Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr.Die Lrncuerung des Dreibundes Schreiben Kaiser Alexanders des Zweiten im Juli 1879 gab den Ausschlag. Wie man sieht, waren es gar keine gefühlsseligen Erwartungen gegenüber Die Lrncuerung des Dreibundes Schreiben Kaiser Alexanders des Zweiten im Juli 1879 gab den Ausschlag. Wie man sieht, waren es gar keine gefühlsseligen Erwartungen gegenüber <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0562" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/322964"/> <fw type="header" place="top"> Die Lrncuerung des Dreibundes</fw><lb/> <p xml:id="ID_2788" prev="#ID_2787"> Schreiben Kaiser Alexanders des Zweiten im Juli 1879 gab den Ausschlag.<lb/> Bei einer Zusammenkunft Bismarcks mit Andrasst) Ende August in Gastein<lb/> schlug die Geburtsstunde des deutsch-österreichischen Bündnisses, das dann im<lb/> Oktober formell abgeschlossen wurde. Die ganze Lage ergab den rein defen¬<lb/> siven Charakter des Bündnisses; sein einziger Zweck war die gemein¬<lb/> same Verteidigung gegen einen russischen Angriff, der damals nicht<lb/> außerhalb des Bereichs der Wahrscheinlichkeit lag. Diese plötzliche<lb/> Abwendung von Rußland und der energische Entschluß, nötigenfalls<lb/> dem angegriffenen Österreich mit der ganzen deutschen Heeresmacht beizuspringen<lb/> — ein Entschluß, den Bismarck bei Kaiser Wilhelm dem Ersten nur mit Mühe<lb/> durchsetzte —, erscheint auf den ersten Blick schwer vereinbar mit den Grundsätzen,<lb/> die der große Kanzler in seiner wechselvollen Politik sonst beständig festgehalten<lb/> hatte. Aber die wachsende Schwäche der russischen Dynastie und Negierung<lb/> gegenüber dem Panslavismus ließ damals zum ersten Male in vollem Ernst<lb/> die Möglichkeit eines Zweifrontenkrieges für Deutschland auftauchen. Schlug<lb/> Frankreich aus irgend einem Grunde gegen Deutschland los, so war bei den<lb/> nun in der russischen Politik herrschenden Grundsätzen und der Stimmung im<lb/> russischen Volk trotz der Friedensliebe Alexanders des Zweiten an eine Neutralität<lb/> Rußlands wie 1870 nicht zu denken. Das neue Bündnis sicherte für diesen Fall<lb/> die Hilfe Österreich-Ungarns. Das erschien so wichtig, daß die Gegenleistung<lb/> Deutschlands, die im Falle eines russischen Angriffes auf Österreich eintreten<lb/> sollte, kein zu hoher Preis dafür war. Vor allem aber sagte sich Bismarck,<lb/> daß Österreich-Ungarn mit seinen? starken Prozentsatz slawischer Bevölkerung der<lb/> russischen Gefahr keinesfalls auf die Dauer ganz passiv gegenüberstehen werde,<lb/> sondern daß es, falls das Deutsche Reich nicht zu haben sei, irgendeine andere<lb/> Anlehnung suchen müsse, sei es an Frankreich, sei es durch Verständigung mit<lb/> Rußland selbst oder auch durch alles beides. Die „Kaunitzsche Koalition"<lb/> nannte das Fürst Bismarck, und er fand, daß das eine sehr ernste und unbe¬<lb/> queme Möglichkeit sei. Dies war sür ihn das Entscheidende bei dem Abschluß<lb/> des österreichischen Bündnisses.</p><lb/> <p xml:id="ID_2789" next="#ID_2790"> Wie man sieht, waren es gar keine gefühlsseligen Erwartungen gegenüber<lb/> dem Nachbarstaate und den Stammesbrüdern an der Donau, die das Bündnis<lb/> schufen, sondern harte, nüchterne Berechnungen der Staatsraison. Und so fiel es<lb/> Bismarck auch garnicht ein, jetzt, wo er seine Versicherungspolice gegen panslavistische<lb/> Feuersgefahr in der Tasche hatte, seine Politik gegen Rußland anders zu<lb/> orientieren, als er es sonst für nützlich gehalten hatte. Bekannt ist der „Rück-<lb/> versicherungsvertrag", den er später mit Rußland abschloß und der nur unter<lb/> der Voraussetzung denkbar war, daß das deutsch-österreichische Bündnis nur<lb/> in der strengsten Beschränkung auf den vereinbarten Bündnisfall zur Aus¬<lb/> führung kam, jede irgend weiterreichende Annäherung zwischen Deutschland<lb/> und Österreich-Ungarn aber ausschloß. So war es allerdings die Absicht<lb/> der Politik Bismarcks, der sich durchaus die Bewegungsfreiheit gegenüber Ruß</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0562]
Die Lrncuerung des Dreibundes
Schreiben Kaiser Alexanders des Zweiten im Juli 1879 gab den Ausschlag.
Bei einer Zusammenkunft Bismarcks mit Andrasst) Ende August in Gastein
schlug die Geburtsstunde des deutsch-österreichischen Bündnisses, das dann im
Oktober formell abgeschlossen wurde. Die ganze Lage ergab den rein defen¬
siven Charakter des Bündnisses; sein einziger Zweck war die gemein¬
same Verteidigung gegen einen russischen Angriff, der damals nicht
außerhalb des Bereichs der Wahrscheinlichkeit lag. Diese plötzliche
Abwendung von Rußland und der energische Entschluß, nötigenfalls
dem angegriffenen Österreich mit der ganzen deutschen Heeresmacht beizuspringen
— ein Entschluß, den Bismarck bei Kaiser Wilhelm dem Ersten nur mit Mühe
durchsetzte —, erscheint auf den ersten Blick schwer vereinbar mit den Grundsätzen,
die der große Kanzler in seiner wechselvollen Politik sonst beständig festgehalten
hatte. Aber die wachsende Schwäche der russischen Dynastie und Negierung
gegenüber dem Panslavismus ließ damals zum ersten Male in vollem Ernst
die Möglichkeit eines Zweifrontenkrieges für Deutschland auftauchen. Schlug
Frankreich aus irgend einem Grunde gegen Deutschland los, so war bei den
nun in der russischen Politik herrschenden Grundsätzen und der Stimmung im
russischen Volk trotz der Friedensliebe Alexanders des Zweiten an eine Neutralität
Rußlands wie 1870 nicht zu denken. Das neue Bündnis sicherte für diesen Fall
die Hilfe Österreich-Ungarns. Das erschien so wichtig, daß die Gegenleistung
Deutschlands, die im Falle eines russischen Angriffes auf Österreich eintreten
sollte, kein zu hoher Preis dafür war. Vor allem aber sagte sich Bismarck,
daß Österreich-Ungarn mit seinen? starken Prozentsatz slawischer Bevölkerung der
russischen Gefahr keinesfalls auf die Dauer ganz passiv gegenüberstehen werde,
sondern daß es, falls das Deutsche Reich nicht zu haben sei, irgendeine andere
Anlehnung suchen müsse, sei es an Frankreich, sei es durch Verständigung mit
Rußland selbst oder auch durch alles beides. Die „Kaunitzsche Koalition"
nannte das Fürst Bismarck, und er fand, daß das eine sehr ernste und unbe¬
queme Möglichkeit sei. Dies war sür ihn das Entscheidende bei dem Abschluß
des österreichischen Bündnisses.
Wie man sieht, waren es gar keine gefühlsseligen Erwartungen gegenüber
dem Nachbarstaate und den Stammesbrüdern an der Donau, die das Bündnis
schufen, sondern harte, nüchterne Berechnungen der Staatsraison. Und so fiel es
Bismarck auch garnicht ein, jetzt, wo er seine Versicherungspolice gegen panslavistische
Feuersgefahr in der Tasche hatte, seine Politik gegen Rußland anders zu
orientieren, als er es sonst für nützlich gehalten hatte. Bekannt ist der „Rück-
versicherungsvertrag", den er später mit Rußland abschloß und der nur unter
der Voraussetzung denkbar war, daß das deutsch-österreichische Bündnis nur
in der strengsten Beschränkung auf den vereinbarten Bündnisfall zur Aus¬
führung kam, jede irgend weiterreichende Annäherung zwischen Deutschland
und Österreich-Ungarn aber ausschloß. So war es allerdings die Absicht
der Politik Bismarcks, der sich durchaus die Bewegungsfreiheit gegenüber Ruß
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