Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr.Reichsspiegel Nun ist in den letzten Monaten die Wagengestellung derart hinter den An¬ Täuscht nicht alles, so wird übrigens das gegenwärtige Arbeitstempo der Reichsspiegel Nun ist in den letzten Monaten die Wagengestellung derart hinter den An¬ Täuscht nicht alles, so wird übrigens das gegenwärtige Arbeitstempo der <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0496" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/322898"/> <fw type="header" place="top"> Reichsspiegel</fw><lb/> <p xml:id="ID_2497" prev="#ID_2496"> Nun ist in den letzten Monaten die Wagengestellung derart hinter den An¬<lb/> forderungen zurückgeblieben, daß der Ruhrbezirk sich plötzlich vor einer Wirt¬<lb/> schaftskatastrophe sah. Im Oktober fehlten rund hundertundachtzigtausend Wagen,<lb/> im November wuchs die Ziffer noch mehr an. Der Förderungsausfall im<lb/> ersten Monat wird auf annähernd 25 Millionen Mark, der Lohnausfall der<lb/> Arbeiter auf etwa die Hälfte dieser Summe angegeben. Eine völlige Verkehrs¬<lb/> stockung trat ein. Bahnanlagen und Bahnhöfe waren den Anforderungen des<lb/> Verkehrs nicht gewachsen, die verstopften Geleise konnten weder sür Abfahrt<lb/> noch für Zufuhr genügend freigemacht werden. Ein Notschrei und heftige An¬<lb/> klagen gegen die Staatsbahnverwaltung erhoben sich im Revier. Im Landtag<lb/> wurde interpelliert, der Minister reiste persönlich an Ort und Stelle, um die<lb/> erforderlichen Abwehrmaßregeln zu treffen. Es zeigte sich, daß die Entwicklung<lb/> der Industrie und des Verkehrs ein so rapides Tempo eingeschlagen hatte, daß<lb/> auch die mustergültigen Einrichtungen und die gewaltige Organisation der<lb/> preußischen Eisenbahnverwaltung ihm nicht gewachsen waren. Ist doch die<lb/> Kohlenproduktion im laufenden Jahre in geradezu phänomenaler Weise gestiegen!<lb/> Die Zunahme beträgt gegen das Vorjahr während der ersten zehn Monate bei<lb/> Steinkohlen etwa 11 Prozent, bei Koth 14, Braunkohlen 12 Prozent. Dem¬<lb/> gegenüber erweist sich die reguläre Wagenvermehrung von jährlich 5 Prozent,<lb/> welche die Staatsbahnverwaltung eintreten läßt, selbstverständlich als ungenügend.<lb/> Es ist aber vollkommen ungerechtfertigt, wenn diese sehr bedauerlichen Verkehrs¬<lb/> stockungen nun zu maßlosen Angriffen gegen das Staatsbahnsystem und dessen<lb/> angeblichen Fiskalismus mißbraucht werden. Der Eisenbahnverwaltung kann<lb/> man keine Schuld beimessen, wenn sie die Mißstände dieses Herbstes nicht<lb/> vorausgesehen und ihnen nicht vorgebeugt hat. Ein Aufschwung der Montan¬<lb/> industrie in dem jetzt vorhandenen Umfang ist ja von keinem der beteiligten<lb/> Industriellen auch nur geahnt worden. Es ist eine Art Verhängnis, welches<lb/> das Jndustrierevier betroffen hat, und dem sich auch mit äußerster Anspannung<lb/> von Personen und Material nicht steuern ließ. Die nunmehr von der Staats¬<lb/> bahnverwaltung in Angriff genommenen großzügigen Abhilfsmaßregeln, starke<lb/> Vermehrung des Wagenparkes, Bau großer Abstellbahnhöfe, Vermehrung der<lb/> Zu- und Abfuhrgeleise, werden die Wiederkehr ähnlicher Zustände im nächsten<lb/> Jahr verhindern.</p><lb/> <p xml:id="ID_2498" next="#ID_2499"> Täuscht nicht alles, so wird übrigens das gegenwärtige Arbeitstempo der<lb/> schweren Industrie kaum lange mehr anhalten können. Es ist bereits oben auf<lb/> den hemmenden Einfluß hingewiesen, den die politischen Verhältnisse auf die<lb/> wirtschaftliche Entwicklung ausüben müssen. Die bedenklichste Seite bildet aber<lb/> die Lage des Geldmarktes. Geld wird teurer und teurer. Schon ist die<lb/> Sächsische Bank der Neichsbank vorausgeeilt und hat ihren Zinsfuß auf<lb/> 6^/2 Prozent erhöht. Die Reichsbank selbst zögert noch, obwohl ihr Status<lb/> nicht sehr befriedigend ist. Es scheint aber fraglich, ob sie über die Jahres¬<lb/> wende hinaus mit ihrem Satz auskommen kann und nicht genötigt ist, auf 6^/2</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0496]
Reichsspiegel
Nun ist in den letzten Monaten die Wagengestellung derart hinter den An¬
forderungen zurückgeblieben, daß der Ruhrbezirk sich plötzlich vor einer Wirt¬
schaftskatastrophe sah. Im Oktober fehlten rund hundertundachtzigtausend Wagen,
im November wuchs die Ziffer noch mehr an. Der Förderungsausfall im
ersten Monat wird auf annähernd 25 Millionen Mark, der Lohnausfall der
Arbeiter auf etwa die Hälfte dieser Summe angegeben. Eine völlige Verkehrs¬
stockung trat ein. Bahnanlagen und Bahnhöfe waren den Anforderungen des
Verkehrs nicht gewachsen, die verstopften Geleise konnten weder sür Abfahrt
noch für Zufuhr genügend freigemacht werden. Ein Notschrei und heftige An¬
klagen gegen die Staatsbahnverwaltung erhoben sich im Revier. Im Landtag
wurde interpelliert, der Minister reiste persönlich an Ort und Stelle, um die
erforderlichen Abwehrmaßregeln zu treffen. Es zeigte sich, daß die Entwicklung
der Industrie und des Verkehrs ein so rapides Tempo eingeschlagen hatte, daß
auch die mustergültigen Einrichtungen und die gewaltige Organisation der
preußischen Eisenbahnverwaltung ihm nicht gewachsen waren. Ist doch die
Kohlenproduktion im laufenden Jahre in geradezu phänomenaler Weise gestiegen!
Die Zunahme beträgt gegen das Vorjahr während der ersten zehn Monate bei
Steinkohlen etwa 11 Prozent, bei Koth 14, Braunkohlen 12 Prozent. Dem¬
gegenüber erweist sich die reguläre Wagenvermehrung von jährlich 5 Prozent,
welche die Staatsbahnverwaltung eintreten läßt, selbstverständlich als ungenügend.
Es ist aber vollkommen ungerechtfertigt, wenn diese sehr bedauerlichen Verkehrs¬
stockungen nun zu maßlosen Angriffen gegen das Staatsbahnsystem und dessen
angeblichen Fiskalismus mißbraucht werden. Der Eisenbahnverwaltung kann
man keine Schuld beimessen, wenn sie die Mißstände dieses Herbstes nicht
vorausgesehen und ihnen nicht vorgebeugt hat. Ein Aufschwung der Montan¬
industrie in dem jetzt vorhandenen Umfang ist ja von keinem der beteiligten
Industriellen auch nur geahnt worden. Es ist eine Art Verhängnis, welches
das Jndustrierevier betroffen hat, und dem sich auch mit äußerster Anspannung
von Personen und Material nicht steuern ließ. Die nunmehr von der Staats¬
bahnverwaltung in Angriff genommenen großzügigen Abhilfsmaßregeln, starke
Vermehrung des Wagenparkes, Bau großer Abstellbahnhöfe, Vermehrung der
Zu- und Abfuhrgeleise, werden die Wiederkehr ähnlicher Zustände im nächsten
Jahr verhindern.
Täuscht nicht alles, so wird übrigens das gegenwärtige Arbeitstempo der
schweren Industrie kaum lange mehr anhalten können. Es ist bereits oben auf
den hemmenden Einfluß hingewiesen, den die politischen Verhältnisse auf die
wirtschaftliche Entwicklung ausüben müssen. Die bedenklichste Seite bildet aber
die Lage des Geldmarktes. Geld wird teurer und teurer. Schon ist die
Sächsische Bank der Neichsbank vorausgeeilt und hat ihren Zinsfuß auf
6^/2 Prozent erhöht. Die Reichsbank selbst zögert noch, obwohl ihr Status
nicht sehr befriedigend ist. Es scheint aber fraglich, ob sie über die Jahres¬
wende hinaus mit ihrem Satz auskommen kann und nicht genötigt ist, auf 6^/2
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