Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr.Der heutige Stand des Leib-Seele-Problems seelisches verbunden; auch der Welt des Anorganischen geht unbewußt Das Grundproblem für jede Form des Parallelismus ist die Frage: wie Darum hat man versucht, das scheinbar Unerklärliche durch eine Hypothese Diese Auffassung aber -- so genial sie uns zunächst anmutet -- enthält Aber der Parallelismus kann das Problem der Zusammenstimmung des So berührt sich diese Form des Parallelismus mit uralten Gedanken¬ Der heutige Stand des Leib-Seele-Problems seelisches verbunden; auch der Welt des Anorganischen geht unbewußt Das Grundproblem für jede Form des Parallelismus ist die Frage: wie Darum hat man versucht, das scheinbar Unerklärliche durch eine Hypothese Diese Auffassung aber — so genial sie uns zunächst anmutet — enthält Aber der Parallelismus kann das Problem der Zusammenstimmung des So berührt sich diese Form des Parallelismus mit uralten Gedanken¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0522" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/322924"/> <fw type="header" place="top"> Der heutige Stand des Leib-Seele-Problems</fw><lb/> <p xml:id="ID_2564" prev="#ID_2563"> seelisches verbunden; auch der Welt des Anorganischen geht unbewußt<lb/> Psychisches parallel.</p><lb/> <p xml:id="ID_2565"> Das Grundproblem für jede Form des Parallelismus ist die Frage: wie<lb/> kommt diese Übereinstimmung, dieses Parallelgehen zweier Gebiete, die sich doch<lb/> nirgends kreuzen und berühren, zustande? Wie kommt es z. B., daß ein Reiz a<lb/> in der Außerwelt von einer ihn repräsentierenden Wahrnehmung a begleitet ist,<lb/> obwohl — der Voraussetzung nach — das eine das andere nicht bewirkt? Und<lb/> wie kommt es anderseits, daß eine auf Veränderung in der Außenwelt gerichtete<lb/> Absicht eines bewußten Wesens diese Veränderung auch erzielt? Es hieße auf<lb/> alle Erklärung verzichten, wollten wir diese seltsame Übereinstimmung zwischen<lb/> den beiden wesensfremden Gebieten einfach anerkennen.</p><lb/> <p xml:id="ID_2566"> Darum hat man versucht, das scheinbar Unerklärliche durch eine Hypothese<lb/> begreiflich zu machen, die die Schwierigkeit in der Tat überwindet: nicht zwei<lb/> getrennte Vorgangsreihen laufen nebeneinander ab, sondern die beiden Gebiete,<lb/> die uns als getrennte erscheinen, sind im Grunde eines: zwei verschiedene Seiten<lb/> oder Erscheinungsweisen eines zugrunde liegenden, sie beide bewirkenden Realen.<lb/> Diese, zuletzt auf Spinoza zurückgehende Auffassung sucht also den Parallelismus<lb/> zu erklären, indem sie ihn überwindet, indem sie das Seelische und das Materielle<lb/> in einer höheren Einheit zusammenfaßt.</p><lb/> <p xml:id="ID_2567"> Diese Auffassung aber — so genial sie uns zunächst anmutet — enthält<lb/> doch wiederum eine Summe ungelöster Probleme: so vor allem die Frage, wie<lb/> jede der beiden „Manifestationen" des Realen sich zu diesem selbst verhalten.<lb/> Und sie führt außerdem Hypothesen ein, die ihrer Natur nach niemals durch<lb/> Erfahrung bestätigt werden können. So werden wir Becher zugeben, daß<lb/> sie „eher eine Verdoppelung als eine Lösung des ,Leib-Seele-Problems'<lb/> darstellt".</p><lb/> <p xml:id="ID_2568"> Aber der Parallelismus kann das Problem der Zusammenstimmung des<lb/> Materiellen und des Geistigen auch auf andere Art zu lösen versuchen. Gelten<lb/> ihm auf der einen Seite die physischen Wirkungszusammenhänge als ein<lb/> geschlossenes Ganzes, so stellt er diesem eine gleichfalls geschlossene psychische<lb/> Kausalkette gegenüber, indem er die Lücken, die unsere Erfahrung in dieser<lb/> Beziehung läßt, durch unbewußte seelische Vorgänge ergänzt denkt. Wenn nun<lb/> z, B. in einer Sinneswahrnehmung ein äußerer Reiz uns zu berühren scheint,<lb/> dann ist es nicht der äußere Gegenstand, der die Bewußtseinswirkung hervor¬<lb/> bringt: sondern ein jenem Gegenstand entsprechendes seelisches verursacht unsere<lb/> Wahrnehmung. Wenn es sich aber so verhält: was bürgt uns dann dafür,<lb/> daß die Körperwelt überhaupt vorhanden ist?! Erlebten wir doch dieselben<lb/> Bewußtseinseindrücke, auch wenn alles Sein geistiger, seelischer Natur wäre!</p><lb/> <p xml:id="ID_2569"> So berührt sich diese Form des Parallelismus mit uralten Gedanken¬<lb/> gängen der Philosophie: mit der idealistischen Weltauffassung, nach der das<lb/> Geistige das einzige Reale in der Welt ist, während die körperliche Natur nur<lb/> eine charakteristische Erscheinungsform dieses Realen darstellt.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0522]
Der heutige Stand des Leib-Seele-Problems
seelisches verbunden; auch der Welt des Anorganischen geht unbewußt
Psychisches parallel.
Das Grundproblem für jede Form des Parallelismus ist die Frage: wie
kommt diese Übereinstimmung, dieses Parallelgehen zweier Gebiete, die sich doch
nirgends kreuzen und berühren, zustande? Wie kommt es z. B., daß ein Reiz a
in der Außerwelt von einer ihn repräsentierenden Wahrnehmung a begleitet ist,
obwohl — der Voraussetzung nach — das eine das andere nicht bewirkt? Und
wie kommt es anderseits, daß eine auf Veränderung in der Außenwelt gerichtete
Absicht eines bewußten Wesens diese Veränderung auch erzielt? Es hieße auf
alle Erklärung verzichten, wollten wir diese seltsame Übereinstimmung zwischen
den beiden wesensfremden Gebieten einfach anerkennen.
Darum hat man versucht, das scheinbar Unerklärliche durch eine Hypothese
begreiflich zu machen, die die Schwierigkeit in der Tat überwindet: nicht zwei
getrennte Vorgangsreihen laufen nebeneinander ab, sondern die beiden Gebiete,
die uns als getrennte erscheinen, sind im Grunde eines: zwei verschiedene Seiten
oder Erscheinungsweisen eines zugrunde liegenden, sie beide bewirkenden Realen.
Diese, zuletzt auf Spinoza zurückgehende Auffassung sucht also den Parallelismus
zu erklären, indem sie ihn überwindet, indem sie das Seelische und das Materielle
in einer höheren Einheit zusammenfaßt.
Diese Auffassung aber — so genial sie uns zunächst anmutet — enthält
doch wiederum eine Summe ungelöster Probleme: so vor allem die Frage, wie
jede der beiden „Manifestationen" des Realen sich zu diesem selbst verhalten.
Und sie führt außerdem Hypothesen ein, die ihrer Natur nach niemals durch
Erfahrung bestätigt werden können. So werden wir Becher zugeben, daß
sie „eher eine Verdoppelung als eine Lösung des ,Leib-Seele-Problems'
darstellt".
Aber der Parallelismus kann das Problem der Zusammenstimmung des
Materiellen und des Geistigen auch auf andere Art zu lösen versuchen. Gelten
ihm auf der einen Seite die physischen Wirkungszusammenhänge als ein
geschlossenes Ganzes, so stellt er diesem eine gleichfalls geschlossene psychische
Kausalkette gegenüber, indem er die Lücken, die unsere Erfahrung in dieser
Beziehung läßt, durch unbewußte seelische Vorgänge ergänzt denkt. Wenn nun
z, B. in einer Sinneswahrnehmung ein äußerer Reiz uns zu berühren scheint,
dann ist es nicht der äußere Gegenstand, der die Bewußtseinswirkung hervor¬
bringt: sondern ein jenem Gegenstand entsprechendes seelisches verursacht unsere
Wahrnehmung. Wenn es sich aber so verhält: was bürgt uns dann dafür,
daß die Körperwelt überhaupt vorhanden ist?! Erlebten wir doch dieselben
Bewußtseinseindrücke, auch wenn alles Sein geistiger, seelischer Natur wäre!
So berührt sich diese Form des Parallelismus mit uralten Gedanken¬
gängen der Philosophie: mit der idealistischen Weltauffassung, nach der das
Geistige das einzige Reale in der Welt ist, während die körperliche Natur nur
eine charakteristische Erscheinungsform dieses Realen darstellt.
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