Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr.Unterm Weihnachtsbaum puppenhaft. "König Löwes Hochzeitsschmaus" derselben Autorin (M. 2.40), in Unterm Weihnachtsbaum puppenhaft. „König Löwes Hochzeitsschmaus" derselben Autorin (M. 2.40), in <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0479" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/322881"/> <fw type="header" place="top"> Unterm Weihnachtsbaum</fw><lb/> <p xml:id="ID_2430" prev="#ID_2429" next="#ID_2431"> puppenhaft. „König Löwes Hochzeitsschmaus" derselben Autorin (M. 2.40), in<lb/> dem sie nur Tiere bringt, ohne sie doch lebendig und charakteristisch wiedergeben<lb/> zu können, endet ohne Abschluß; der ganze Gedankengang ist wenig glücklich.<lb/> Ein paar Zeilen als Beispiele: „Seht da unsern Igel, den Rittersmann, er bringt<lb/> Leberwiirste aus Schnecken an", oder „Aus grünem Klee und roten Rübchen<lb/> Kaninchen macht Gemüsesüppchen". Da würde sich der Löwe schön bedankenl —<lb/> In „Für Nesthockerl und flügge Kinderlein" des Verlages Max Kellerer in<lb/> München (M. 2.—) sind die Bilder von I. Widenmann das Beste. Die Verse von<lb/> Josef Weber sind oft ganz unkindlich und alles andere eher als poetisch: es ist so<lb/> viel von Gesichter!. Patscherl, Zeiserl, Zuckersüssl darin die Rede, daß einem<lb/> Norddeutschen wenigstens dabei übel wird. Dabei stört der Fettdruck der zu<lb/> betonenden Worte gräßlich. — „Mit Heidi und Trallala" nennt sich ein Bilderbuch<lb/> von R. F. Günther, Bonn a. Rh. (siel), das im Verlag der Jugendblätter (Carl<lb/> Schnell) in München „mit vielen Bildern nach Ideen des Verfassers von Harry<lb/> Schultz" erscheint (M. 2.80). Ich weiß nicht, ob dabei die grandiose Idee, die<lb/> auf jedem Bilde wiederkehrt, sei es im Schlaf-, Spiel-, Eßzimmer oder beim<lb/> Zahnarzt, einem der Buben den Hemdzipfel aus der Hose hängen zu lassen, auch<lb/> auf Konto des Verfassers zu setzen ist; neuer ist jedenfalls die Anpreisung inmitten<lb/> der Verse, daß („Mit Heidi und Trallala!") das kluge Mütterlein schon längst das<lb/> Buch von Günther über die Zähne besitzt! So wichtig die Zahnpflege ist: als<lb/> Stoff eines Bilderbuches und zu belanglosen Reimen und Bildern verarbeitet, hat<lb/> sie wenig Aussicht auf den Erfolg, den der Verlag sich von diesem Buch des<lb/> Bonner Zahnarztes verspricht, indem er an den (himmelhoch über diesem Mach¬<lb/> werk stehenden) „Struwelpeter" des Arztes Hoffmann erinnert. — Ein modern<lb/> sein sollendes Bilderbuch legt uns auch der Verlag Gustav Kiepenheuer in Weimar<lb/> vor: „Tante Krinoline und andere Geschichten". Ein Bilderbuch mit Versen von<lb/> Helene Vrieslander. Die in der ganzen Art an Kreidolf erinnernden und drucktechnisch<lb/> vorzüglich herausgekommenen Bilder ließe man sich gefallen, wenn nicht die „Ge¬<lb/> schichten" ein aller Poesie bares, im Sujet oft widerliches Gereimsel darstellten, deren<lb/> faustdick ausgetragene Moral das Ganze noch unleidlicher macht. Ein Beispiel aufs<lb/> Geratewohl für viele: „Die Moral von der Geschicht': Sind auch Tanten<lb/> wunderlich, mach dich stets mit ihnen Freund, Wer die kränkt, am End' doch<lb/> weint." — Eine Erholung und Herzstärkung darnach bereitet „Das schwarze<lb/> Bilderbuch" von Rolf von Hoerschelmann, München, Martin Moerikes Verlag,<lb/> (M. 4.—). Da leben alle guten Geister der Silhouettierkunst, die in den letzten<lb/> Jahren, besonders auch in den mannigfachen Veröffentlichungen des Kunstwarts,<lb/> eine fröhliche Auferstehung gefeiert hat. Man muß schon an die größten<lb/> Namen auf diesem Gebiete, wie Fröhlich, denken, wenn man einen Vergleich her¬<lb/> anziehen will. Ein graziöser Humor ist in diesen lebenerfüllten, behaglichen<lb/> Bildern, auf denen Typen der Kleinstadt, wanderndes Volk oder Helden wie die<lb/> sieben Schwaben besonders gut geraten; nicht minder sind seine Naturbilder von<lb/> bestrickenden Reiz. Dabei ist alles so ansprechend und verständlich, daß man die<lb/> Verse von A. von Bernus entbehren möchte, um so mehr, da sie zu viel auf¬<lb/> zählen, statt die Bilder zu umschreiben. Hoerschelmann ist ein Künstler, dem<lb/> wieder zu begegnen wir aufrichtig wünschen. — Der Verlag von Joseph Scholz<lb/> in Mainz, dessen prächtige Künstler-Bilderbücher nun schon in den kleinsten Ort-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0479]
Unterm Weihnachtsbaum
puppenhaft. „König Löwes Hochzeitsschmaus" derselben Autorin (M. 2.40), in
dem sie nur Tiere bringt, ohne sie doch lebendig und charakteristisch wiedergeben
zu können, endet ohne Abschluß; der ganze Gedankengang ist wenig glücklich.
Ein paar Zeilen als Beispiele: „Seht da unsern Igel, den Rittersmann, er bringt
Leberwiirste aus Schnecken an", oder „Aus grünem Klee und roten Rübchen
Kaninchen macht Gemüsesüppchen". Da würde sich der Löwe schön bedankenl —
In „Für Nesthockerl und flügge Kinderlein" des Verlages Max Kellerer in
München (M. 2.—) sind die Bilder von I. Widenmann das Beste. Die Verse von
Josef Weber sind oft ganz unkindlich und alles andere eher als poetisch: es ist so
viel von Gesichter!. Patscherl, Zeiserl, Zuckersüssl darin die Rede, daß einem
Norddeutschen wenigstens dabei übel wird. Dabei stört der Fettdruck der zu
betonenden Worte gräßlich. — „Mit Heidi und Trallala" nennt sich ein Bilderbuch
von R. F. Günther, Bonn a. Rh. (siel), das im Verlag der Jugendblätter (Carl
Schnell) in München „mit vielen Bildern nach Ideen des Verfassers von Harry
Schultz" erscheint (M. 2.80). Ich weiß nicht, ob dabei die grandiose Idee, die
auf jedem Bilde wiederkehrt, sei es im Schlaf-, Spiel-, Eßzimmer oder beim
Zahnarzt, einem der Buben den Hemdzipfel aus der Hose hängen zu lassen, auch
auf Konto des Verfassers zu setzen ist; neuer ist jedenfalls die Anpreisung inmitten
der Verse, daß („Mit Heidi und Trallala!") das kluge Mütterlein schon längst das
Buch von Günther über die Zähne besitzt! So wichtig die Zahnpflege ist: als
Stoff eines Bilderbuches und zu belanglosen Reimen und Bildern verarbeitet, hat
sie wenig Aussicht auf den Erfolg, den der Verlag sich von diesem Buch des
Bonner Zahnarztes verspricht, indem er an den (himmelhoch über diesem Mach¬
werk stehenden) „Struwelpeter" des Arztes Hoffmann erinnert. — Ein modern
sein sollendes Bilderbuch legt uns auch der Verlag Gustav Kiepenheuer in Weimar
vor: „Tante Krinoline und andere Geschichten". Ein Bilderbuch mit Versen von
Helene Vrieslander. Die in der ganzen Art an Kreidolf erinnernden und drucktechnisch
vorzüglich herausgekommenen Bilder ließe man sich gefallen, wenn nicht die „Ge¬
schichten" ein aller Poesie bares, im Sujet oft widerliches Gereimsel darstellten, deren
faustdick ausgetragene Moral das Ganze noch unleidlicher macht. Ein Beispiel aufs
Geratewohl für viele: „Die Moral von der Geschicht': Sind auch Tanten
wunderlich, mach dich stets mit ihnen Freund, Wer die kränkt, am End' doch
weint." — Eine Erholung und Herzstärkung darnach bereitet „Das schwarze
Bilderbuch" von Rolf von Hoerschelmann, München, Martin Moerikes Verlag,
(M. 4.—). Da leben alle guten Geister der Silhouettierkunst, die in den letzten
Jahren, besonders auch in den mannigfachen Veröffentlichungen des Kunstwarts,
eine fröhliche Auferstehung gefeiert hat. Man muß schon an die größten
Namen auf diesem Gebiete, wie Fröhlich, denken, wenn man einen Vergleich her¬
anziehen will. Ein graziöser Humor ist in diesen lebenerfüllten, behaglichen
Bildern, auf denen Typen der Kleinstadt, wanderndes Volk oder Helden wie die
sieben Schwaben besonders gut geraten; nicht minder sind seine Naturbilder von
bestrickenden Reiz. Dabei ist alles so ansprechend und verständlich, daß man die
Verse von A. von Bernus entbehren möchte, um so mehr, da sie zu viel auf¬
zählen, statt die Bilder zu umschreiben. Hoerschelmann ist ein Künstler, dem
wieder zu begegnen wir aufrichtig wünschen. — Der Verlag von Joseph Scholz
in Mainz, dessen prächtige Künstler-Bilderbücher nun schon in den kleinsten Ort-
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