Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr.Reichsspiegel er nähme in Konstantinopel die Handelsinteressen dieser oder jener Firma nicht Wenden wir uns den Namen der von der Presse aufgestellten Kandidaten Reichsspiegel er nähme in Konstantinopel die Handelsinteressen dieser oder jener Firma nicht Wenden wir uns den Namen der von der Presse aufgestellten Kandidaten <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0057" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/322458"/> <fw type="header" place="top"> Reichsspiegel</fw><lb/> <p xml:id="ID_234" prev="#ID_233"> er nähme in Konstantinopel die Handelsinteressen dieser oder jener Firma nicht<lb/> genügend wahr. „Ich bin," ließ er durch die Presse sagen, „Vertreter Seiner<lb/> Majestät des Kaisers und des Deutschen Reiches und nicht Handlungsreisender<lb/> für irgendein Geschäft I" Und doch wird dieser Mann heute von der gesamten im<lb/> Orient tätigen Handelswelt hoch geehrt I Wie kommt es? Weil er stets das all-<lb/> gemeine Interesse über das des einzelnen gehoben hat und weil er sich durch die<lb/> Interessen eines großen Handelsherrn nicht hat einschüchtern lassen, die Interessen<lb/> von hundert kleinen gleichzeitig wahrzunehmen. Ich vermag es mir nicht vor¬<lb/> zustellen, daß ein Kaufmann, der sein ganzes Leben hindurch nur egoistische Zwecke<lb/> verfolgen nutz, dessen politisches Handeln im wesentlichen darin bestanden hat, Tag<lb/> für Tag von Geschäft zu Geschäft zu eilen, das ihm persönlichen Nutzen bringen<lb/> soll, daß ein Kaufmann befähigt sein sollte, im Augenblick der Ernennung zum<lb/> Botschafter alles in sich zu überwinden, was ihn bis dahin leitete: ein Kaufmann<lb/> wird nur in seltenen Fällen in der Lage sein, die Gesamtinteressen eines Volkes,<lb/> die sich nun einmal nicht in Mark und Groschen darstellen lassen, nach anderen<lb/> als nach geschäftlichen Gesichtspunkten zu erkennen. Ein Bankier wird in London<lb/> leicht verleitet sein, die Interessen des Großkapitals, ein Schiffahrtsdirektor die der<lb/> Schiffahrt, ein Eisenindustrieller die der Eisenindustrie ganz besonders zu bevor¬<lb/> zugen und ohne es selbst zu wollen, alle anderen Interessen diesem einen Gesichts-<lb/> Punkte, der ihm besonders geläufig ist, unterzuordnen. Und täte er es nicht, so<lb/> würde er in Kürze alle seine Freundschaften und persönlichen Beziehungen daheim<lb/> einbüßen, wie es einst Herrn Möller als Handelsminister gegangen ist. Dann<lb/> aber schwebte er in der Luft, da es doch nur ganz wenige Kaufleute geben mag,<lb/> die gleichzeitig auch die für einen Botschafterposten notwendigen Beziehungen zur<lb/> internationalen Diplomatie haben. Da taucht zwischen meinen Tintenfässern die<lb/> Figur des Geheimen Legationsrath Helfferich, Direktors der Deutschen Bank auf,<lb/> dieses Professors der Staatswissenschaften; Organisator des Reichskolonialamts,<lb/> Diplomat, Direktor der Anatolischen Eisenbahnen, Beherrscher aller Valntafragen<lb/> und wohl auch gründlicher Kenner des Weltverkehrs, ist er heute wohl Kaufmann,<lb/> aber seine Vorbildung genoß er doch in solchen Kreisen, in denen der Blick stets<lb/> auf das Ganze gerichtet bleibt. Aber Etikette und Herkommen sprechen gegen ihn<lb/> und im übrigen hat der Glückliche erst im letzten Jahre das Schwabenalter<lb/> erreicht.</p><lb/> <p xml:id="ID_235" next="#ID_236"> Wenden wir uns den Namen der von der Presse aufgestellten Kandidaten<lb/> zu, so muß zunächst hervorgehoben werden, daß es als wahrscheinlich gelten darf,<lb/> daß der Posten sehr schnell neu besetzt werden wird, also ein längeres Interregnum<lb/> nicht beabsichtigt ist. Damit wird denn auch die Kandidatur des Geheimen<lb/> Legationsrath Freiherrn von Stumm, gegenwärtig Direktor der politischen<lb/> Abteilung des Auswärtigen Amts, als Geschäftsträger hinfällig. Zweifellos<lb/> ist Herr von Stumm einer der tüchtigsten Diplomaten aus seiner Generation.<lb/> Aber auch er hat das für einen Botschafter übliche Alter noch nicht erreicht.<lb/> Übrigens würde auch für ein längeres Interregnum der gegenwärtige amtierende<lb/> erste Sekretär der Londoner Botschaft, von Kühlmann, durchaus der Aufgabe<lb/> gewachsen sein, da brennende Fragen, die eine sofortige Bearbeitung in London<lb/> selbst erheischten und infolgedessen von dem Botschaftsrat allein nicht bewältigt<lb/> werden könnten, nicht vorliegen. Wir verhandeln mit England gegenwärtig über</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0057]
Reichsspiegel
er nähme in Konstantinopel die Handelsinteressen dieser oder jener Firma nicht
genügend wahr. „Ich bin," ließ er durch die Presse sagen, „Vertreter Seiner
Majestät des Kaisers und des Deutschen Reiches und nicht Handlungsreisender
für irgendein Geschäft I" Und doch wird dieser Mann heute von der gesamten im
Orient tätigen Handelswelt hoch geehrt I Wie kommt es? Weil er stets das all-
gemeine Interesse über das des einzelnen gehoben hat und weil er sich durch die
Interessen eines großen Handelsherrn nicht hat einschüchtern lassen, die Interessen
von hundert kleinen gleichzeitig wahrzunehmen. Ich vermag es mir nicht vor¬
zustellen, daß ein Kaufmann, der sein ganzes Leben hindurch nur egoistische Zwecke
verfolgen nutz, dessen politisches Handeln im wesentlichen darin bestanden hat, Tag
für Tag von Geschäft zu Geschäft zu eilen, das ihm persönlichen Nutzen bringen
soll, daß ein Kaufmann befähigt sein sollte, im Augenblick der Ernennung zum
Botschafter alles in sich zu überwinden, was ihn bis dahin leitete: ein Kaufmann
wird nur in seltenen Fällen in der Lage sein, die Gesamtinteressen eines Volkes,
die sich nun einmal nicht in Mark und Groschen darstellen lassen, nach anderen
als nach geschäftlichen Gesichtspunkten zu erkennen. Ein Bankier wird in London
leicht verleitet sein, die Interessen des Großkapitals, ein Schiffahrtsdirektor die der
Schiffahrt, ein Eisenindustrieller die der Eisenindustrie ganz besonders zu bevor¬
zugen und ohne es selbst zu wollen, alle anderen Interessen diesem einen Gesichts-
Punkte, der ihm besonders geläufig ist, unterzuordnen. Und täte er es nicht, so
würde er in Kürze alle seine Freundschaften und persönlichen Beziehungen daheim
einbüßen, wie es einst Herrn Möller als Handelsminister gegangen ist. Dann
aber schwebte er in der Luft, da es doch nur ganz wenige Kaufleute geben mag,
die gleichzeitig auch die für einen Botschafterposten notwendigen Beziehungen zur
internationalen Diplomatie haben. Da taucht zwischen meinen Tintenfässern die
Figur des Geheimen Legationsrath Helfferich, Direktors der Deutschen Bank auf,
dieses Professors der Staatswissenschaften; Organisator des Reichskolonialamts,
Diplomat, Direktor der Anatolischen Eisenbahnen, Beherrscher aller Valntafragen
und wohl auch gründlicher Kenner des Weltverkehrs, ist er heute wohl Kaufmann,
aber seine Vorbildung genoß er doch in solchen Kreisen, in denen der Blick stets
auf das Ganze gerichtet bleibt. Aber Etikette und Herkommen sprechen gegen ihn
und im übrigen hat der Glückliche erst im letzten Jahre das Schwabenalter
erreicht.
Wenden wir uns den Namen der von der Presse aufgestellten Kandidaten
zu, so muß zunächst hervorgehoben werden, daß es als wahrscheinlich gelten darf,
daß der Posten sehr schnell neu besetzt werden wird, also ein längeres Interregnum
nicht beabsichtigt ist. Damit wird denn auch die Kandidatur des Geheimen
Legationsrath Freiherrn von Stumm, gegenwärtig Direktor der politischen
Abteilung des Auswärtigen Amts, als Geschäftsträger hinfällig. Zweifellos
ist Herr von Stumm einer der tüchtigsten Diplomaten aus seiner Generation.
Aber auch er hat das für einen Botschafter übliche Alter noch nicht erreicht.
Übrigens würde auch für ein längeres Interregnum der gegenwärtige amtierende
erste Sekretär der Londoner Botschaft, von Kühlmann, durchaus der Aufgabe
gewachsen sein, da brennende Fragen, die eine sofortige Bearbeitung in London
selbst erheischten und infolgedessen von dem Botschaftsrat allein nicht bewältigt
werden könnten, nicht vorliegen. Wir verhandeln mit England gegenwärtig über
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