Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr.Acrrl Salzer Hannes Holtner aber bückt sich zu seinem Schützling nieder, der regungslos "Karl, mein lieber Bub, Karl, hörst du, Karl?" Keine Antwort. Da hebt Hannes Holtner den Getroffenen auf wie ein Erschüttert legt Hannes Holtner die Leiche wieder auf die Erde, lehnt sich "Hannes I" Sonst nichts. "Vinzenz!" sagt Hannes Holtner und deutet auf die Leiche. Sonst nichts. Vinzenz Holtner aber weiß, daß der Bruder nach betrogener Jugendliebe, Die Kunde von dem Unglück hat sich durch das Dorf verbreitet, und in Auch der Pfarrer kommt nach der Messe heraus. Er ist tief erschüttert, in Er sieht den Schmerz des Hannes Holtner und streckt ihm die Hand entgegen. Da neigt der Priester den Kopf auf die Brust, die Hand aber läßt er nicht Als die Hungels-Grek von der Leiche ihres Neffen zurückkommt, tritt sie an "Das ist die Vergeltung!" Dem Manne schwellen die Zornadern dick wie Bindfaden heraus, aber er "Vergeltung?" Aus seinem Munde kommt die Frage so schauerlich, daß dem Weibe alle Acrrl Salzer Hannes Holtner aber bückt sich zu seinem Schützling nieder, der regungslos „Karl, mein lieber Bub, Karl, hörst du, Karl?" Keine Antwort. Da hebt Hannes Holtner den Getroffenen auf wie ein Erschüttert legt Hannes Holtner die Leiche wieder auf die Erde, lehnt sich „Hannes I" Sonst nichts. „Vinzenz!" sagt Hannes Holtner und deutet auf die Leiche. Sonst nichts. Vinzenz Holtner aber weiß, daß der Bruder nach betrogener Jugendliebe, Die Kunde von dem Unglück hat sich durch das Dorf verbreitet, und in Auch der Pfarrer kommt nach der Messe heraus. Er ist tief erschüttert, in Er sieht den Schmerz des Hannes Holtner und streckt ihm die Hand entgegen. Da neigt der Priester den Kopf auf die Brust, die Hand aber läßt er nicht Als die Hungels-Grek von der Leiche ihres Neffen zurückkommt, tritt sie an „Das ist die Vergeltung!" Dem Manne schwellen die Zornadern dick wie Bindfaden heraus, aber er „Vergeltung?" Aus seinem Munde kommt die Frage so schauerlich, daß dem Weibe alle <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0589" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/322991"/> <fw type="header" place="top"> Acrrl Salzer</fw><lb/> <p xml:id="ID_2922"> Hannes Holtner aber bückt sich zu seinem Schützling nieder, der regungslos<lb/> daliegt.</p><lb/> <p xml:id="ID_2923"> „Karl, mein lieber Bub, Karl, hörst du, Karl?"</p><lb/> <p xml:id="ID_2924"> Keine Antwort. Da hebt Hannes Holtner den Getroffenen auf wie ein<lb/> kleines Kind. Er ist tot. Die Liebe hat die Seele, die sie aus der Verlierung<lb/> erlöst, mit sich in die Heimat genommen.</p><lb/> <p xml:id="ID_2925"> Erschüttert legt Hannes Holtner die Leiche wieder auf die Erde, lehnt sich<lb/> wider die Friedhofsmauer und hält Wache bei seinem Liebling. Sein Blick geht<lb/> verloren inS Weite. Er zuckt zusammen, als er seinen Namen rufen hört. Sein<lb/> Bruder Vinzenz steht vor ihm.</p><lb/> <p xml:id="ID_2926"> „Hannes I"</p><lb/> <p xml:id="ID_2927"> Sonst nichts.</p><lb/> <p xml:id="ID_2928"> „Vinzenz!" sagt Hannes Holtner und deutet auf die Leiche. Sonst nichts.</p><lb/> <p xml:id="ID_2929"> Vinzenz Holtner aber weiß, daß der Bruder nach betrogener Jugendliebe,<lb/> die ihn von der Hochschule zurück auf die väterliche Scholle getrieben hatte, den<lb/> größten Schmerz seines Lebens leidet. Vinzenz Holtner weiß auch, daß sein<lb/> Bruder mitschuldig ist an den grausigen Geschehnissen, aber er schweigt.</p><lb/> <p xml:id="ID_2930"> Die Kunde von dem Unglück hat sich durch das Dorf verbreitet, und in<lb/> Scharen strömen sie heraus. Es ist ein Summen und surren von Stimmen vor<lb/> dem Friedhof, an dessen Eingang der alte Rüppel Wache hält und die An¬<lb/> drängenden zurückweist. Die nicht Zeugen der Tat waren, fragen nach den Einzel¬<lb/> heiten, und dann sprechen und raunen sie, wie doch ein Unglück das andere nach<lb/> sich ziehe.</p><lb/> <p xml:id="ID_2931"> Auch der Pfarrer kommt nach der Messe heraus. Er ist tief erschüttert, in<lb/> seinen Augen stehen Tränen. O, es ist so schwer, so grauenhaft verantwortungs¬<lb/> voll, Pfarrer zu sein, Hirte. Seine Lippen zittern von den Gebetsworten, die<lb/> zagend und zuckend über sie beben. O Gott, wieviel des vergossenen Blutes<lb/> kommt über ihn?</p><lb/> <p xml:id="ID_2932"> Er sieht den Schmerz des Hannes Holtner und streckt ihm die Hand entgegen.<lb/> Doch der achtet es nicht und sieht über den Pfarrer hinweg.</p><lb/> <p xml:id="ID_2933"> Da neigt der Priester den Kopf auf die Brust, die Hand aber läßt er nicht<lb/> sinken, sondern hebt sie höher zum Segen über den toten Karl.</p><lb/> <p xml:id="ID_2934"> Als die Hungels-Grek von der Leiche ihres Neffen zurückkommt, tritt sie an<lb/> die seines Mörders, schaut Hannes Holtner fest ins Gesicht und sagt mit<lb/> ungebrochen grausamer Schärfe:</p><lb/> <p xml:id="ID_2935"> „Das ist die Vergeltung!"</p><lb/> <p xml:id="ID_2936"> Dem Manne schwellen die Zornadern dick wie Bindfaden heraus, aber er<lb/> mäßigt sich. Mit tiefer Stimme fragt er die Hungels-Grek:</p><lb/> <p xml:id="ID_2937"> „Vergeltung?"</p><lb/> <p xml:id="ID_2938"> Aus seinem Munde kommt die Frage so schauerlich, daß dem Weibe alle<lb/> Brunnen der Frömmigkeit einbrechen. Der Tempel der Selbstgerechtigkeit, den<lb/> sie sich erbaut, stürzt zusammen und zerschmettert ihre Festigkeit. Sie taumelt<lb/> zurück vor der Erkenntnis, die bei der Frage Hannes Holtners wie ein zischender<lb/> Blitz ihre Seele durchzuckt. Sie wendet sich ab, wortlos zwar, aber das Herz<lb/> voll rasend anstürmender Vorwürfe und Anklagen.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0589]
Acrrl Salzer
Hannes Holtner aber bückt sich zu seinem Schützling nieder, der regungslos
daliegt.
„Karl, mein lieber Bub, Karl, hörst du, Karl?"
Keine Antwort. Da hebt Hannes Holtner den Getroffenen auf wie ein
kleines Kind. Er ist tot. Die Liebe hat die Seele, die sie aus der Verlierung
erlöst, mit sich in die Heimat genommen.
Erschüttert legt Hannes Holtner die Leiche wieder auf die Erde, lehnt sich
wider die Friedhofsmauer und hält Wache bei seinem Liebling. Sein Blick geht
verloren inS Weite. Er zuckt zusammen, als er seinen Namen rufen hört. Sein
Bruder Vinzenz steht vor ihm.
„Hannes I"
Sonst nichts.
„Vinzenz!" sagt Hannes Holtner und deutet auf die Leiche. Sonst nichts.
Vinzenz Holtner aber weiß, daß der Bruder nach betrogener Jugendliebe,
die ihn von der Hochschule zurück auf die väterliche Scholle getrieben hatte, den
größten Schmerz seines Lebens leidet. Vinzenz Holtner weiß auch, daß sein
Bruder mitschuldig ist an den grausigen Geschehnissen, aber er schweigt.
Die Kunde von dem Unglück hat sich durch das Dorf verbreitet, und in
Scharen strömen sie heraus. Es ist ein Summen und surren von Stimmen vor
dem Friedhof, an dessen Eingang der alte Rüppel Wache hält und die An¬
drängenden zurückweist. Die nicht Zeugen der Tat waren, fragen nach den Einzel¬
heiten, und dann sprechen und raunen sie, wie doch ein Unglück das andere nach
sich ziehe.
Auch der Pfarrer kommt nach der Messe heraus. Er ist tief erschüttert, in
seinen Augen stehen Tränen. O, es ist so schwer, so grauenhaft verantwortungs¬
voll, Pfarrer zu sein, Hirte. Seine Lippen zittern von den Gebetsworten, die
zagend und zuckend über sie beben. O Gott, wieviel des vergossenen Blutes
kommt über ihn?
Er sieht den Schmerz des Hannes Holtner und streckt ihm die Hand entgegen.
Doch der achtet es nicht und sieht über den Pfarrer hinweg.
Da neigt der Priester den Kopf auf die Brust, die Hand aber läßt er nicht
sinken, sondern hebt sie höher zum Segen über den toten Karl.
Als die Hungels-Grek von der Leiche ihres Neffen zurückkommt, tritt sie an
die seines Mörders, schaut Hannes Holtner fest ins Gesicht und sagt mit
ungebrochen grausamer Schärfe:
„Das ist die Vergeltung!"
Dem Manne schwellen die Zornadern dick wie Bindfaden heraus, aber er
mäßigt sich. Mit tiefer Stimme fragt er die Hungels-Grek:
„Vergeltung?"
Aus seinem Munde kommt die Frage so schauerlich, daß dem Weibe alle
Brunnen der Frömmigkeit einbrechen. Der Tempel der Selbstgerechtigkeit, den
sie sich erbaut, stürzt zusammen und zerschmettert ihre Festigkeit. Sie taumelt
zurück vor der Erkenntnis, die bei der Frage Hannes Holtners wie ein zischender
Blitz ihre Seele durchzuckt. Sie wendet sich ab, wortlos zwar, aber das Herz
voll rasend anstürmender Vorwürfe und Anklagen.
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |