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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr.

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Rarl Salzev

Bem, bem, bem, bem. Bau!

Vorüber ist die Totenstunde, die Gespensterzeit.

Gegen Morgen dampft ein leichter Nebel auf, aber er wird nicht dicht.
Als es zu dämmern beginnt, erhebt sich ein frischer Luftzug, der ihn wieder ganz
zerbläst.

Schon befürchtet Karl, daß er vergebens gewartet, daß er den Schrecken
umsonst erduldet habe, als er durch die herbstlich hohl hallende Luft den Klang
von Schritten fallen hört. Er horcht gespannt. Es ist ihm, als ob sein Gehörsinn
sich weiter ins vordere Ohr dränge.

Sind es Tänzer, die vom "Grünen Baum" kommen und den Weg nach Hause
hinter dem Park her nehmen?

Die Schritte nähern sich. Schon kann man unterscheiden, daß sie nur von
einer Person herrühren.

Es schlägt halb Sechs auf der Turmuhr, als das Friedhofstor quietscht.
Karl biegt den Kopf nach vorn, um besser sehen zu können, stiert scharf, und ein
Feuer sprenkelt durch seine Augen. Er huscht hinter die Zypresse zurück.

Es ist der Fulde-Jean.

Karl sieht, wie er geraden Wegs auf das Grab seines Vaters zugeht, wie er
dort ein Messer aus der Tasche zieht, es aufklappt und sich zu dem Kreuze nieder¬
beugt. Er ist in seine Arbeit vertieft.

Auf allen Vieren verläßt Karl sein Versteck und kriecht, so behende er nur
kann, in einem weiten Bogen um den Grabschänder herum, um ihn von hinten
zu erreichen.

Auf zehn Schritte ist er noch von ihm entfernt. Da macht er Halt, reckt
sich auf, ballt die Fäuste und bleckt die Zähne aufeinander. Die Rachsucht schüttelt
ihn, eine brutale Gier kommt in ihm auf. Es zuckt in seinen Fäusten, die Zähne
knirschen und mahlen aufeinander. Er muß, muß diesen Kerl da zusammen¬
hauen, wie ein Schmied altes Eisen. Des Vaters schweren Zuschlaghammer
wünscht er sich in die Faust.. .. Zerschmettern würde er den verdammten Grab¬
schänder da vorn. ...

Nun brüllt der Bursche, daß ihm der Schaum von den blauen Lippen stockt:

"Du verfluchter Hund, jetzert bist du verloren I"

Jean Fuld schrickt zusammen, das Messer entfällt seiner Hand, er fährt herum
wie ein heftig angedrehter Kreisel, und dann sieht er den Sohn des verhaßten
Selbstmörders in mächtigen Sätzen aus sich losrasen. Noch ehe er sich eines
weiteren besinnen kann, hat ihn sein Gegner gepackt.

Die beiden halten sich umklammert. Brust liegt an Brust. Sie ringen.
Die Stiefel wühlen sich in den weichen Lehmboden ein. Die Rücken sind gestrafft.
Jeder versucht, den anderen vom Boden in die Höhe zu bringen, um ihn dann
niederzuschleudern. Aber noch gelingt es keinem. Es ist ein wildes Keuchen und
Stampfen. Die Blumen sind zertreten. In der Blindheit des Kampfes stürzen
die beiden wider das Kreuz, daß es krachend zerbricht. Da zuckt der Fuld zu¬
sammen und ächzt mit heiserem Krächzruf:

"Hilfe!"

Die Kräfte verlassen ihn. Der wütende Schmiedesohn zischt ihm ins Gesicht:

"Was, Hilfe? Feigling! Hab ich dich jetzert, Kerl, hab ich dich?"


Rarl Salzev

Bem, bem, bem, bem. Bau!

Vorüber ist die Totenstunde, die Gespensterzeit.

Gegen Morgen dampft ein leichter Nebel auf, aber er wird nicht dicht.
Als es zu dämmern beginnt, erhebt sich ein frischer Luftzug, der ihn wieder ganz
zerbläst.

Schon befürchtet Karl, daß er vergebens gewartet, daß er den Schrecken
umsonst erduldet habe, als er durch die herbstlich hohl hallende Luft den Klang
von Schritten fallen hört. Er horcht gespannt. Es ist ihm, als ob sein Gehörsinn
sich weiter ins vordere Ohr dränge.

Sind es Tänzer, die vom „Grünen Baum" kommen und den Weg nach Hause
hinter dem Park her nehmen?

Die Schritte nähern sich. Schon kann man unterscheiden, daß sie nur von
einer Person herrühren.

Es schlägt halb Sechs auf der Turmuhr, als das Friedhofstor quietscht.
Karl biegt den Kopf nach vorn, um besser sehen zu können, stiert scharf, und ein
Feuer sprenkelt durch seine Augen. Er huscht hinter die Zypresse zurück.

Es ist der Fulde-Jean.

Karl sieht, wie er geraden Wegs auf das Grab seines Vaters zugeht, wie er
dort ein Messer aus der Tasche zieht, es aufklappt und sich zu dem Kreuze nieder¬
beugt. Er ist in seine Arbeit vertieft.

Auf allen Vieren verläßt Karl sein Versteck und kriecht, so behende er nur
kann, in einem weiten Bogen um den Grabschänder herum, um ihn von hinten
zu erreichen.

Auf zehn Schritte ist er noch von ihm entfernt. Da macht er Halt, reckt
sich auf, ballt die Fäuste und bleckt die Zähne aufeinander. Die Rachsucht schüttelt
ihn, eine brutale Gier kommt in ihm auf. Es zuckt in seinen Fäusten, die Zähne
knirschen und mahlen aufeinander. Er muß, muß diesen Kerl da zusammen¬
hauen, wie ein Schmied altes Eisen. Des Vaters schweren Zuschlaghammer
wünscht er sich in die Faust.. .. Zerschmettern würde er den verdammten Grab¬
schänder da vorn. ...

Nun brüllt der Bursche, daß ihm der Schaum von den blauen Lippen stockt:

„Du verfluchter Hund, jetzert bist du verloren I"

Jean Fuld schrickt zusammen, das Messer entfällt seiner Hand, er fährt herum
wie ein heftig angedrehter Kreisel, und dann sieht er den Sohn des verhaßten
Selbstmörders in mächtigen Sätzen aus sich losrasen. Noch ehe er sich eines
weiteren besinnen kann, hat ihn sein Gegner gepackt.

Die beiden halten sich umklammert. Brust liegt an Brust. Sie ringen.
Die Stiefel wühlen sich in den weichen Lehmboden ein. Die Rücken sind gestrafft.
Jeder versucht, den anderen vom Boden in die Höhe zu bringen, um ihn dann
niederzuschleudern. Aber noch gelingt es keinem. Es ist ein wildes Keuchen und
Stampfen. Die Blumen sind zertreten. In der Blindheit des Kampfes stürzen
die beiden wider das Kreuz, daß es krachend zerbricht. Da zuckt der Fuld zu¬
sammen und ächzt mit heiserem Krächzruf:

„Hilfe!"

Die Kräfte verlassen ihn. Der wütende Schmiedesohn zischt ihm ins Gesicht:

„Was, Hilfe? Feigling! Hab ich dich jetzert, Kerl, hab ich dich?"


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[0585] Rarl Salzev Bem, bem, bem, bem. Bau! Vorüber ist die Totenstunde, die Gespensterzeit. Gegen Morgen dampft ein leichter Nebel auf, aber er wird nicht dicht. Als es zu dämmern beginnt, erhebt sich ein frischer Luftzug, der ihn wieder ganz zerbläst. Schon befürchtet Karl, daß er vergebens gewartet, daß er den Schrecken umsonst erduldet habe, als er durch die herbstlich hohl hallende Luft den Klang von Schritten fallen hört. Er horcht gespannt. Es ist ihm, als ob sein Gehörsinn sich weiter ins vordere Ohr dränge. Sind es Tänzer, die vom „Grünen Baum" kommen und den Weg nach Hause hinter dem Park her nehmen? Die Schritte nähern sich. Schon kann man unterscheiden, daß sie nur von einer Person herrühren. Es schlägt halb Sechs auf der Turmuhr, als das Friedhofstor quietscht. Karl biegt den Kopf nach vorn, um besser sehen zu können, stiert scharf, und ein Feuer sprenkelt durch seine Augen. Er huscht hinter die Zypresse zurück. Es ist der Fulde-Jean. Karl sieht, wie er geraden Wegs auf das Grab seines Vaters zugeht, wie er dort ein Messer aus der Tasche zieht, es aufklappt und sich zu dem Kreuze nieder¬ beugt. Er ist in seine Arbeit vertieft. Auf allen Vieren verläßt Karl sein Versteck und kriecht, so behende er nur kann, in einem weiten Bogen um den Grabschänder herum, um ihn von hinten zu erreichen. Auf zehn Schritte ist er noch von ihm entfernt. Da macht er Halt, reckt sich auf, ballt die Fäuste und bleckt die Zähne aufeinander. Die Rachsucht schüttelt ihn, eine brutale Gier kommt in ihm auf. Es zuckt in seinen Fäusten, die Zähne knirschen und mahlen aufeinander. Er muß, muß diesen Kerl da zusammen¬ hauen, wie ein Schmied altes Eisen. Des Vaters schweren Zuschlaghammer wünscht er sich in die Faust.. .. Zerschmettern würde er den verdammten Grab¬ schänder da vorn. ... Nun brüllt der Bursche, daß ihm der Schaum von den blauen Lippen stockt: „Du verfluchter Hund, jetzert bist du verloren I" Jean Fuld schrickt zusammen, das Messer entfällt seiner Hand, er fährt herum wie ein heftig angedrehter Kreisel, und dann sieht er den Sohn des verhaßten Selbstmörders in mächtigen Sätzen aus sich losrasen. Noch ehe er sich eines weiteren besinnen kann, hat ihn sein Gegner gepackt. Die beiden halten sich umklammert. Brust liegt an Brust. Sie ringen. Die Stiefel wühlen sich in den weichen Lehmboden ein. Die Rücken sind gestrafft. Jeder versucht, den anderen vom Boden in die Höhe zu bringen, um ihn dann niederzuschleudern. Aber noch gelingt es keinem. Es ist ein wildes Keuchen und Stampfen. Die Blumen sind zertreten. In der Blindheit des Kampfes stürzen die beiden wider das Kreuz, daß es krachend zerbricht. Da zuckt der Fuld zu¬ sammen und ächzt mit heiserem Krächzruf: „Hilfe!" Die Kräfte verlassen ihn. Der wütende Schmiedesohn zischt ihm ins Gesicht: „Was, Hilfe? Feigling! Hab ich dich jetzert, Kerl, hab ich dich?"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_322400/585>, abgerufen am 15.01.2025.