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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr.

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Drei Könige

Kronprinzen mit seiner sich überstürzenden Skala von Gefühlen eine Originalität
steckte, die ihm selber fremd war. Er ließ sich gelegentlich mit fortreißen, die
Art Friedrich Wilhelms steckte ihn zuweilen an, aber immer spürt man auch in
seinen gehobenen Stimmungen, daß er nicht so beweglich war, nüchterner und
gewiß auch gesünder. Man wird ihn kaum als einen ausgesprochenen Roman¬
tiker betrachten können; Friedrich Wilhelm war es. Mißt man seinen viel-
spältigen, schillernden Charakter an dem geraden, besonnenen Wesen Johanns,
seinen phantastischen Überschwang an dem herzlichen, bisweilen überquellenden,
aber doch so viel einfacheren Empfinden des Freundes, so erinnert Johann
wieder in manchen Zügen eher an den Prinzen Wilhelm. In seinen rein
geistigen Interessen dagegen berührt er sich viel intimer mit dem preußischen
Kronprinzen. Sie beide standen noch im Zeichen des literarischen Geschlechts.
Sie lasen viel, Friedrich Wilhelm verfolgte die Danteübersetzung seines gelehrten
Freundes mit stetem Eifer. Wenn Johann einmal den Schwager beschwor, so tat
er es "bei allen Göttern Griechenlands und Skandinaviens, bei Dante und
Goethe, bei Beatrice und Laura, bei unserem Haß für die Nützlichkeitsmacher,
bei allen blauen Pflaumen Dresdens, bei dem entstandenen Erdbeben." Sie
hatten in jungen Jahren eine gemeinsame Reise nach Italien unternommen.
Friedrich Wilhelm hatte mit Rührung an Dantes Grab gestanden. Die
Erinnerungen an die Erlebnisse dieser Fahrt tauchen ab und zu in diesen
Briefen auf. Dem sächsischen Prinzen war ein Abend in Novi im Gedächtnis
geblieben, wo sie den ersten italienischen Sonnenuntergang sahen, das Dies irae
und das Stab-it mator deklamierten. So schwelgten der hohenzollernsche
Protestant, der sich so gern mittelalterlichen Vorstellungen hingab, und der
katholische Wettiner einträchtig miteinander in Empfindungen frommer Glut, wie
sie sich auch später in der Abneigung gegen die deutschkatholische Bewegung
zusammenfanden.

Wollte man kurzerhand die politischen Pole bezeichnen, die das innere
und äußere Leben dieser beiden Fürsten bestimmten und mit ihm das ihrer
ganzen Epoche, so möchte man sie auf der einen Seite in der Legitimität, auf
der anderen in der Revolution erblicken. In dem Kampf dieser beiden Ideen
entfalten sich alle die reichabgestuften Gegensätze, welche die vormärzliche Zeit
erfüllen und gewaltsam zusammenprallen, im Jahre 48, wo sie zugleich
ihren dramatischen und tragischen Höhepunkt erreichen. Johann und Friedrich
Wilhelm wurzelten im Glauben an das Gottesgnadentum der Monarchie, von
deren Aufgabe sie eine hohe und reine Vorstellung hatten; freilich sucht man
bei dem Sachsen vergeblich nach jenen: mystischen Schimmer, mit dem Friedrich
Wilhelm sich und sein Amt umkleidete. Man wird kaum irre gehen, wenn
man annimmt, daß sich Johann mehr der gottgewollten Pflichten als seiner
königlichen Ausnahmestellung bewußt war. Sein Herrschergefühl war, wie es
in dem ganzen Wesen dieses Mannes lag, nüchterner, einfacher, bürgerlicher,
und weit entfernt von der schwärmerischen, bisweilen ungesunden Verzückung,


Drei Könige

Kronprinzen mit seiner sich überstürzenden Skala von Gefühlen eine Originalität
steckte, die ihm selber fremd war. Er ließ sich gelegentlich mit fortreißen, die
Art Friedrich Wilhelms steckte ihn zuweilen an, aber immer spürt man auch in
seinen gehobenen Stimmungen, daß er nicht so beweglich war, nüchterner und
gewiß auch gesünder. Man wird ihn kaum als einen ausgesprochenen Roman¬
tiker betrachten können; Friedrich Wilhelm war es. Mißt man seinen viel-
spältigen, schillernden Charakter an dem geraden, besonnenen Wesen Johanns,
seinen phantastischen Überschwang an dem herzlichen, bisweilen überquellenden,
aber doch so viel einfacheren Empfinden des Freundes, so erinnert Johann
wieder in manchen Zügen eher an den Prinzen Wilhelm. In seinen rein
geistigen Interessen dagegen berührt er sich viel intimer mit dem preußischen
Kronprinzen. Sie beide standen noch im Zeichen des literarischen Geschlechts.
Sie lasen viel, Friedrich Wilhelm verfolgte die Danteübersetzung seines gelehrten
Freundes mit stetem Eifer. Wenn Johann einmal den Schwager beschwor, so tat
er es „bei allen Göttern Griechenlands und Skandinaviens, bei Dante und
Goethe, bei Beatrice und Laura, bei unserem Haß für die Nützlichkeitsmacher,
bei allen blauen Pflaumen Dresdens, bei dem entstandenen Erdbeben." Sie
hatten in jungen Jahren eine gemeinsame Reise nach Italien unternommen.
Friedrich Wilhelm hatte mit Rührung an Dantes Grab gestanden. Die
Erinnerungen an die Erlebnisse dieser Fahrt tauchen ab und zu in diesen
Briefen auf. Dem sächsischen Prinzen war ein Abend in Novi im Gedächtnis
geblieben, wo sie den ersten italienischen Sonnenuntergang sahen, das Dies irae
und das Stab-it mator deklamierten. So schwelgten der hohenzollernsche
Protestant, der sich so gern mittelalterlichen Vorstellungen hingab, und der
katholische Wettiner einträchtig miteinander in Empfindungen frommer Glut, wie
sie sich auch später in der Abneigung gegen die deutschkatholische Bewegung
zusammenfanden.

Wollte man kurzerhand die politischen Pole bezeichnen, die das innere
und äußere Leben dieser beiden Fürsten bestimmten und mit ihm das ihrer
ganzen Epoche, so möchte man sie auf der einen Seite in der Legitimität, auf
der anderen in der Revolution erblicken. In dem Kampf dieser beiden Ideen
entfalten sich alle die reichabgestuften Gegensätze, welche die vormärzliche Zeit
erfüllen und gewaltsam zusammenprallen, im Jahre 48, wo sie zugleich
ihren dramatischen und tragischen Höhepunkt erreichen. Johann und Friedrich
Wilhelm wurzelten im Glauben an das Gottesgnadentum der Monarchie, von
deren Aufgabe sie eine hohe und reine Vorstellung hatten; freilich sucht man
bei dem Sachsen vergeblich nach jenen: mystischen Schimmer, mit dem Friedrich
Wilhelm sich und sein Amt umkleidete. Man wird kaum irre gehen, wenn
man annimmt, daß sich Johann mehr der gottgewollten Pflichten als seiner
königlichen Ausnahmestellung bewußt war. Sein Herrschergefühl war, wie es
in dem ganzen Wesen dieses Mannes lag, nüchterner, einfacher, bürgerlicher,
und weit entfernt von der schwärmerischen, bisweilen ungesunden Verzückung,


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[0610] Drei Könige Kronprinzen mit seiner sich überstürzenden Skala von Gefühlen eine Originalität steckte, die ihm selber fremd war. Er ließ sich gelegentlich mit fortreißen, die Art Friedrich Wilhelms steckte ihn zuweilen an, aber immer spürt man auch in seinen gehobenen Stimmungen, daß er nicht so beweglich war, nüchterner und gewiß auch gesünder. Man wird ihn kaum als einen ausgesprochenen Roman¬ tiker betrachten können; Friedrich Wilhelm war es. Mißt man seinen viel- spältigen, schillernden Charakter an dem geraden, besonnenen Wesen Johanns, seinen phantastischen Überschwang an dem herzlichen, bisweilen überquellenden, aber doch so viel einfacheren Empfinden des Freundes, so erinnert Johann wieder in manchen Zügen eher an den Prinzen Wilhelm. In seinen rein geistigen Interessen dagegen berührt er sich viel intimer mit dem preußischen Kronprinzen. Sie beide standen noch im Zeichen des literarischen Geschlechts. Sie lasen viel, Friedrich Wilhelm verfolgte die Danteübersetzung seines gelehrten Freundes mit stetem Eifer. Wenn Johann einmal den Schwager beschwor, so tat er es „bei allen Göttern Griechenlands und Skandinaviens, bei Dante und Goethe, bei Beatrice und Laura, bei unserem Haß für die Nützlichkeitsmacher, bei allen blauen Pflaumen Dresdens, bei dem entstandenen Erdbeben." Sie hatten in jungen Jahren eine gemeinsame Reise nach Italien unternommen. Friedrich Wilhelm hatte mit Rührung an Dantes Grab gestanden. Die Erinnerungen an die Erlebnisse dieser Fahrt tauchen ab und zu in diesen Briefen auf. Dem sächsischen Prinzen war ein Abend in Novi im Gedächtnis geblieben, wo sie den ersten italienischen Sonnenuntergang sahen, das Dies irae und das Stab-it mator deklamierten. So schwelgten der hohenzollernsche Protestant, der sich so gern mittelalterlichen Vorstellungen hingab, und der katholische Wettiner einträchtig miteinander in Empfindungen frommer Glut, wie sie sich auch später in der Abneigung gegen die deutschkatholische Bewegung zusammenfanden. Wollte man kurzerhand die politischen Pole bezeichnen, die das innere und äußere Leben dieser beiden Fürsten bestimmten und mit ihm das ihrer ganzen Epoche, so möchte man sie auf der einen Seite in der Legitimität, auf der anderen in der Revolution erblicken. In dem Kampf dieser beiden Ideen entfalten sich alle die reichabgestuften Gegensätze, welche die vormärzliche Zeit erfüllen und gewaltsam zusammenprallen, im Jahre 48, wo sie zugleich ihren dramatischen und tragischen Höhepunkt erreichen. Johann und Friedrich Wilhelm wurzelten im Glauben an das Gottesgnadentum der Monarchie, von deren Aufgabe sie eine hohe und reine Vorstellung hatten; freilich sucht man bei dem Sachsen vergeblich nach jenen: mystischen Schimmer, mit dem Friedrich Wilhelm sich und sein Amt umkleidete. Man wird kaum irre gehen, wenn man annimmt, daß sich Johann mehr der gottgewollten Pflichten als seiner königlichen Ausnahmestellung bewußt war. Sein Herrschergefühl war, wie es in dem ganzen Wesen dieses Mannes lag, nüchterner, einfacher, bürgerlicher, und weit entfernt von der schwärmerischen, bisweilen ungesunden Verzückung,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_322400/610>, abgerufen am 15.01.2025.