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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr.

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Die Laienrichtcrfrage

im Namen des Landesfürsten. Auch Moses war anfänglich selbst der Richter
bei den Juden, bis ihm sein Schwager.Jethro arriel, Gesetze zu geben und
besondere Richter anzustellen (2. Buch Moses Kapitel 18). Nur die Feen- und
die Lynchrichter urteilen allein aus der jeweiligen unberechenbaren Volks¬
anschauung heraus ohne Gesetz und Recht.

Allerdings hielten schon in alten Zeiten die berufenen Richter die Gerichts¬
verhandlungen vor voller Öffentlichkeit ab, wobei der "Umstand", das sind die
um die Gerichtsstätte herumstehenden Volksgenossen, seine Meinung über die
Sache zum Ausdruck bringen durfte. Dies war die erste Form der Mitwirkung
von Laien.

Die eigentlichen Richter waren aber stets nur besonders erfahrene, rechts¬
kundige und angesehene Männer, die zwar regelmäßig der Meinung des "Um-
standes" Beachtung zollten, an diese aber nicht unbedingt gebunden waren. Erst
in späterer Zeit nahm die Mitwirkung von Schöffen bei der Rechtspflege die
jetzige Wesenheit an, und zwar als es galt, das zwar folgerichtig und
sorgsam durchgearbeitete, aber allzustarre, übernommene römische Recht bieg¬
samer zu machen und den deutschen Lebensanschauungen mehr anzupassen.

Das Schwurgericht in seiner jetzigen Form haben wir in Deutschland bis
zu seiner vor etwa sechzig Jahren erfolgten Übernahme aus Frankreich niemals
gekannt. Stets hat in Strafsachen -- abgesehen von den Femgerichten --
ein verständnisvolles Zusammenwirken zwischen den Berufsrichtern und dem
"Umstand", dem die Rechtspflege beachtenden Volk, stattgefunden, etwa in der
Weise, wie jetzt noch in England der Richter mit der Jury, die völlig ver¬
schieden von dem französischen Schwurgericht ist. zusammen das Urteil findet.

Rechtsgeschichtlich ließe sich sonach für Deutschland und das mit ihm vor
fünfzig Jahren noch verbundene deutsche Österreich nur das Schöffengericht,
nicht aber das Schwurgericht rechtfertigen, das durch seine völlige Trennung
der Geschworenenbank von der Richterbank sich von dem Schöffengericht wesentlich
unterscheidet.

Warum aber soll überhaupt eine Beigabe von Laien- oder Volksrichtern
zu den Berufsrichtern stattfinden? Die alltägliche Erfahrung lehrt doch über¬
zeugend, daß der für seinen Beruf sorgfältig ausgebildete Fachmann auf seinem
Gebiet stets dem Nichtfachmann vorzuziehen ist. Oder sind etwa unsere Berufs¬
richter nicht genügend ausgebildet? Dann verbessere man ihre Ausbildung.
Oder erfordert das Richten überhaupt keine Ausbildung in Rechts- und
Gesetzeskunde? Dann schaffe man die Berufsrichter überhaupt ab und überlasse
die Rechtsprechung allein den Rechtsunkundigen. Eine Vereinigung von diesen
beiden erscheint aber zunächst widersinnig, wenn man den Satz festhält: "Der
für sein Fach ausgebildete Arbeiter ist stets der beste."

Es müssen also andere Gründe vorliegen, die das weit verbreitete Ver¬
langen nach gemischten Gerichten gezeitigt haben. Sie beruhen nicht etwa in
einer wirklichen Weltfremoheit der Richter. Warum soll denn der mitten im


Die Laienrichtcrfrage

im Namen des Landesfürsten. Auch Moses war anfänglich selbst der Richter
bei den Juden, bis ihm sein Schwager.Jethro arriel, Gesetze zu geben und
besondere Richter anzustellen (2. Buch Moses Kapitel 18). Nur die Feen- und
die Lynchrichter urteilen allein aus der jeweiligen unberechenbaren Volks¬
anschauung heraus ohne Gesetz und Recht.

Allerdings hielten schon in alten Zeiten die berufenen Richter die Gerichts¬
verhandlungen vor voller Öffentlichkeit ab, wobei der „Umstand", das sind die
um die Gerichtsstätte herumstehenden Volksgenossen, seine Meinung über die
Sache zum Ausdruck bringen durfte. Dies war die erste Form der Mitwirkung
von Laien.

Die eigentlichen Richter waren aber stets nur besonders erfahrene, rechts¬
kundige und angesehene Männer, die zwar regelmäßig der Meinung des „Um-
standes" Beachtung zollten, an diese aber nicht unbedingt gebunden waren. Erst
in späterer Zeit nahm die Mitwirkung von Schöffen bei der Rechtspflege die
jetzige Wesenheit an, und zwar als es galt, das zwar folgerichtig und
sorgsam durchgearbeitete, aber allzustarre, übernommene römische Recht bieg¬
samer zu machen und den deutschen Lebensanschauungen mehr anzupassen.

Das Schwurgericht in seiner jetzigen Form haben wir in Deutschland bis
zu seiner vor etwa sechzig Jahren erfolgten Übernahme aus Frankreich niemals
gekannt. Stets hat in Strafsachen — abgesehen von den Femgerichten —
ein verständnisvolles Zusammenwirken zwischen den Berufsrichtern und dem
„Umstand", dem die Rechtspflege beachtenden Volk, stattgefunden, etwa in der
Weise, wie jetzt noch in England der Richter mit der Jury, die völlig ver¬
schieden von dem französischen Schwurgericht ist. zusammen das Urteil findet.

Rechtsgeschichtlich ließe sich sonach für Deutschland und das mit ihm vor
fünfzig Jahren noch verbundene deutsche Österreich nur das Schöffengericht,
nicht aber das Schwurgericht rechtfertigen, das durch seine völlige Trennung
der Geschworenenbank von der Richterbank sich von dem Schöffengericht wesentlich
unterscheidet.

Warum aber soll überhaupt eine Beigabe von Laien- oder Volksrichtern
zu den Berufsrichtern stattfinden? Die alltägliche Erfahrung lehrt doch über¬
zeugend, daß der für seinen Beruf sorgfältig ausgebildete Fachmann auf seinem
Gebiet stets dem Nichtfachmann vorzuziehen ist. Oder sind etwa unsere Berufs¬
richter nicht genügend ausgebildet? Dann verbessere man ihre Ausbildung.
Oder erfordert das Richten überhaupt keine Ausbildung in Rechts- und
Gesetzeskunde? Dann schaffe man die Berufsrichter überhaupt ab und überlasse
die Rechtsprechung allein den Rechtsunkundigen. Eine Vereinigung von diesen
beiden erscheint aber zunächst widersinnig, wenn man den Satz festhält: „Der
für sein Fach ausgebildete Arbeiter ist stets der beste."

Es müssen also andere Gründe vorliegen, die das weit verbreitete Ver¬
langen nach gemischten Gerichten gezeitigt haben. Sie beruhen nicht etwa in
einer wirklichen Weltfremoheit der Richter. Warum soll denn der mitten im


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[0625] Die Laienrichtcrfrage im Namen des Landesfürsten. Auch Moses war anfänglich selbst der Richter bei den Juden, bis ihm sein Schwager.Jethro arriel, Gesetze zu geben und besondere Richter anzustellen (2. Buch Moses Kapitel 18). Nur die Feen- und die Lynchrichter urteilen allein aus der jeweiligen unberechenbaren Volks¬ anschauung heraus ohne Gesetz und Recht. Allerdings hielten schon in alten Zeiten die berufenen Richter die Gerichts¬ verhandlungen vor voller Öffentlichkeit ab, wobei der „Umstand", das sind die um die Gerichtsstätte herumstehenden Volksgenossen, seine Meinung über die Sache zum Ausdruck bringen durfte. Dies war die erste Form der Mitwirkung von Laien. Die eigentlichen Richter waren aber stets nur besonders erfahrene, rechts¬ kundige und angesehene Männer, die zwar regelmäßig der Meinung des „Um- standes" Beachtung zollten, an diese aber nicht unbedingt gebunden waren. Erst in späterer Zeit nahm die Mitwirkung von Schöffen bei der Rechtspflege die jetzige Wesenheit an, und zwar als es galt, das zwar folgerichtig und sorgsam durchgearbeitete, aber allzustarre, übernommene römische Recht bieg¬ samer zu machen und den deutschen Lebensanschauungen mehr anzupassen. Das Schwurgericht in seiner jetzigen Form haben wir in Deutschland bis zu seiner vor etwa sechzig Jahren erfolgten Übernahme aus Frankreich niemals gekannt. Stets hat in Strafsachen — abgesehen von den Femgerichten — ein verständnisvolles Zusammenwirken zwischen den Berufsrichtern und dem „Umstand", dem die Rechtspflege beachtenden Volk, stattgefunden, etwa in der Weise, wie jetzt noch in England der Richter mit der Jury, die völlig ver¬ schieden von dem französischen Schwurgericht ist. zusammen das Urteil findet. Rechtsgeschichtlich ließe sich sonach für Deutschland und das mit ihm vor fünfzig Jahren noch verbundene deutsche Österreich nur das Schöffengericht, nicht aber das Schwurgericht rechtfertigen, das durch seine völlige Trennung der Geschworenenbank von der Richterbank sich von dem Schöffengericht wesentlich unterscheidet. Warum aber soll überhaupt eine Beigabe von Laien- oder Volksrichtern zu den Berufsrichtern stattfinden? Die alltägliche Erfahrung lehrt doch über¬ zeugend, daß der für seinen Beruf sorgfältig ausgebildete Fachmann auf seinem Gebiet stets dem Nichtfachmann vorzuziehen ist. Oder sind etwa unsere Berufs¬ richter nicht genügend ausgebildet? Dann verbessere man ihre Ausbildung. Oder erfordert das Richten überhaupt keine Ausbildung in Rechts- und Gesetzeskunde? Dann schaffe man die Berufsrichter überhaupt ab und überlasse die Rechtsprechung allein den Rechtsunkundigen. Eine Vereinigung von diesen beiden erscheint aber zunächst widersinnig, wenn man den Satz festhält: „Der für sein Fach ausgebildete Arbeiter ist stets der beste." Es müssen also andere Gründe vorliegen, die das weit verbreitete Ver¬ langen nach gemischten Gerichten gezeitigt haben. Sie beruhen nicht etwa in einer wirklichen Weltfremoheit der Richter. Warum soll denn der mitten im

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_322400/625>, abgerufen am 15.01.2025.