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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr.

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Zum Verständnis Friedrich lLhopins

verbunden hatte, da bricht der Schmerz um ein verlorenes Leben mit herz¬
erschütternden! Schrei hervor, und der Rest ist trostlose Resignation. Hier möge
ein Teil des Briefes folgen, in dem der todkranke Meister von London das
Gerücht von seiner bevorstehenden Heirat dementiert, und darin zugleich seine
edle Gesinnung offenbart: ". . . Allein, selbst wenn ich mich in irgendein Wesen
verlieben könnte, das mich auch so lieben würde, wie ich es mir wünsche, so
würde ich noch immer nicht heiraten, weil wir nichts zu essen und auch nicht
zu wohnen hätten. Eine Reiche aber sucht wohl einen Reichen, und wenn schon
einen Annen, so doch keineswegs einen Krüppel, sondern einen Jungen und
Hübschen. Allein darf man Not leiden, zu zweit aber ist es das größte Unglück.
Ich kann im Spital krepieren, werde jedoch eine brodlose Gattin nicht hinter¬
lassen. Übrigens sage ich Dir das alles unnützerweise, denn Du weißt ja, daß
ich so denke. An eine Gattin denke ich also ganz und gar nicht, vielmehr an
das Elternhaus, an die Mutter, die Schwestern. Gebe ihnen Gott, daß sie
guten Mutes bleiben. Indessen -- wo ist meine Kunst hingeraten? Und mein
Herz -- wo habe ich es vergeudet? -- Kaum weiß ich mich zu entsinnen, wie
in der Heimat gesungen wird. Die Welt entschwindet mir ganz seltsam, ich
verliere mich, ich habe keine Kraft mehr. Wenn ich mich ein wenig aufraffe,
so sinke ich dann um so tiefer. Ich klage Dir nicht, Du hast es verlangt, des¬
halb klare ich Dich darüber auf, daß ich dem Sarge näher bin als dem Toten¬
bette. Mein Gemüt ist ziemlich ruhig. Ich bin resigniert."

Reden diese wenigen Zeilen nicht Bände?

Und doch fehlte es Chopin keineswegs an Sinn für Humor. "Frohsinuig
und ein Herz voll Sehnsucht", so hat ihn ein Jugendfreund charakterisiert. Für
seinen Schwager packt er immer die neuesten Pariser Witze und Anekdoten bei
und erzählt auch sonst gern schnurrige Geschichtchen, sein mimisches Talent,
durch wenige Striche an Haar und Krawatte sein Gesicht zur beliebigen Cha-
räktermaske zu verändern, wird von verschiedenen Seiten erwähnt. Wirklichen
Frohsinn aber atmen eigentlich nur die Jugendbriefe, da kann er sich auch selbst
verspotten, im allgemeinen jedoch ist sein Humor objektiv, also Ironie, und darum
unproduktiv: vergebens suchen wir in all seinen Werken ein Stück echt Humoresken
Charakters, denn auch die "Scherzi" tragen ihren Titel zu Unrecht. Anläufe
zum Humor sind unverkennbar vorhanden, aber eben nur Anläufe, denn gar
bald schweift die Phantasie des Dichters in improvisatorischer Art anderen
Zielen zu, so daß wir mit Schumann fragen mögen, wie sich der Ernst kleiden
soll, wenn schon der Scherz in dunklen Kleidern geht. Je älter er wird, desto
schärfer tritt der sarkastische Zug seines Wesens hervor. "Liszt läßt sich in Bonn
,er lebe hoch' schreien", bemerkt er anläßlich des Beethovenfestes trocken über
die Erfolge des einstigen Freundes. Über Komponisten untergeordneter Art
kann er sich überaus drastisch äußern, z. B. ist der achtundsiebzigste Brief, an
Fontana gerichtet, in seiner bizarren Laune wirklich Lachen erregend, und
vollends groteske Formen nimmt sein Humor an, wenn er auf seine Verleb


Zum Verständnis Friedrich lLhopins

verbunden hatte, da bricht der Schmerz um ein verlorenes Leben mit herz¬
erschütternden! Schrei hervor, und der Rest ist trostlose Resignation. Hier möge
ein Teil des Briefes folgen, in dem der todkranke Meister von London das
Gerücht von seiner bevorstehenden Heirat dementiert, und darin zugleich seine
edle Gesinnung offenbart: „. . . Allein, selbst wenn ich mich in irgendein Wesen
verlieben könnte, das mich auch so lieben würde, wie ich es mir wünsche, so
würde ich noch immer nicht heiraten, weil wir nichts zu essen und auch nicht
zu wohnen hätten. Eine Reiche aber sucht wohl einen Reichen, und wenn schon
einen Annen, so doch keineswegs einen Krüppel, sondern einen Jungen und
Hübschen. Allein darf man Not leiden, zu zweit aber ist es das größte Unglück.
Ich kann im Spital krepieren, werde jedoch eine brodlose Gattin nicht hinter¬
lassen. Übrigens sage ich Dir das alles unnützerweise, denn Du weißt ja, daß
ich so denke. An eine Gattin denke ich also ganz und gar nicht, vielmehr an
das Elternhaus, an die Mutter, die Schwestern. Gebe ihnen Gott, daß sie
guten Mutes bleiben. Indessen — wo ist meine Kunst hingeraten? Und mein
Herz — wo habe ich es vergeudet? — Kaum weiß ich mich zu entsinnen, wie
in der Heimat gesungen wird. Die Welt entschwindet mir ganz seltsam, ich
verliere mich, ich habe keine Kraft mehr. Wenn ich mich ein wenig aufraffe,
so sinke ich dann um so tiefer. Ich klage Dir nicht, Du hast es verlangt, des¬
halb klare ich Dich darüber auf, daß ich dem Sarge näher bin als dem Toten¬
bette. Mein Gemüt ist ziemlich ruhig. Ich bin resigniert."

Reden diese wenigen Zeilen nicht Bände?

Und doch fehlte es Chopin keineswegs an Sinn für Humor. „Frohsinuig
und ein Herz voll Sehnsucht", so hat ihn ein Jugendfreund charakterisiert. Für
seinen Schwager packt er immer die neuesten Pariser Witze und Anekdoten bei
und erzählt auch sonst gern schnurrige Geschichtchen, sein mimisches Talent,
durch wenige Striche an Haar und Krawatte sein Gesicht zur beliebigen Cha-
räktermaske zu verändern, wird von verschiedenen Seiten erwähnt. Wirklichen
Frohsinn aber atmen eigentlich nur die Jugendbriefe, da kann er sich auch selbst
verspotten, im allgemeinen jedoch ist sein Humor objektiv, also Ironie, und darum
unproduktiv: vergebens suchen wir in all seinen Werken ein Stück echt Humoresken
Charakters, denn auch die „Scherzi" tragen ihren Titel zu Unrecht. Anläufe
zum Humor sind unverkennbar vorhanden, aber eben nur Anläufe, denn gar
bald schweift die Phantasie des Dichters in improvisatorischer Art anderen
Zielen zu, so daß wir mit Schumann fragen mögen, wie sich der Ernst kleiden
soll, wenn schon der Scherz in dunklen Kleidern geht. Je älter er wird, desto
schärfer tritt der sarkastische Zug seines Wesens hervor. „Liszt läßt sich in Bonn
,er lebe hoch' schreien", bemerkt er anläßlich des Beethovenfestes trocken über
die Erfolge des einstigen Freundes. Über Komponisten untergeordneter Art
kann er sich überaus drastisch äußern, z. B. ist der achtundsiebzigste Brief, an
Fontana gerichtet, in seiner bizarren Laune wirklich Lachen erregend, und
vollends groteske Formen nimmt sein Humor an, wenn er auf seine Verleb


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[0570] Zum Verständnis Friedrich lLhopins verbunden hatte, da bricht der Schmerz um ein verlorenes Leben mit herz¬ erschütternden! Schrei hervor, und der Rest ist trostlose Resignation. Hier möge ein Teil des Briefes folgen, in dem der todkranke Meister von London das Gerücht von seiner bevorstehenden Heirat dementiert, und darin zugleich seine edle Gesinnung offenbart: „. . . Allein, selbst wenn ich mich in irgendein Wesen verlieben könnte, das mich auch so lieben würde, wie ich es mir wünsche, so würde ich noch immer nicht heiraten, weil wir nichts zu essen und auch nicht zu wohnen hätten. Eine Reiche aber sucht wohl einen Reichen, und wenn schon einen Annen, so doch keineswegs einen Krüppel, sondern einen Jungen und Hübschen. Allein darf man Not leiden, zu zweit aber ist es das größte Unglück. Ich kann im Spital krepieren, werde jedoch eine brodlose Gattin nicht hinter¬ lassen. Übrigens sage ich Dir das alles unnützerweise, denn Du weißt ja, daß ich so denke. An eine Gattin denke ich also ganz und gar nicht, vielmehr an das Elternhaus, an die Mutter, die Schwestern. Gebe ihnen Gott, daß sie guten Mutes bleiben. Indessen — wo ist meine Kunst hingeraten? Und mein Herz — wo habe ich es vergeudet? — Kaum weiß ich mich zu entsinnen, wie in der Heimat gesungen wird. Die Welt entschwindet mir ganz seltsam, ich verliere mich, ich habe keine Kraft mehr. Wenn ich mich ein wenig aufraffe, so sinke ich dann um so tiefer. Ich klage Dir nicht, Du hast es verlangt, des¬ halb klare ich Dich darüber auf, daß ich dem Sarge näher bin als dem Toten¬ bette. Mein Gemüt ist ziemlich ruhig. Ich bin resigniert." Reden diese wenigen Zeilen nicht Bände? Und doch fehlte es Chopin keineswegs an Sinn für Humor. „Frohsinuig und ein Herz voll Sehnsucht", so hat ihn ein Jugendfreund charakterisiert. Für seinen Schwager packt er immer die neuesten Pariser Witze und Anekdoten bei und erzählt auch sonst gern schnurrige Geschichtchen, sein mimisches Talent, durch wenige Striche an Haar und Krawatte sein Gesicht zur beliebigen Cha- räktermaske zu verändern, wird von verschiedenen Seiten erwähnt. Wirklichen Frohsinn aber atmen eigentlich nur die Jugendbriefe, da kann er sich auch selbst verspotten, im allgemeinen jedoch ist sein Humor objektiv, also Ironie, und darum unproduktiv: vergebens suchen wir in all seinen Werken ein Stück echt Humoresken Charakters, denn auch die „Scherzi" tragen ihren Titel zu Unrecht. Anläufe zum Humor sind unverkennbar vorhanden, aber eben nur Anläufe, denn gar bald schweift die Phantasie des Dichters in improvisatorischer Art anderen Zielen zu, so daß wir mit Schumann fragen mögen, wie sich der Ernst kleiden soll, wenn schon der Scherz in dunklen Kleidern geht. Je älter er wird, desto schärfer tritt der sarkastische Zug seines Wesens hervor. „Liszt läßt sich in Bonn ,er lebe hoch' schreien", bemerkt er anläßlich des Beethovenfestes trocken über die Erfolge des einstigen Freundes. Über Komponisten untergeordneter Art kann er sich überaus drastisch äußern, z. B. ist der achtundsiebzigste Brief, an Fontana gerichtet, in seiner bizarren Laune wirklich Lachen erregend, und vollends groteske Formen nimmt sein Humor an, wenn er auf seine Verleb

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_322400/570>, abgerufen am 15.01.2025.