Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite


Die Laienrichterfrage
Amtsgenchtsrat Rad von

s war vorauszusehen, daß die Verhandlungen des ersten All¬
gemeinen Richtertages in Wien, die dem Deutschen Juristentage
vorausgingen, insbesondere durch ihren Gegenstand "Die Laien¬
richterfrage" die Teilnahme der Allgemeinheit erregen würden,
obschon es den Richtern nur darauf ankam, hinsichtlich dieser Frage
über die Landes grenzen hinaus unter sich Fühlung und Klarheit zu gewinnen.
In Österreich, wo es wie in Frankreich, Belgien usw. bisher nur Schwur¬
gerichte, aber noch nicht Schöffengerichte gibt, sollen diese jetzt zur Einführung
gelangen. Selbstredend beschäftigt dieser Gegenstand auch die dortigen Berufsrichter
in hohem Maße, weil jede Vermehrung des Laienrichtertums. ja schon seine An¬
preisung einen gewissen Vorwurf der Unzulänglichkeit gegen die Berufsrichter enthält.

Als vor einiger Zeit eine Laienschulaufsicht für die höheren Schulen in
Vorschlag gebracht wurde, wandten sich die Oberlehrer begreiflicherweise sehr
lebhaft dagegen. Schon die geistige Schulaufsicht wird, obwohl sie keine völlig
laienhafte ist, von den Lehrern als ein Druck empfunden. Es dürfte daher zu
verstehen sein, wenn die Berufsrichter nicht erbaut darüber sind, daß
ihnen Laien als gleichberechtigte Richter zugesellt werden, Wir sehen allerdings
auch Reserve- und Landwehroffiziere neben den Berufsoffizieren tätig, aber so
ganz unerfahren sind die ersteren in ihrem militärischen Tätigkeitskreise keines¬
wegs, wennschon die Durchbildung des aktiven Offiziers stets eine vollkommenere
sein wird. Überdies werden die Laienoffiziere für den Kriegsfall dringend
gebraucht, was hinsichtlich der Laienrichter im Hinblick auf die Überzahl von
Referendaren und Assessoren in keinem Fall zutrifft.

Was würde man wohl dazu sagen, wenn jetzt verlangt würde, jeder
Rechtsanwalt, jeder Arzt, jeder Geistliche, jeder Lehrer müßte bei Ausübung
seines Berufs zwei Bürger seiner Stadt zur Seite haben, die ihn beraten,
vielleicht auch nur beaufsichtigen sollen. Warum werden gerade dem rechts¬
gelehrten Richter solche rechtsunkundige Gehilfen beigesellt?

Man hat darauf entgegnet, an sich wären die Bürger selbst die berufenen
und geeigneten Richter und der Rechtsgelehrte nur eine unvermeidliche Beigabe
zu diesen. Dies trifft geschichtlich nicht zu. Nach der deutschen Rechtsentwicklung
waren die Landesfürsten selbst die Richter und noch jetzt fällen diese ihre Urteile




Die Laienrichterfrage
Amtsgenchtsrat Rad von

s war vorauszusehen, daß die Verhandlungen des ersten All¬
gemeinen Richtertages in Wien, die dem Deutschen Juristentage
vorausgingen, insbesondere durch ihren Gegenstand „Die Laien¬
richterfrage" die Teilnahme der Allgemeinheit erregen würden,
obschon es den Richtern nur darauf ankam, hinsichtlich dieser Frage
über die Landes grenzen hinaus unter sich Fühlung und Klarheit zu gewinnen.
In Österreich, wo es wie in Frankreich, Belgien usw. bisher nur Schwur¬
gerichte, aber noch nicht Schöffengerichte gibt, sollen diese jetzt zur Einführung
gelangen. Selbstredend beschäftigt dieser Gegenstand auch die dortigen Berufsrichter
in hohem Maße, weil jede Vermehrung des Laienrichtertums. ja schon seine An¬
preisung einen gewissen Vorwurf der Unzulänglichkeit gegen die Berufsrichter enthält.

Als vor einiger Zeit eine Laienschulaufsicht für die höheren Schulen in
Vorschlag gebracht wurde, wandten sich die Oberlehrer begreiflicherweise sehr
lebhaft dagegen. Schon die geistige Schulaufsicht wird, obwohl sie keine völlig
laienhafte ist, von den Lehrern als ein Druck empfunden. Es dürfte daher zu
verstehen sein, wenn die Berufsrichter nicht erbaut darüber sind, daß
ihnen Laien als gleichberechtigte Richter zugesellt werden, Wir sehen allerdings
auch Reserve- und Landwehroffiziere neben den Berufsoffizieren tätig, aber so
ganz unerfahren sind die ersteren in ihrem militärischen Tätigkeitskreise keines¬
wegs, wennschon die Durchbildung des aktiven Offiziers stets eine vollkommenere
sein wird. Überdies werden die Laienoffiziere für den Kriegsfall dringend
gebraucht, was hinsichtlich der Laienrichter im Hinblick auf die Überzahl von
Referendaren und Assessoren in keinem Fall zutrifft.

Was würde man wohl dazu sagen, wenn jetzt verlangt würde, jeder
Rechtsanwalt, jeder Arzt, jeder Geistliche, jeder Lehrer müßte bei Ausübung
seines Berufs zwei Bürger seiner Stadt zur Seite haben, die ihn beraten,
vielleicht auch nur beaufsichtigen sollen. Warum werden gerade dem rechts¬
gelehrten Richter solche rechtsunkundige Gehilfen beigesellt?

Man hat darauf entgegnet, an sich wären die Bürger selbst die berufenen
und geeigneten Richter und der Rechtsgelehrte nur eine unvermeidliche Beigabe
zu diesen. Dies trifft geschichtlich nicht zu. Nach der deutschen Rechtsentwicklung
waren die Landesfürsten selbst die Richter und noch jetzt fällen diese ihre Urteile


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0624" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/323026"/>
          <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341895_322400/figures/grenzboten_341895_322400_323026_000.jpg"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Die Laienrichterfrage<lb/><note type="byline"> Amtsgenchtsrat Rad</note> von</head><lb/>
          <p xml:id="ID_3044"> s war vorauszusehen, daß die Verhandlungen des ersten All¬<lb/>
gemeinen Richtertages in Wien, die dem Deutschen Juristentage<lb/>
vorausgingen, insbesondere durch ihren Gegenstand &#x201E;Die Laien¬<lb/>
richterfrage" die Teilnahme der Allgemeinheit erregen würden,<lb/>
obschon es den Richtern nur darauf ankam, hinsichtlich dieser Frage<lb/>
über die Landes grenzen hinaus unter sich Fühlung und Klarheit zu gewinnen.<lb/>
In Österreich, wo es wie in Frankreich, Belgien usw. bisher nur Schwur¬<lb/>
gerichte, aber noch nicht Schöffengerichte gibt, sollen diese jetzt zur Einführung<lb/>
gelangen. Selbstredend beschäftigt dieser Gegenstand auch die dortigen Berufsrichter<lb/>
in hohem Maße, weil jede Vermehrung des Laienrichtertums. ja schon seine An¬<lb/>
preisung einen gewissen Vorwurf der Unzulänglichkeit gegen die Berufsrichter enthält.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_3045"> Als vor einiger Zeit eine Laienschulaufsicht für die höheren Schulen in<lb/>
Vorschlag gebracht wurde, wandten sich die Oberlehrer begreiflicherweise sehr<lb/>
lebhaft dagegen. Schon die geistige Schulaufsicht wird, obwohl sie keine völlig<lb/>
laienhafte ist, von den Lehrern als ein Druck empfunden. Es dürfte daher zu<lb/>
verstehen sein, wenn die Berufsrichter nicht erbaut darüber sind, daß<lb/>
ihnen Laien als gleichberechtigte Richter zugesellt werden, Wir sehen allerdings<lb/>
auch Reserve- und Landwehroffiziere neben den Berufsoffizieren tätig, aber so<lb/>
ganz unerfahren sind die ersteren in ihrem militärischen Tätigkeitskreise keines¬<lb/>
wegs, wennschon die Durchbildung des aktiven Offiziers stets eine vollkommenere<lb/>
sein wird. Überdies werden die Laienoffiziere für den Kriegsfall dringend<lb/>
gebraucht, was hinsichtlich der Laienrichter im Hinblick auf die Überzahl von<lb/>
Referendaren und Assessoren in keinem Fall zutrifft.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_3046"> Was würde man wohl dazu sagen, wenn jetzt verlangt würde, jeder<lb/>
Rechtsanwalt, jeder Arzt, jeder Geistliche, jeder Lehrer müßte bei Ausübung<lb/>
seines Berufs zwei Bürger seiner Stadt zur Seite haben, die ihn beraten,<lb/>
vielleicht auch nur beaufsichtigen sollen. Warum werden gerade dem rechts¬<lb/>
gelehrten Richter solche rechtsunkundige Gehilfen beigesellt?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_3047" next="#ID_3048"> Man hat darauf entgegnet, an sich wären die Bürger selbst die berufenen<lb/>
und geeigneten Richter und der Rechtsgelehrte nur eine unvermeidliche Beigabe<lb/>
zu diesen. Dies trifft geschichtlich nicht zu. Nach der deutschen Rechtsentwicklung<lb/>
waren die Landesfürsten selbst die Richter und noch jetzt fällen diese ihre Urteile</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0624] [Abbildung] Die Laienrichterfrage Amtsgenchtsrat Rad von s war vorauszusehen, daß die Verhandlungen des ersten All¬ gemeinen Richtertages in Wien, die dem Deutschen Juristentage vorausgingen, insbesondere durch ihren Gegenstand „Die Laien¬ richterfrage" die Teilnahme der Allgemeinheit erregen würden, obschon es den Richtern nur darauf ankam, hinsichtlich dieser Frage über die Landes grenzen hinaus unter sich Fühlung und Klarheit zu gewinnen. In Österreich, wo es wie in Frankreich, Belgien usw. bisher nur Schwur¬ gerichte, aber noch nicht Schöffengerichte gibt, sollen diese jetzt zur Einführung gelangen. Selbstredend beschäftigt dieser Gegenstand auch die dortigen Berufsrichter in hohem Maße, weil jede Vermehrung des Laienrichtertums. ja schon seine An¬ preisung einen gewissen Vorwurf der Unzulänglichkeit gegen die Berufsrichter enthält. Als vor einiger Zeit eine Laienschulaufsicht für die höheren Schulen in Vorschlag gebracht wurde, wandten sich die Oberlehrer begreiflicherweise sehr lebhaft dagegen. Schon die geistige Schulaufsicht wird, obwohl sie keine völlig laienhafte ist, von den Lehrern als ein Druck empfunden. Es dürfte daher zu verstehen sein, wenn die Berufsrichter nicht erbaut darüber sind, daß ihnen Laien als gleichberechtigte Richter zugesellt werden, Wir sehen allerdings auch Reserve- und Landwehroffiziere neben den Berufsoffizieren tätig, aber so ganz unerfahren sind die ersteren in ihrem militärischen Tätigkeitskreise keines¬ wegs, wennschon die Durchbildung des aktiven Offiziers stets eine vollkommenere sein wird. Überdies werden die Laienoffiziere für den Kriegsfall dringend gebraucht, was hinsichtlich der Laienrichter im Hinblick auf die Überzahl von Referendaren und Assessoren in keinem Fall zutrifft. Was würde man wohl dazu sagen, wenn jetzt verlangt würde, jeder Rechtsanwalt, jeder Arzt, jeder Geistliche, jeder Lehrer müßte bei Ausübung seines Berufs zwei Bürger seiner Stadt zur Seite haben, die ihn beraten, vielleicht auch nur beaufsichtigen sollen. Warum werden gerade dem rechts¬ gelehrten Richter solche rechtsunkundige Gehilfen beigesellt? Man hat darauf entgegnet, an sich wären die Bürger selbst die berufenen und geeigneten Richter und der Rechtsgelehrte nur eine unvermeidliche Beigabe zu diesen. Dies trifft geschichtlich nicht zu. Nach der deutschen Rechtsentwicklung waren die Landesfürsten selbst die Richter und noch jetzt fällen diese ihre Urteile

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_322400
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_322400/624
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_322400/624>, abgerufen am 15.01.2025.