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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr.

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Grimmelshausen und der Simplizius Simplizissimus

körperlicher und geistiger Art im Innersten gesund und keimstark bleibt.
Dabei ist wohl keine Dichterfigur so in allen Zügen vollkommen das Spiegel¬
bild des deutschen Wesens wie der Simplizius Simplizissimus. Moeller van
den Brück hat dies einmal in voller Ausführlichkeit dargetan. Das Harte,
Kantige, Eckige, ja selbst das Flegelhafte und Rohe, dann wieder das liebevoll
Beschauliche, das Sinnierende und spekulative, das zeitweilige Sichverlieren
und das stete Sichwiederfinden, das Weltschweifende und Heimverlangende, der
Wirklichkeitssinn gepaart mit romantisch ungebundener Phantasie, Abenteurerlust
und Gedankentiefe, die Frömmigkeit eines goldsuchenden Gemüts, die Herzens¬
einfalt neben der Verstandesklugheit: all dies, wenn es schon im einzelnen
allgemein menschlich ist, gibt sich doch in eins verwoben durchaus als spezifisch
deutsch. Und all dies bringt Grimmelshausen im Simplizius als Folge seiner
eigenen deutschen Natur und seiner unverdorbenen künstlerischen Naivität zur
Darstellung.

Denn er hatte sich trotz alles üppigen und verschnörkelten Deutsch und aller
Sprachverwilderung seiner Zeit eine unmittelbar aus dem Volk geschöpfte
Erzählungskunst bewahrt, die sich voll Frische und Treffsicherheit zu geben weiß;
trotz aller Sittenverwilderung war ihm der Glaube an den unverlierbaren
Menschenwert gerettet, und trotz aller Lebensverwilderung verfügte er über die
Gabe, in sich selbst die Versöhnung mit allem Feindseligen und Widrigen zu
vollziehen und eine heroisch-humoristische Weltanschauung zu behaupten, die es
ihm als Mensch und Dichter ermöglicht, im Simplizius einen Helden zu zeichnen,
der trotz Greuel und Not den Blick auf die ewigen Richtpunkte nicht verliert,
eben weil er seiner eigenen Natur treu bleibt, die im Guten und Bösen die
Natur seines Volkes ist.

Deshalb kann auf dem Denkmal, das unserem Grimmelshausen im Jahre
1879 in Renchen, der Stadt seiner Wirksamkeit, gesetzt wurde, mit Recht der
Spruch gemeißelt stehen:




Grimmelshausen und der Simplizius Simplizissimus

körperlicher und geistiger Art im Innersten gesund und keimstark bleibt.
Dabei ist wohl keine Dichterfigur so in allen Zügen vollkommen das Spiegel¬
bild des deutschen Wesens wie der Simplizius Simplizissimus. Moeller van
den Brück hat dies einmal in voller Ausführlichkeit dargetan. Das Harte,
Kantige, Eckige, ja selbst das Flegelhafte und Rohe, dann wieder das liebevoll
Beschauliche, das Sinnierende und spekulative, das zeitweilige Sichverlieren
und das stete Sichwiederfinden, das Weltschweifende und Heimverlangende, der
Wirklichkeitssinn gepaart mit romantisch ungebundener Phantasie, Abenteurerlust
und Gedankentiefe, die Frömmigkeit eines goldsuchenden Gemüts, die Herzens¬
einfalt neben der Verstandesklugheit: all dies, wenn es schon im einzelnen
allgemein menschlich ist, gibt sich doch in eins verwoben durchaus als spezifisch
deutsch. Und all dies bringt Grimmelshausen im Simplizius als Folge seiner
eigenen deutschen Natur und seiner unverdorbenen künstlerischen Naivität zur
Darstellung.

Denn er hatte sich trotz alles üppigen und verschnörkelten Deutsch und aller
Sprachverwilderung seiner Zeit eine unmittelbar aus dem Volk geschöpfte
Erzählungskunst bewahrt, die sich voll Frische und Treffsicherheit zu geben weiß;
trotz aller Sittenverwilderung war ihm der Glaube an den unverlierbaren
Menschenwert gerettet, und trotz aller Lebensverwilderung verfügte er über die
Gabe, in sich selbst die Versöhnung mit allem Feindseligen und Widrigen zu
vollziehen und eine heroisch-humoristische Weltanschauung zu behaupten, die es
ihm als Mensch und Dichter ermöglicht, im Simplizius einen Helden zu zeichnen,
der trotz Greuel und Not den Blick auf die ewigen Richtpunkte nicht verliert,
eben weil er seiner eigenen Natur treu bleibt, die im Guten und Bösen die
Natur seines Volkes ist.

Deshalb kann auf dem Denkmal, das unserem Grimmelshausen im Jahre
1879 in Renchen, der Stadt seiner Wirksamkeit, gesetzt wurde, mit Recht der
Spruch gemeißelt stehen:




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[0467] Grimmelshausen und der Simplizius Simplizissimus körperlicher und geistiger Art im Innersten gesund und keimstark bleibt. Dabei ist wohl keine Dichterfigur so in allen Zügen vollkommen das Spiegel¬ bild des deutschen Wesens wie der Simplizius Simplizissimus. Moeller van den Brück hat dies einmal in voller Ausführlichkeit dargetan. Das Harte, Kantige, Eckige, ja selbst das Flegelhafte und Rohe, dann wieder das liebevoll Beschauliche, das Sinnierende und spekulative, das zeitweilige Sichverlieren und das stete Sichwiederfinden, das Weltschweifende und Heimverlangende, der Wirklichkeitssinn gepaart mit romantisch ungebundener Phantasie, Abenteurerlust und Gedankentiefe, die Frömmigkeit eines goldsuchenden Gemüts, die Herzens¬ einfalt neben der Verstandesklugheit: all dies, wenn es schon im einzelnen allgemein menschlich ist, gibt sich doch in eins verwoben durchaus als spezifisch deutsch. Und all dies bringt Grimmelshausen im Simplizius als Folge seiner eigenen deutschen Natur und seiner unverdorbenen künstlerischen Naivität zur Darstellung. Denn er hatte sich trotz alles üppigen und verschnörkelten Deutsch und aller Sprachverwilderung seiner Zeit eine unmittelbar aus dem Volk geschöpfte Erzählungskunst bewahrt, die sich voll Frische und Treffsicherheit zu geben weiß; trotz aller Sittenverwilderung war ihm der Glaube an den unverlierbaren Menschenwert gerettet, und trotz aller Lebensverwilderung verfügte er über die Gabe, in sich selbst die Versöhnung mit allem Feindseligen und Widrigen zu vollziehen und eine heroisch-humoristische Weltanschauung zu behaupten, die es ihm als Mensch und Dichter ermöglicht, im Simplizius einen Helden zu zeichnen, der trotz Greuel und Not den Blick auf die ewigen Richtpunkte nicht verliert, eben weil er seiner eigenen Natur treu bleibt, die im Guten und Bösen die Natur seines Volkes ist. Deshalb kann auf dem Denkmal, das unserem Grimmelshausen im Jahre 1879 in Renchen, der Stadt seiner Wirksamkeit, gesetzt wurde, mit Recht der Spruch gemeißelt stehen:

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_322400/467>, abgerufen am 15.01.2025.