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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr.

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Die Erneuerung des Dreibundes

Wenn sich in unserem Verhältnis zu Österreich-Ungarn dieser Gemüt und
Phantasie anregende Einschlag in dem nüchternen Ernst der Staatsnotwendig¬
keiten von selber ergibt, so scheint das bei Italien etwas schwieriger zu sein,
und vielleicht ist es darauf zurückzuführen, daß unser Bund mit Italien immer
als weniger fest und zuverlässig angesehen worden ist. Es klingt immer etwas
nach einem Notbehelf, wenn im Festreden- und Begrüßungsstil auf die für
Österreich eigentlich nicht gerade angenehme Erinnerung hingewiesen wird, daß
Deutschland und Italien unter ungefähr gleichen Umständen ihre nationale
Einheit haben erkämpfen müssen.

Und diese Erinnerung ist auch für Italien nicht ganz frei von peinlichen
Momenten, da es dabei von deutschen Siegen Vorteil gezogen hat und ein großes
Volk sich nicht gern in Angelegenheiten solcher Art mit einer Dankesschuld gegen
Fremde belastet sieht. Dieses Verhältnis wird nicht erleichtert dadurch, daß die
Wesensverschiedenheit, ja man darf sagen: die Gegensätzlichkeit des Wesens zwischen
Deutschen und Italienern auch sonst das Verständnis erschwert. Man wende
nicht ein, daß ja Italien für uns das Land der Sehnsucht ist, daß die Be¬
geisterung sür das Land, wo die Zitronen blühen, seit Goethes Zeiten fast ein
Bestandteil unserer Weltbildung geworden ist. Was suchen denn neun Zehntel
unserer Jtalienfahrer und sogenannten Jtalienkenner jenseits der Alpen?
Niemand weiß das besser als die Italiener selbst: sie suchen die Kunstdenkmäler,
die Altertümer, die Zauber der Landschaft, allenfalls das Publikum der Wein¬
schenken und Vergnügungsstätten. Aber was wissen sie von dem eigentlichen
Volk, von dem Leben und der Arbeit des Volkes, von seinem Denken und
seinen Bedürfnissen, von den wirtschaftlichen und politischen Verhältnissen? Es
ist aus diesem Mangel um so mehr zu erkennen, daß die Sympathie und die
Befriedigung des Gesühlsmoments zwar angenehme Zugaben in den Beziehungen
verbündeter Nationen sind, aber nicht notwendige Grundlagen einer näheren
politischen Verständigung.

Nach diesen Vorausschickungen wird es möglich sein, die Frage der Bündnisse
mit Österreich-Ungarn und Italien vollständig losgelöst von jedem gefühls¬
mäßigen Beiwerk zu betrachten. Dabei scheidet von vornherein das weitver¬
breitete und volkstümliche, aber doch unrichtige Bild eines Bündnisverhältnisses
aus, das nur der Ausdruck einer allgemeinen Freundschaft und eines gegenseitigen
Wohlwollens ist. Das erste Erfordernis ist vielmehr, daß der Vertrag peinlich
genau umgrenzt, welchem Zweck das Bündnis dienen soll und welche gegen¬
seitigen Leistungen für diesen bestimmten Zweck in Aussicht genommen sind.
Damit ist zugleich ausgesprochen, daß über den Zweck des Bündnisses hinaus
kein Mitglied des Bundes von dem anderen in Anspruch genommen wird. Das
Gedeihen des Dreibunds und das lange Festhalten der Beteiligten an ihm
zeigt, wie wichtig die weise Beschränkung in den Zielen des Bündnisses ist.
Der Vertrag darf die Bewegungsfreiheit der einzelnen Staaten nicht einschränken,
er muß ihr vielmehr eine erhöhte Sicherheit geben. Darin liegt die Gewähr


Die Erneuerung des Dreibundes

Wenn sich in unserem Verhältnis zu Österreich-Ungarn dieser Gemüt und
Phantasie anregende Einschlag in dem nüchternen Ernst der Staatsnotwendig¬
keiten von selber ergibt, so scheint das bei Italien etwas schwieriger zu sein,
und vielleicht ist es darauf zurückzuführen, daß unser Bund mit Italien immer
als weniger fest und zuverlässig angesehen worden ist. Es klingt immer etwas
nach einem Notbehelf, wenn im Festreden- und Begrüßungsstil auf die für
Österreich eigentlich nicht gerade angenehme Erinnerung hingewiesen wird, daß
Deutschland und Italien unter ungefähr gleichen Umständen ihre nationale
Einheit haben erkämpfen müssen.

Und diese Erinnerung ist auch für Italien nicht ganz frei von peinlichen
Momenten, da es dabei von deutschen Siegen Vorteil gezogen hat und ein großes
Volk sich nicht gern in Angelegenheiten solcher Art mit einer Dankesschuld gegen
Fremde belastet sieht. Dieses Verhältnis wird nicht erleichtert dadurch, daß die
Wesensverschiedenheit, ja man darf sagen: die Gegensätzlichkeit des Wesens zwischen
Deutschen und Italienern auch sonst das Verständnis erschwert. Man wende
nicht ein, daß ja Italien für uns das Land der Sehnsucht ist, daß die Be¬
geisterung sür das Land, wo die Zitronen blühen, seit Goethes Zeiten fast ein
Bestandteil unserer Weltbildung geworden ist. Was suchen denn neun Zehntel
unserer Jtalienfahrer und sogenannten Jtalienkenner jenseits der Alpen?
Niemand weiß das besser als die Italiener selbst: sie suchen die Kunstdenkmäler,
die Altertümer, die Zauber der Landschaft, allenfalls das Publikum der Wein¬
schenken und Vergnügungsstätten. Aber was wissen sie von dem eigentlichen
Volk, von dem Leben und der Arbeit des Volkes, von seinem Denken und
seinen Bedürfnissen, von den wirtschaftlichen und politischen Verhältnissen? Es
ist aus diesem Mangel um so mehr zu erkennen, daß die Sympathie und die
Befriedigung des Gesühlsmoments zwar angenehme Zugaben in den Beziehungen
verbündeter Nationen sind, aber nicht notwendige Grundlagen einer näheren
politischen Verständigung.

Nach diesen Vorausschickungen wird es möglich sein, die Frage der Bündnisse
mit Österreich-Ungarn und Italien vollständig losgelöst von jedem gefühls¬
mäßigen Beiwerk zu betrachten. Dabei scheidet von vornherein das weitver¬
breitete und volkstümliche, aber doch unrichtige Bild eines Bündnisverhältnisses
aus, das nur der Ausdruck einer allgemeinen Freundschaft und eines gegenseitigen
Wohlwollens ist. Das erste Erfordernis ist vielmehr, daß der Vertrag peinlich
genau umgrenzt, welchem Zweck das Bündnis dienen soll und welche gegen¬
seitigen Leistungen für diesen bestimmten Zweck in Aussicht genommen sind.
Damit ist zugleich ausgesprochen, daß über den Zweck des Bündnisses hinaus
kein Mitglied des Bundes von dem anderen in Anspruch genommen wird. Das
Gedeihen des Dreibunds und das lange Festhalten der Beteiligten an ihm
zeigt, wie wichtig die weise Beschränkung in den Zielen des Bündnisses ist.
Der Vertrag darf die Bewegungsfreiheit der einzelnen Staaten nicht einschränken,
er muß ihr vielmehr eine erhöhte Sicherheit geben. Darin liegt die Gewähr


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_322400/560>, abgerufen am 15.01.2025.