Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr.Zur Rechtfertigung des Krieges Völker und ihrer Kultur fordert? Man antwortet: ist diese faul, so wird sie Nun aber fordert die Moral den ewigen Frieden! Sowohl, heißt es, die Zur Rechtfertigung des Krieges Völker und ihrer Kultur fordert? Man antwortet: ist diese faul, so wird sie Nun aber fordert die Moral den ewigen Frieden! Sowohl, heißt es, die <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0576" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/322978"/> <fw type="header" place="top"> Zur Rechtfertigung des Krieges</fw><lb/> <p xml:id="ID_2822" prev="#ID_2821"> Völker und ihrer Kultur fordert? Man antwortet: ist diese faul, so wird sie<lb/> von selbst auch im Frieden zugrunde gehen. Aber angenommen, es herrsche<lb/> wirklich der allgemeine Friede, kein Volk überschreite seine einmal gezogenen<lb/> Grenzen und mache sich andere Völker Untertan wie Preußen, Österreich und<lb/> Rußland sich Polen Untertan machten — von woher soll dann der neue Auf¬<lb/> trieb der Entwicklung in das große Absterben und Verkommen gebracht werden?<lb/> Man kann gewiß im einzelnen Falle sagen: ein Krieg zwischen Großbritannien<lb/> und dem Deutschen Reich sei unzweckmäßig, weil er Werte austilge, deren<lb/> Vernichtung in keinem Verhältnis stehe zu den: möglichen Siegespreis. Dann<lb/> setzt man eben als Maßstab des Zweckmäßigkeitsurteils voraus, daß der Bestand<lb/> gewisser Werte wünschenswert sei, nämlich derjenigen, die durch das Neben¬<lb/> einanderleben der beiden Völker gegeben sind. Man kann aber gedanklich den<lb/> Standpunkt höher und immer höher wählen und damit schließlich alle bestimmten<lb/> Werte und Zwecke und mit ihnen dann alle bestimmten Maßstäbe in Frage<lb/> stellen. Welchen Standpunkt ich auf dieser Leiter einnehme, hängt ab erstens<lb/> von meinem Willensentschluß, zweitens davon, welche gegenwärtigen und zu¬<lb/> künftig zu erwartenden Tatsachen sich mir als Grundlage meines Urteils auf¬<lb/> drängen. Wählen wir beispielsweise als Standpunkt den höchstmöglichen:<lb/> die Aufwärtsentwicklung der ganzen Menschheit oder gar des Kosmos. Dann<lb/> kann man entweder davon ausgehen, daß ein Faulwerden unserer Kultur<lb/> möglich oder wahrscheinlich sei. Alsdann würde die Ausschließung eines Krieges<lb/> jede Aufwärtsbewegung abschneiden, ein ewiger Friede wäre also unzweckmäßig.<lb/> Oder man ist überzeugt, daß wir auf dem geraden, untrüglichen Weg zum<lb/> höchsten Ziele sind und daß ein Irrtum ausgeschlossen ist. Dann wird man<lb/> den Krieg als entwicklungshindernd bekriegen. Nimmt man weiterhin als<lb/> Standpunkt die Entwicklung einer bestimmten Kultur, einer Rasse, eines Volkes,<lb/> einer Stadt oder bestimmter Persönlichkeiten, so lassen sich die Schlußfolgerungen<lb/> auf Grund jener beiden Tatsachen-Voraussetzungen beliebig nach der einen oder<lb/> anderen Seite hin ziehen. Das besagt: mit dein logischen Denken allein läßt<lb/> sich ohne Selbsttäuschung garnichts Festes über die Zweckmäßigkeit des ewigen<lb/> Friedens ausmachen. Welchen Standpunkt man einnimmt und welche Tatsachen<lb/> man seinem Urteil zugrunde legt, hängt ab von der Eigenart des Urteilenden<lb/> sowie von den Einzelerfahrungen, auf Grund deren er verallgemeinert. Andere<lb/> werden ihm immer Verallgemeinerungen anderer Einzelerfahrungen gegenüber¬<lb/> stellen können. Mit der bloßen Zweckmäßigkeit ist es also nichts.</p><lb/> <p xml:id="ID_2823" next="#ID_2824"> Nun aber fordert die Moral den ewigen Frieden! Sowohl, heißt es, die<lb/> Moral der einzelnen wie die der Völker als Gesamtkörper (Kollektivindividuen).<lb/> Bleiben wir zunächst bei jener. Da kommt in Betracht einmal der Krieg als<lb/> sittenverderbendes Milieu für den einzelnen und zum anderen die beiden Gebote:<lb/> du sollst deinen Nächsten nicht schädigen und töten, und: du sollst deinem<lb/> Nächsten, es sei Freund oder Feind, Gutes erweisen. Der Behauptung, daß<lb/> der Krieg Laster erzeuge, kann man die Behauptung entgegenstellen, er erzeuge</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0576]
Zur Rechtfertigung des Krieges
Völker und ihrer Kultur fordert? Man antwortet: ist diese faul, so wird sie
von selbst auch im Frieden zugrunde gehen. Aber angenommen, es herrsche
wirklich der allgemeine Friede, kein Volk überschreite seine einmal gezogenen
Grenzen und mache sich andere Völker Untertan wie Preußen, Österreich und
Rußland sich Polen Untertan machten — von woher soll dann der neue Auf¬
trieb der Entwicklung in das große Absterben und Verkommen gebracht werden?
Man kann gewiß im einzelnen Falle sagen: ein Krieg zwischen Großbritannien
und dem Deutschen Reich sei unzweckmäßig, weil er Werte austilge, deren
Vernichtung in keinem Verhältnis stehe zu den: möglichen Siegespreis. Dann
setzt man eben als Maßstab des Zweckmäßigkeitsurteils voraus, daß der Bestand
gewisser Werte wünschenswert sei, nämlich derjenigen, die durch das Neben¬
einanderleben der beiden Völker gegeben sind. Man kann aber gedanklich den
Standpunkt höher und immer höher wählen und damit schließlich alle bestimmten
Werte und Zwecke und mit ihnen dann alle bestimmten Maßstäbe in Frage
stellen. Welchen Standpunkt ich auf dieser Leiter einnehme, hängt ab erstens
von meinem Willensentschluß, zweitens davon, welche gegenwärtigen und zu¬
künftig zu erwartenden Tatsachen sich mir als Grundlage meines Urteils auf¬
drängen. Wählen wir beispielsweise als Standpunkt den höchstmöglichen:
die Aufwärtsentwicklung der ganzen Menschheit oder gar des Kosmos. Dann
kann man entweder davon ausgehen, daß ein Faulwerden unserer Kultur
möglich oder wahrscheinlich sei. Alsdann würde die Ausschließung eines Krieges
jede Aufwärtsbewegung abschneiden, ein ewiger Friede wäre also unzweckmäßig.
Oder man ist überzeugt, daß wir auf dem geraden, untrüglichen Weg zum
höchsten Ziele sind und daß ein Irrtum ausgeschlossen ist. Dann wird man
den Krieg als entwicklungshindernd bekriegen. Nimmt man weiterhin als
Standpunkt die Entwicklung einer bestimmten Kultur, einer Rasse, eines Volkes,
einer Stadt oder bestimmter Persönlichkeiten, so lassen sich die Schlußfolgerungen
auf Grund jener beiden Tatsachen-Voraussetzungen beliebig nach der einen oder
anderen Seite hin ziehen. Das besagt: mit dein logischen Denken allein läßt
sich ohne Selbsttäuschung garnichts Festes über die Zweckmäßigkeit des ewigen
Friedens ausmachen. Welchen Standpunkt man einnimmt und welche Tatsachen
man seinem Urteil zugrunde legt, hängt ab von der Eigenart des Urteilenden
sowie von den Einzelerfahrungen, auf Grund deren er verallgemeinert. Andere
werden ihm immer Verallgemeinerungen anderer Einzelerfahrungen gegenüber¬
stellen können. Mit der bloßen Zweckmäßigkeit ist es also nichts.
Nun aber fordert die Moral den ewigen Frieden! Sowohl, heißt es, die
Moral der einzelnen wie die der Völker als Gesamtkörper (Kollektivindividuen).
Bleiben wir zunächst bei jener. Da kommt in Betracht einmal der Krieg als
sittenverderbendes Milieu für den einzelnen und zum anderen die beiden Gebote:
du sollst deinen Nächsten nicht schädigen und töten, und: du sollst deinem
Nächsten, es sei Freund oder Feind, Gutes erweisen. Der Behauptung, daß
der Krieg Laster erzeuge, kann man die Behauptung entgegenstellen, er erzeuge
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