Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr.Line neue Linhintsstenographie für Deutschland betraut, der durch den Provinzialschulrat Professor Tiede-Berlin unterstützt "Die künftige deutsche Einheitsstenographie soll eine fest geregelte (Schul-) Fürwahr, ein stolzes Programm! Die stenographisch-germanische Streitaxt Seit Jahrzehnten richtet jede Systemvertretung an die preußische Unterrichts¬ Aber wozu wurde dann eigentlich die Konferenz berufen? Antwort: Reichstag und Abgeordnetenhaus haben zusammen, wenn man die Doppel¬ Line neue Linhintsstenographie für Deutschland betraut, der durch den Provinzialschulrat Professor Tiede-Berlin unterstützt „Die künftige deutsche Einheitsstenographie soll eine fest geregelte (Schul-) Fürwahr, ein stolzes Programm! Die stenographisch-germanische Streitaxt Seit Jahrzehnten richtet jede Systemvertretung an die preußische Unterrichts¬ Aber wozu wurde dann eigentlich die Konferenz berufen? Antwort: Reichstag und Abgeordnetenhaus haben zusammen, wenn man die Doppel¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0047" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/322448"/> <fw type="header" place="top"> Line neue Linhintsstenographie für Deutschland</fw><lb/> <p xml:id="ID_189" prev="#ID_188"> betraut, der durch den Provinzialschulrat Professor Tiede-Berlin unterstützt<lb/> wurde. Nachstehender Antrag wurde angenommen:</p><lb/> <p xml:id="ID_190"> „Die künftige deutsche Einheitsstenographie soll eine fest geregelte (Schul-)<lb/> Verkehrsschrift besitzen und durch ihre Kürzungsfähigkeit als Redeschrift die<lb/> Erreichung aller Kurzschriftzwecke ermöglichen."</p><lb/> <p xml:id="ID_191"> Fürwahr, ein stolzes Programm! Die stenographisch-germanische Streitaxt<lb/> soll begraben werden, die Kämpfe um die beste Stenographie, um ihre Ein¬<lb/> führung in die Schule sollen aufhören. Ob aber die Einheitsschrift überall<lb/> empfohlen oder gar zur Einführung befohlen wird, das ist nach der ausdrück¬<lb/> lichen Äußerung des Geheimrath Klatt noch eine offene Frage. Man will die<lb/> neue Erfindung erst sehen, erst haben, bevor bindende Erklärungen für Preußen<lb/> abgegeben werden.</p><lb/> <p xml:id="ID_192"> Seit Jahrzehnten richtet jede Systemvertretung an die preußische Unterrichts¬<lb/> behörde Anträge aus Einführung ihrer Schrift in die Schulen. Alle diese<lb/> Anträge sind bisher abgewiesen worden. Infolgedessen werden Abgeordneten¬<lb/> haus und Reichstag mit Bittschriften gequält, die Kurzschrift als eine „gemein¬<lb/> nützige Schrift" anzuerkennen und in Preußen auf Einführung in die Schulen<lb/> zu dringen. Die Parlamente aber sagen, wie ein Richter, der begütigend einen<lb/> Streit schlichten will: „Meine Herren, einigen Sie sich." — Daher soll jetzt ein<lb/> neues Einheitssystem den erhabenen Zweck erfüllen, in Deutschland stenographische<lb/> Ruhe zu schaffen. Aber gerade das Land, das die Ruhe schaffen kann, lehnt<lb/> vorläufig jede bindende Erklärung ab, wie es denn bisher vermieden hat, sich<lb/> für ein System zu entscheiden.</p><lb/> <p xml:id="ID_193"> Aber wozu wurde dann eigentlich die Konferenz berufen? Antwort:<lb/> Preußen tut den unermüdlich schreienden ihren Willen, das Einigungswerk soll<lb/> in Szene gesetzt werden, aber Preußen hat gar kein Interesse an seinem Zu¬<lb/> standekommen, weil im Schulwesen viel wichtigere größere Aufgaben zur Lösung<lb/> drängen, und um in dieser Komödie der Irrungen vorweg zu zeigen, wie über¬<lb/> trieben die Behauptung von dem „allgemeinen Nutzen" der Stenographie ist,<lb/> bitte ich das Nächstliegende Bild festzuhalten:</p><lb/> <p xml:id="ID_194" next="#ID_195"> Reichstag und Abgeordnetenhaus haben zusammen, wenn man die Doppel¬<lb/> mandate abrechnet, etwa siebenhundertfünfzig Mitglieder. Beide Häuser zusammen<lb/> haben nach unserer Kenntnis noch nicht sieben Mitglieder, die ernstlich etwas<lb/> von Stenographie verstehen, so wenig ist sie in die Kreise der Gebildeten ein¬<lb/> gedrungen: trotz siebzigjähriger heftigster Bemühungen, diese Schrift zu einem<lb/> „Gemeingut der Gebildeten" zu machen, trotz aller Anstrengungen in Schulen,<lb/> Vereinen, Versammlungen, in Werbeschriften, Zeitungsberichten, statistischen<lb/> Nachrichten, behördlichen Geldunterstützungen, durch Stenographentage und<lb/> Stiftungsfeste. Da man in zahlreichen Geschäften und Bureaus Diktatsteno¬<lb/> graphen sieht, bekommt der Laie die Vorstellung, als ob Stenographie als Verkehrs¬<lb/> schrift Verwendung fände; in Wahrheit ist diese Schrift trotz unglaublichster<lb/> Zeitverschwendung durch Vereinsmeierei und Zeitschriftenkämpfe, trotz unentgelt-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0047]
Line neue Linhintsstenographie für Deutschland
betraut, der durch den Provinzialschulrat Professor Tiede-Berlin unterstützt
wurde. Nachstehender Antrag wurde angenommen:
„Die künftige deutsche Einheitsstenographie soll eine fest geregelte (Schul-)
Verkehrsschrift besitzen und durch ihre Kürzungsfähigkeit als Redeschrift die
Erreichung aller Kurzschriftzwecke ermöglichen."
Fürwahr, ein stolzes Programm! Die stenographisch-germanische Streitaxt
soll begraben werden, die Kämpfe um die beste Stenographie, um ihre Ein¬
führung in die Schule sollen aufhören. Ob aber die Einheitsschrift überall
empfohlen oder gar zur Einführung befohlen wird, das ist nach der ausdrück¬
lichen Äußerung des Geheimrath Klatt noch eine offene Frage. Man will die
neue Erfindung erst sehen, erst haben, bevor bindende Erklärungen für Preußen
abgegeben werden.
Seit Jahrzehnten richtet jede Systemvertretung an die preußische Unterrichts¬
behörde Anträge aus Einführung ihrer Schrift in die Schulen. Alle diese
Anträge sind bisher abgewiesen worden. Infolgedessen werden Abgeordneten¬
haus und Reichstag mit Bittschriften gequält, die Kurzschrift als eine „gemein¬
nützige Schrift" anzuerkennen und in Preußen auf Einführung in die Schulen
zu dringen. Die Parlamente aber sagen, wie ein Richter, der begütigend einen
Streit schlichten will: „Meine Herren, einigen Sie sich." — Daher soll jetzt ein
neues Einheitssystem den erhabenen Zweck erfüllen, in Deutschland stenographische
Ruhe zu schaffen. Aber gerade das Land, das die Ruhe schaffen kann, lehnt
vorläufig jede bindende Erklärung ab, wie es denn bisher vermieden hat, sich
für ein System zu entscheiden.
Aber wozu wurde dann eigentlich die Konferenz berufen? Antwort:
Preußen tut den unermüdlich schreienden ihren Willen, das Einigungswerk soll
in Szene gesetzt werden, aber Preußen hat gar kein Interesse an seinem Zu¬
standekommen, weil im Schulwesen viel wichtigere größere Aufgaben zur Lösung
drängen, und um in dieser Komödie der Irrungen vorweg zu zeigen, wie über¬
trieben die Behauptung von dem „allgemeinen Nutzen" der Stenographie ist,
bitte ich das Nächstliegende Bild festzuhalten:
Reichstag und Abgeordnetenhaus haben zusammen, wenn man die Doppel¬
mandate abrechnet, etwa siebenhundertfünfzig Mitglieder. Beide Häuser zusammen
haben nach unserer Kenntnis noch nicht sieben Mitglieder, die ernstlich etwas
von Stenographie verstehen, so wenig ist sie in die Kreise der Gebildeten ein¬
gedrungen: trotz siebzigjähriger heftigster Bemühungen, diese Schrift zu einem
„Gemeingut der Gebildeten" zu machen, trotz aller Anstrengungen in Schulen,
Vereinen, Versammlungen, in Werbeschriften, Zeitungsberichten, statistischen
Nachrichten, behördlichen Geldunterstützungen, durch Stenographentage und
Stiftungsfeste. Da man in zahlreichen Geschäften und Bureaus Diktatsteno¬
graphen sieht, bekommt der Laie die Vorstellung, als ob Stenographie als Verkehrs¬
schrift Verwendung fände; in Wahrheit ist diese Schrift trotz unglaublichster
Zeitverschwendung durch Vereinsmeierei und Zeitschriftenkämpfe, trotz unentgelt-
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