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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr.

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Tag schärfer hervor. Die Hoffnung, daß durch eine Lokalisierung der Balkan¬
wirren und eine Verständigung der Großmächte das europäische Wirtschaftsleben
vor einem verderbenbringenden Rückschlag bewahrt werden könne, erweist sich
immer mehr als eine trügerische. Die entstandenen Schäden sind schon zu groß,
als daß sie überwunden werden könnten; sie ziehen weitere Kreise und machen
ihren lähmenden Einfluß schon da geltend, wo man sich außerhalb des Gefahren¬
kreises glaubte. So bedeutet das zu Ende gehende Jahr nicht einen hoffnungs¬
vollen, sondern einen sorgenreichen Abschluß einer glänzenden Wirtschaftsperiode.
Das Gefühl tiefster und beunruhigender Unsicherheit lastet aus Handel und
Wandel, es erstickt jede Unternehmungslust und verhindert alle Dispositionen,
denn niemand kennt die Gefahren der nächsten Zukunft.

Am schwersten und unmittelbarsten ist von dem Mißgeschick selbstverständlich
die Börse und der Kapitalmarkt betroffen. Der Effektenhandel stagniert
völlig. Nicht nur das Spekulationsgeschäft liegt brach -- das wäre noch zu
ertragen --, sondern auch die ernsthafte Kapitalanlage alimentiert den Markt
nicht mehr. So sinkt das Kursniveau tiefer und tiefer. Schon haben unsere
vierprozentigen Anleihen und Schatzscheine den Paristand aufgeben müssen.
Nichts spricht deutlicher die augenblickliche Lage des Anlagemarktes aus, als die
Tatsache, daß die in kurzen Fristen rückzahlbaren vierprozentigen Schatzscheine,
eine Anlage allererster Qualität, ein volles Prozent unter Pari notieren, daher
nahezu 4^ Prozent Zinsen abwerfen. Die Geldverteuerung hat besorgnis¬
erregende Formen angenommen. Der Ausweis der Reichsbank zeigt, daß ihr
Status sich gegen das Vorjahr vom September ab um mehr als 600 Millionen
verschlechtert hat. Trotzdem hat die Bank ihren Satz von 6 Prozent nicht
erhöht, um die Beunruhigung nicht zu vermehren; sie kann davon aber nur
solange absehen, als sich der englische Geldmarkt noch in leidlich normaler Ver¬
fassung befindet und der Stand der Devisenkurse nicht einen Abfluß von Gold
befürchten läßt. Das ist glücklicherweise einstweilen noch der Fall. Am offenen
Markte aber versteifen sich die Sätze mehr und mehr. Der Privatdiskont steht
auf voller Höhe der Bankratc; für Ultimogeld wurden phantastische Schätzungen
von 10 Prozent genannt, so daß die Deutsche Bank, um den Markt zu be¬
schwichtigen, sich bewogen fand, Geld zu 8^ Prozent zur Verfügung zu stellen.
Unzweifelhaft hat auf die Knappheit von Geld auch die Kopflosigkeit Einfluß,
mit der gewisse Bevölkerungskreise Gold und Banknoten aufspeichern, um für
den Kriegsfall gerüstet zu sein. Wir haben schon jüngst darauf hingewiesen,
daß die starken Abhebungen bei den Sparkassen solchen Thesaurierungszwecken
dienen. Sollte man es aber für möglich halten, daß auch wohlhabende, ja
reiche Kreise zu solchen Mitteln greifen? Die Deutsche Bank glaubt es fest¬
stellen zu können. Ist dem so, dann offenbart sich in solchem Verhalten ein
wirtschaftlicher Unverstand, dessen man sich nur schämen kann. Es ist alsdann
die ernste Mahnung am Platze, nicht durch so törichtes Verhalten gerade die
Katastrophen herbeizuführen, denen man zu entgehen wünscht. Nur eine fast


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Tag schärfer hervor. Die Hoffnung, daß durch eine Lokalisierung der Balkan¬
wirren und eine Verständigung der Großmächte das europäische Wirtschaftsleben
vor einem verderbenbringenden Rückschlag bewahrt werden könne, erweist sich
immer mehr als eine trügerische. Die entstandenen Schäden sind schon zu groß,
als daß sie überwunden werden könnten; sie ziehen weitere Kreise und machen
ihren lähmenden Einfluß schon da geltend, wo man sich außerhalb des Gefahren¬
kreises glaubte. So bedeutet das zu Ende gehende Jahr nicht einen hoffnungs¬
vollen, sondern einen sorgenreichen Abschluß einer glänzenden Wirtschaftsperiode.
Das Gefühl tiefster und beunruhigender Unsicherheit lastet aus Handel und
Wandel, es erstickt jede Unternehmungslust und verhindert alle Dispositionen,
denn niemand kennt die Gefahren der nächsten Zukunft.

Am schwersten und unmittelbarsten ist von dem Mißgeschick selbstverständlich
die Börse und der Kapitalmarkt betroffen. Der Effektenhandel stagniert
völlig. Nicht nur das Spekulationsgeschäft liegt brach — das wäre noch zu
ertragen —, sondern auch die ernsthafte Kapitalanlage alimentiert den Markt
nicht mehr. So sinkt das Kursniveau tiefer und tiefer. Schon haben unsere
vierprozentigen Anleihen und Schatzscheine den Paristand aufgeben müssen.
Nichts spricht deutlicher die augenblickliche Lage des Anlagemarktes aus, als die
Tatsache, daß die in kurzen Fristen rückzahlbaren vierprozentigen Schatzscheine,
eine Anlage allererster Qualität, ein volles Prozent unter Pari notieren, daher
nahezu 4^ Prozent Zinsen abwerfen. Die Geldverteuerung hat besorgnis¬
erregende Formen angenommen. Der Ausweis der Reichsbank zeigt, daß ihr
Status sich gegen das Vorjahr vom September ab um mehr als 600 Millionen
verschlechtert hat. Trotzdem hat die Bank ihren Satz von 6 Prozent nicht
erhöht, um die Beunruhigung nicht zu vermehren; sie kann davon aber nur
solange absehen, als sich der englische Geldmarkt noch in leidlich normaler Ver¬
fassung befindet und der Stand der Devisenkurse nicht einen Abfluß von Gold
befürchten läßt. Das ist glücklicherweise einstweilen noch der Fall. Am offenen
Markte aber versteifen sich die Sätze mehr und mehr. Der Privatdiskont steht
auf voller Höhe der Bankratc; für Ultimogeld wurden phantastische Schätzungen
von 10 Prozent genannt, so daß die Deutsche Bank, um den Markt zu be¬
schwichtigen, sich bewogen fand, Geld zu 8^ Prozent zur Verfügung zu stellen.
Unzweifelhaft hat auf die Knappheit von Geld auch die Kopflosigkeit Einfluß,
mit der gewisse Bevölkerungskreise Gold und Banknoten aufspeichern, um für
den Kriegsfall gerüstet zu sein. Wir haben schon jüngst darauf hingewiesen,
daß die starken Abhebungen bei den Sparkassen solchen Thesaurierungszwecken
dienen. Sollte man es aber für möglich halten, daß auch wohlhabende, ja
reiche Kreise zu solchen Mitteln greifen? Die Deutsche Bank glaubt es fest¬
stellen zu können. Ist dem so, dann offenbart sich in solchem Verhalten ein
wirtschaftlicher Unverstand, dessen man sich nur schämen kann. Es ist alsdann
die ernste Mahnung am Platze, nicht durch so törichtes Verhalten gerade die
Katastrophen herbeizuführen, denen man zu entgehen wünscht. Nur eine fast


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[0598] Reichsspicgcl Tag schärfer hervor. Die Hoffnung, daß durch eine Lokalisierung der Balkan¬ wirren und eine Verständigung der Großmächte das europäische Wirtschaftsleben vor einem verderbenbringenden Rückschlag bewahrt werden könne, erweist sich immer mehr als eine trügerische. Die entstandenen Schäden sind schon zu groß, als daß sie überwunden werden könnten; sie ziehen weitere Kreise und machen ihren lähmenden Einfluß schon da geltend, wo man sich außerhalb des Gefahren¬ kreises glaubte. So bedeutet das zu Ende gehende Jahr nicht einen hoffnungs¬ vollen, sondern einen sorgenreichen Abschluß einer glänzenden Wirtschaftsperiode. Das Gefühl tiefster und beunruhigender Unsicherheit lastet aus Handel und Wandel, es erstickt jede Unternehmungslust und verhindert alle Dispositionen, denn niemand kennt die Gefahren der nächsten Zukunft. Am schwersten und unmittelbarsten ist von dem Mißgeschick selbstverständlich die Börse und der Kapitalmarkt betroffen. Der Effektenhandel stagniert völlig. Nicht nur das Spekulationsgeschäft liegt brach — das wäre noch zu ertragen —, sondern auch die ernsthafte Kapitalanlage alimentiert den Markt nicht mehr. So sinkt das Kursniveau tiefer und tiefer. Schon haben unsere vierprozentigen Anleihen und Schatzscheine den Paristand aufgeben müssen. Nichts spricht deutlicher die augenblickliche Lage des Anlagemarktes aus, als die Tatsache, daß die in kurzen Fristen rückzahlbaren vierprozentigen Schatzscheine, eine Anlage allererster Qualität, ein volles Prozent unter Pari notieren, daher nahezu 4^ Prozent Zinsen abwerfen. Die Geldverteuerung hat besorgnis¬ erregende Formen angenommen. Der Ausweis der Reichsbank zeigt, daß ihr Status sich gegen das Vorjahr vom September ab um mehr als 600 Millionen verschlechtert hat. Trotzdem hat die Bank ihren Satz von 6 Prozent nicht erhöht, um die Beunruhigung nicht zu vermehren; sie kann davon aber nur solange absehen, als sich der englische Geldmarkt noch in leidlich normaler Ver¬ fassung befindet und der Stand der Devisenkurse nicht einen Abfluß von Gold befürchten läßt. Das ist glücklicherweise einstweilen noch der Fall. Am offenen Markte aber versteifen sich die Sätze mehr und mehr. Der Privatdiskont steht auf voller Höhe der Bankratc; für Ultimogeld wurden phantastische Schätzungen von 10 Prozent genannt, so daß die Deutsche Bank, um den Markt zu be¬ schwichtigen, sich bewogen fand, Geld zu 8^ Prozent zur Verfügung zu stellen. Unzweifelhaft hat auf die Knappheit von Geld auch die Kopflosigkeit Einfluß, mit der gewisse Bevölkerungskreise Gold und Banknoten aufspeichern, um für den Kriegsfall gerüstet zu sein. Wir haben schon jüngst darauf hingewiesen, daß die starken Abhebungen bei den Sparkassen solchen Thesaurierungszwecken dienen. Sollte man es aber für möglich halten, daß auch wohlhabende, ja reiche Kreise zu solchen Mitteln greifen? Die Deutsche Bank glaubt es fest¬ stellen zu können. Ist dem so, dann offenbart sich in solchem Verhalten ein wirtschaftlicher Unverstand, dessen man sich nur schämen kann. Es ist alsdann die ernste Mahnung am Platze, nicht durch so törichtes Verhalten gerade die Katastrophen herbeizuführen, denen man zu entgehen wünscht. Nur eine fast

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_322400/598>, abgerufen am 15.01.2025.