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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr.

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Karl Salzer

Zuerst spielen sie den Tanz nur an, damit man weiß, was jetzt kommt.
Denn Tanzkarten gibt es nicht.

Die Burschen springen auf, um zu engagieren. Mit steifen Verbeugungen
tun sie es; mit täppischer Sittigkeit stehen die Bauernmädchen von ihren Plätzen
auf und hängen sich in den Arm des Tänzers. Der hat in der Hand, die er
seiner Tänzerin um die Hüfte legt, ein Taschentuch, damit deren Kleid nicht vom
Schweiße verdorben werde. Bäuerisches Zartgefühl.

In langer Reihe stellen sich die Paare hintereinander.

Die Musikanten spielen auf.

Die ersten Paare lösen sich aus der Reihe und drehen durch den Saal. Die
Arme schwingen auf und ab.

Mit gewandten Bewegungen schleift der Tanzordner zwischen den Tanzenden
hindurch. Er hat eine Schelle, mit der er zuweilen nach dem Takte der Musik
klingelt.

"Man", schnurrt die Baßgeige.

"Klingling", läutet das Glöckchen.

"Mmmklingling, mmmklingling, mmmklingling!"

Nun tanzen die Paare auf die andere Seite, der Herr macht vor der Dame
eine steife Verbeugung, sie gehen auseinander, ein jedes auf seinen Platz, oder
sie reihen sich gleich wieder an. Der Saal ist zu klein, sie können nicht alle
zugleich tanzen.

Karl sitzt allein am Tische; die anderen tanzen. Er langweilt sich, ärgert
sich, wünscht, daheim geblieben zu sein. Wozu die Possen? Er hat einen Ekel
und möchte ausspeien, greift nach dem Glas und trinkt.

Der Fulde-Jean kommt vom Tanzen zurück. Wie er den Salzer trinken
sieht, hebt er sein Glas in die Höhe:

"Prost, Salzerl Auf deinem Vater sein fein Grab! Prost, bekomms!"

"Was geht dich meinem Vater sein Grab an, dich Lauferei"

"Seid ihr zwei denn schon wieder aneinander?" fragen da etliche, die auch
wieder an den Tisch zurückkommen, und an den Fuld wenden sie sich besonders:

"Jean, sei doch auch mal still und laß den Karl gehen. Der kann doch
nix dafür, und mit der Kaff ist doch auch alles wieder in Ordnung. Also Halt's
Maull Wir denn uns ja auch anders besonnen, und der Salzer-Karl ist uns so
lieb wie jeder anderel"

Der Fulde-Jean tut, als habe er das überhört, und sagt:

"Außer dem do seinem Vater liegt kein Selbstmördsr aus dem Dorf auf
dem Spelzemer Kirchhof, 's ist eine Schand, sagt meine Tante Grek, und die
hat recht!"

"So laß das doch wenigstens heut ruhen, Kerl!" schimpfen die anderen.

"Wem's net gefällt, was ich red, kann sich ja einen anderen Platz suchen!"
kläfft der Fuld wieder dagegen.

Da steht Karl Salzer auf, tritt vor seinen Widersacher und sagt zu ihm:

"Red dich nur ruhig aus, Jean, 's ist mir ganz recht!"

Die Ruhe, mit der diese Worte gesprochen worden sind, versetzt den Fuld
ein wenig in Erstaunen; er weiß nicht, was er weiter sagen soll, und so ist denn
aus ein paar Tänze die Streiterei erledigt.


Karl Salzer

Zuerst spielen sie den Tanz nur an, damit man weiß, was jetzt kommt.
Denn Tanzkarten gibt es nicht.

Die Burschen springen auf, um zu engagieren. Mit steifen Verbeugungen
tun sie es; mit täppischer Sittigkeit stehen die Bauernmädchen von ihren Plätzen
auf und hängen sich in den Arm des Tänzers. Der hat in der Hand, die er
seiner Tänzerin um die Hüfte legt, ein Taschentuch, damit deren Kleid nicht vom
Schweiße verdorben werde. Bäuerisches Zartgefühl.

In langer Reihe stellen sich die Paare hintereinander.

Die Musikanten spielen auf.

Die ersten Paare lösen sich aus der Reihe und drehen durch den Saal. Die
Arme schwingen auf und ab.

Mit gewandten Bewegungen schleift der Tanzordner zwischen den Tanzenden
hindurch. Er hat eine Schelle, mit der er zuweilen nach dem Takte der Musik
klingelt.

„Man", schnurrt die Baßgeige.

„Klingling", läutet das Glöckchen.

„Mmmklingling, mmmklingling, mmmklingling!"

Nun tanzen die Paare auf die andere Seite, der Herr macht vor der Dame
eine steife Verbeugung, sie gehen auseinander, ein jedes auf seinen Platz, oder
sie reihen sich gleich wieder an. Der Saal ist zu klein, sie können nicht alle
zugleich tanzen.

Karl sitzt allein am Tische; die anderen tanzen. Er langweilt sich, ärgert
sich, wünscht, daheim geblieben zu sein. Wozu die Possen? Er hat einen Ekel
und möchte ausspeien, greift nach dem Glas und trinkt.

Der Fulde-Jean kommt vom Tanzen zurück. Wie er den Salzer trinken
sieht, hebt er sein Glas in die Höhe:

„Prost, Salzerl Auf deinem Vater sein fein Grab! Prost, bekomms!"

„Was geht dich meinem Vater sein Grab an, dich Lauferei"

„Seid ihr zwei denn schon wieder aneinander?" fragen da etliche, die auch
wieder an den Tisch zurückkommen, und an den Fuld wenden sie sich besonders:

„Jean, sei doch auch mal still und laß den Karl gehen. Der kann doch
nix dafür, und mit der Kaff ist doch auch alles wieder in Ordnung. Also Halt's
Maull Wir denn uns ja auch anders besonnen, und der Salzer-Karl ist uns so
lieb wie jeder anderel"

Der Fulde-Jean tut, als habe er das überhört, und sagt:

„Außer dem do seinem Vater liegt kein Selbstmördsr aus dem Dorf auf
dem Spelzemer Kirchhof, 's ist eine Schand, sagt meine Tante Grek, und die
hat recht!"

„So laß das doch wenigstens heut ruhen, Kerl!" schimpfen die anderen.

„Wem's net gefällt, was ich red, kann sich ja einen anderen Platz suchen!"
kläfft der Fuld wieder dagegen.

Da steht Karl Salzer auf, tritt vor seinen Widersacher und sagt zu ihm:

„Red dich nur ruhig aus, Jean, 's ist mir ganz recht!"

Die Ruhe, mit der diese Worte gesprochen worden sind, versetzt den Fuld
ein wenig in Erstaunen; er weiß nicht, was er weiter sagen soll, und so ist denn
aus ein paar Tänze die Streiterei erledigt.


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[0526] Karl Salzer Zuerst spielen sie den Tanz nur an, damit man weiß, was jetzt kommt. Denn Tanzkarten gibt es nicht. Die Burschen springen auf, um zu engagieren. Mit steifen Verbeugungen tun sie es; mit täppischer Sittigkeit stehen die Bauernmädchen von ihren Plätzen auf und hängen sich in den Arm des Tänzers. Der hat in der Hand, die er seiner Tänzerin um die Hüfte legt, ein Taschentuch, damit deren Kleid nicht vom Schweiße verdorben werde. Bäuerisches Zartgefühl. In langer Reihe stellen sich die Paare hintereinander. Die Musikanten spielen auf. Die ersten Paare lösen sich aus der Reihe und drehen durch den Saal. Die Arme schwingen auf und ab. Mit gewandten Bewegungen schleift der Tanzordner zwischen den Tanzenden hindurch. Er hat eine Schelle, mit der er zuweilen nach dem Takte der Musik klingelt. „Man", schnurrt die Baßgeige. „Klingling", läutet das Glöckchen. „Mmmklingling, mmmklingling, mmmklingling!" Nun tanzen die Paare auf die andere Seite, der Herr macht vor der Dame eine steife Verbeugung, sie gehen auseinander, ein jedes auf seinen Platz, oder sie reihen sich gleich wieder an. Der Saal ist zu klein, sie können nicht alle zugleich tanzen. Karl sitzt allein am Tische; die anderen tanzen. Er langweilt sich, ärgert sich, wünscht, daheim geblieben zu sein. Wozu die Possen? Er hat einen Ekel und möchte ausspeien, greift nach dem Glas und trinkt. Der Fulde-Jean kommt vom Tanzen zurück. Wie er den Salzer trinken sieht, hebt er sein Glas in die Höhe: „Prost, Salzerl Auf deinem Vater sein fein Grab! Prost, bekomms!" „Was geht dich meinem Vater sein Grab an, dich Lauferei" „Seid ihr zwei denn schon wieder aneinander?" fragen da etliche, die auch wieder an den Tisch zurückkommen, und an den Fuld wenden sie sich besonders: „Jean, sei doch auch mal still und laß den Karl gehen. Der kann doch nix dafür, und mit der Kaff ist doch auch alles wieder in Ordnung. Also Halt's Maull Wir denn uns ja auch anders besonnen, und der Salzer-Karl ist uns so lieb wie jeder anderel" Der Fulde-Jean tut, als habe er das überhört, und sagt: „Außer dem do seinem Vater liegt kein Selbstmördsr aus dem Dorf auf dem Spelzemer Kirchhof, 's ist eine Schand, sagt meine Tante Grek, und die hat recht!" „So laß das doch wenigstens heut ruhen, Kerl!" schimpfen die anderen. „Wem's net gefällt, was ich red, kann sich ja einen anderen Platz suchen!" kläfft der Fuld wieder dagegen. Da steht Karl Salzer auf, tritt vor seinen Widersacher und sagt zu ihm: „Red dich nur ruhig aus, Jean, 's ist mir ganz recht!" Die Ruhe, mit der diese Worte gesprochen worden sind, versetzt den Fuld ein wenig in Erstaunen; er weiß nicht, was er weiter sagen soll, und so ist denn aus ein paar Tänze die Streiterei erledigt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_322400/526>, abgerufen am 15.01.2025.