisten hat, sondern nur ein Beamter im<lb/> Staate, der von diesem nur Anstellung und Gehalt, aber außer dem Gesetz keinen<lb/> Auftrag für seine amtliche Tätigkeit erhält.</p><lb/> <p xml:id="ID_3059" next="#ID_3060"> Man hat sogar vorgeschlagen, den Richterstand zu einem freien Berufe wie<lb/> deu Urwalds- und Ärztestand zu machen und ebenfalls dem freien Wettbewerb<lb/> zu unterstellen. Mit Recht steht dem jedoch die Befürchtung entgegen, die<lb/> Richter könnten dann von den Parteien mehr als vom Staate abhängig erscheinen</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0626]
Die Laicnrichtcrfrage
Leben stehende Berufsrichter weltfremder sein als sein Gefährte in der Rechts¬
pflege, der Rechtsanwalt? Sie beruhen auch nicht auf einer Abneigung gegen
die rechtswissenschaftliche Ausbildung an sich. Sind doch auch die Staatsanwälte
und die Rechtsanwälte in der Weise wissenschaftlich ausgebildet, daß sie jederzeit
Richter werden können, und doch hat man in ihren Wissenswein noch niemals
einen Laienbeiguß tun wollen. Die Gründe liegen allein in dem Mißtrauen der
Allgenieinheit, daß die beamteten Richter nicht genügend unabhängig seien. Die
Unabhängigkeit ist naturgemäß das erste Erfordernis für die richterliche Tätigkeit.
Der Richter soll die Wage sein, durch die das menschliche Handeln mit den
Gewichten des Rechts nachgewogen wird. Hängt diese Wage nicht frei, sondern
wird sie irgendwie in ihrer freien Beweglichkeit gehemmt, so wird das Ergebnis
des Abwägens leicht unrichtig sein.
Wer zum Richter geht, möchte die volle Gewißheit von dessen unbedingter
Unabhängigkeit haben. An dieser entstehen bei der Allgemeinheit darum
leicht Zweifel, weil diese vielfach noch immer — in völliger Verkennung
der Staatsausgaben und -ziele — der Meinung ist, der Staat sei nur eine
Zwangsanstalt für die Staatsbürger und stets bemüht, diese möglichst unter
seiner „Fuchtel" zu halten. Demgemäß müßten alle Staatsbeamten auch hierauf
bedacht sein, und zu diesen gehörten aber auch die von dem Staat angestellten
und besoldeten Richter.
Es soll hier nicht auf diese falsche Auffassung vom Staate weiter
eingegangen werden. Jedenfalls ist sie gänzlich unzutreffend hinsichtlich der
Stellung der Richter im Staate. Nach ß 1 des Gerichtsverfassungsgesetzes für
das Deutsche Reich wird die richterliche Gewalt durch unabhängige, nur dem
Gesetze unterworfene Gerichte allsgeübt. Die Allgemeinheit schenkt nur leider
dieser Unabhängigkeit nicht das volle Vertrauen, weil sie sich an den Spruch hält:
„Weh Brot ich esse, des Lied ich singe." Deshalb sind die Richter auf ihren
Tagungen und in ihren Zeitschriften eifrig bemüht, ihre Unabhängigkeit noch mehr
als bisher in die äußere, für jedermann erkennbare Erscheinung treten zu lassen
und überall hervorzuheben, daß sie sich zwar innerlich genügend unabhängig fühlen,
aber auch für jeden dritten deutlich sichtbar die Gewähr dafür ausgedrückt wissen
wollen, daß keine Staatsverwaltung daran denkt, die Richter zu ihren Gunsten
zu beeinflussen.
Dies ist nur möglich durch eine bestimmtere Betonung der Tatsache, daß der
Richter nicht ein Staatsbeamter im engeren Sinne ist, der den Weisungen der
Staatsleitung unbedingt Folge zu leisten hat, sondern nur ein Beamter im
Staate, der von diesem nur Anstellung und Gehalt, aber außer dem Gesetz keinen
Auftrag für seine amtliche Tätigkeit erhält.
Man hat sogar vorgeschlagen, den Richterstand zu einem freien Berufe wie
deu Urwalds- und Ärztestand zu machen und ebenfalls dem freien Wettbewerb
zu unterstellen. Mit Recht steht dem jedoch die Befürchtung entgegen, die
Richter könnten dann von den Parteien mehr als vom Staate abhängig erscheinen
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