Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr.Die Lrneuermig des Dreibundes Staatenbündnisse sind also alles andere eher als leichten Herzens hin¬ Daß diese Regel sür unser Verhältnis zu Österreich-Ungarn zutrifft, liegt Die Lrneuermig des Dreibundes Staatenbündnisse sind also alles andere eher als leichten Herzens hin¬ Daß diese Regel sür unser Verhältnis zu Österreich-Ungarn zutrifft, liegt <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0559" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/322961"/> <fw type="header" place="top"> Die Lrneuermig des Dreibundes</fw><lb/> <p xml:id="ID_2781"> Staatenbündnisse sind also alles andere eher als leichten Herzens hin¬<lb/> geworfene Bekundungen einer Interessengemeinschaft oder sympathischer Be¬<lb/> ziehungen. Sie tragen immer einen schweren, sorgfältig abgewogenen Ballast<lb/> von Verpflichtungen in sich, und der Kundige weiß, daß jeder Rechenfehler in<lb/> dieser Belastung das Fahrzeug zum Kippen bringen muß. Damit soll freilich<lb/> das Moment historischer Zusammengehörigkeit und gegenseitiger Sympathien<lb/> durchaus nicht unterschätzt werden. Es ergeben sich daraus Wirkungen für die<lb/> öffentliche Meinung, die jedenfalls wertvoll sind. Sie helfen durch die Erinne¬<lb/> rungen und Ideenverbindungen, die sie auslösen, das Werk der Staatsmänner<lb/> stützen und befestigen und lehren es besser verstehen. Ja noch mehr: ein gewiegter<lb/> Staatsmann wird überhaupt ungern Verpflichtungen von Staat zu Staat eingehen,<lb/> wenn er nicht eine gewisse Sicherheit hat, daß das Ganze nicht nur von politischen<lb/> Notwendigkeiten, sondern auch von volkstümlichen Empfindungen und Bedürfnissen,<lb/> ja sei es auch von festgewurzelten Irrtümern und Vorurteileen getragen wird.</p><lb/> <p xml:id="ID_2782"> Daß diese Regel sür unser Verhältnis zu Österreich-Ungarn zutrifft, liegt<lb/> auf der Hand. Die rein verstandesmäßige, streng politische Begründung unseres<lb/> Zusammenhaltens mit der Donaumonarchie hat mit den geschichtlichen Be¬<lb/> ziehungen eigentlich nichts zu tun. Aber es trifft sich gut und erleichtert das<lb/> politisch Wünschenswerte, daß wir in dem Staat der Habsburger aus einer<lb/> noch nicht erloschenen geschichtlichen Erinnerung heraus noch immer so etwas<lb/> wie ein Stück von unserem Vaterlande sehen, daß das Deutschtum noch immer<lb/> das kulturelle, wenn auch leider nicht mehr ganz das politische Rückgrat des<lb/> Donaustaates ist. Und wenn sich dabei auch gewisse Sentimentalitäten und<lb/> Äußerlichkeiten etwas mehr hervordrängen, als sachlich berechtigt und notwendig<lb/> ist, so braucht man darum nicht empfindlich zu sein. Es kann der Sache nur<lb/> förderlich sein, wenn die Phantasie nicht ganz ausgeschaltet wird. Man soll<lb/> nicht ängstlich rechten, wenn die Dinge gelegentlich etwas festlich ausgeschmückt<lb/> erscheinen. Man setzt sich nicht im Arbeitsanzug zum festlichen Mahl und trinkt<lb/> edlen Rheinwein nicht aus irdenen Töpfen. So sind bei geeigneter Gelegenheit<lb/> über die Beziehungen zwischen Deutschland und Österreich-Ungarn schwungvolle,<lb/> die Phantasie in Bewegung Setzende Worte gefallen. Es kennzeichnet das bei<lb/> uns so zahlreich vertretene Geschlecht der Besserwisser und Pedanten, daß es<lb/> Leute gibt, die wegen dieses Beiwerks das Wesen des deutsch-österreichischen Bünd¬<lb/> nisses verkennen und allen Ernstes davor warnen, dem Verbündeten gegenüber eine<lb/> Politik im Sinne wnklicher „Nibelungentreue" zu treiben. Es würde freilich ver¬<lb/> kehrt sein, eine Politik der Nibelungentreue, d. h. eine Politik der unbedingten<lb/> Aufopferung auf Grund der einmal beschworenen Freundschaft, zu empfehlen.<lb/> Die Poütik unseres Bündnisvertrages aber ist eine streng sachlich begründete<lb/> im Sinne unserer eigenen Staatsinteressen; wir haben nur nichts dagegen,<lb/> wenn der Ernst des politischen Handelns gelegentlich begleitet und unterstützt<lb/> wird von dem Ausdruck wärmerer Empfindungen, die die Gemeinsamkeit des<lb/> Blutes und der geschichtlichen Vergangenheit nahe legt.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0559]
Die Lrneuermig des Dreibundes
Staatenbündnisse sind also alles andere eher als leichten Herzens hin¬
geworfene Bekundungen einer Interessengemeinschaft oder sympathischer Be¬
ziehungen. Sie tragen immer einen schweren, sorgfältig abgewogenen Ballast
von Verpflichtungen in sich, und der Kundige weiß, daß jeder Rechenfehler in
dieser Belastung das Fahrzeug zum Kippen bringen muß. Damit soll freilich
das Moment historischer Zusammengehörigkeit und gegenseitiger Sympathien
durchaus nicht unterschätzt werden. Es ergeben sich daraus Wirkungen für die
öffentliche Meinung, die jedenfalls wertvoll sind. Sie helfen durch die Erinne¬
rungen und Ideenverbindungen, die sie auslösen, das Werk der Staatsmänner
stützen und befestigen und lehren es besser verstehen. Ja noch mehr: ein gewiegter
Staatsmann wird überhaupt ungern Verpflichtungen von Staat zu Staat eingehen,
wenn er nicht eine gewisse Sicherheit hat, daß das Ganze nicht nur von politischen
Notwendigkeiten, sondern auch von volkstümlichen Empfindungen und Bedürfnissen,
ja sei es auch von festgewurzelten Irrtümern und Vorurteileen getragen wird.
Daß diese Regel sür unser Verhältnis zu Österreich-Ungarn zutrifft, liegt
auf der Hand. Die rein verstandesmäßige, streng politische Begründung unseres
Zusammenhaltens mit der Donaumonarchie hat mit den geschichtlichen Be¬
ziehungen eigentlich nichts zu tun. Aber es trifft sich gut und erleichtert das
politisch Wünschenswerte, daß wir in dem Staat der Habsburger aus einer
noch nicht erloschenen geschichtlichen Erinnerung heraus noch immer so etwas
wie ein Stück von unserem Vaterlande sehen, daß das Deutschtum noch immer
das kulturelle, wenn auch leider nicht mehr ganz das politische Rückgrat des
Donaustaates ist. Und wenn sich dabei auch gewisse Sentimentalitäten und
Äußerlichkeiten etwas mehr hervordrängen, als sachlich berechtigt und notwendig
ist, so braucht man darum nicht empfindlich zu sein. Es kann der Sache nur
förderlich sein, wenn die Phantasie nicht ganz ausgeschaltet wird. Man soll
nicht ängstlich rechten, wenn die Dinge gelegentlich etwas festlich ausgeschmückt
erscheinen. Man setzt sich nicht im Arbeitsanzug zum festlichen Mahl und trinkt
edlen Rheinwein nicht aus irdenen Töpfen. So sind bei geeigneter Gelegenheit
über die Beziehungen zwischen Deutschland und Österreich-Ungarn schwungvolle,
die Phantasie in Bewegung Setzende Worte gefallen. Es kennzeichnet das bei
uns so zahlreich vertretene Geschlecht der Besserwisser und Pedanten, daß es
Leute gibt, die wegen dieses Beiwerks das Wesen des deutsch-österreichischen Bünd¬
nisses verkennen und allen Ernstes davor warnen, dem Verbündeten gegenüber eine
Politik im Sinne wnklicher „Nibelungentreue" zu treiben. Es würde freilich ver¬
kehrt sein, eine Politik der Nibelungentreue, d. h. eine Politik der unbedingten
Aufopferung auf Grund der einmal beschworenen Freundschaft, zu empfehlen.
Die Poütik unseres Bündnisvertrages aber ist eine streng sachlich begründete
im Sinne unserer eigenen Staatsinteressen; wir haben nur nichts dagegen,
wenn der Ernst des politischen Handelns gelegentlich begleitet und unterstützt
wird von dem Ausdruck wärmerer Empfindungen, die die Gemeinsamkeit des
Blutes und der geschichtlichen Vergangenheit nahe legt.
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