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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr.

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Grimmelshausen und der Simplizius Simplizilstmus

des Namens Joh. Cristoffel von Grimmelshusen ist, genau wie die vielfachen
Pseudonyme, hinter denen er sich ehedem verborgen hatte.




Der Roman führt uns aus der Einsamkeit eines friedlichen Waldlebens
durch ein unruhiges und manchmal roh verwildertes Leben abwärts in die
Tiefe eines körperlichen und sittlichen Verfalls, bis es wieder zur Höhe eines
beschaulichen Einsiedeltums aufsteigt, wo der Held seinen wahren Menschenwert
aufs neue erkennt und hervorholt.

Daß er dies als Einstedel tut, ist im Plan des Ganzen wohl begründet.
Und doch muß den Grimmeishausen eine gewisse Unbefriedigung mit diesem
Schluß, wie das fünfte Buch ihn bringt, erfüllt haben, dessen Glaubhaftigkeit
aus der psychischen Veranlagung des Simplizius heraus bezweifelt werden mochte.
Kann dieser Abenteurer, den sein Tatenhunger, sein Fürwitz, man möchte sagen,
sein Dämon getrieben hat, eine Irrfahrt durchs Leben zu wagen, der aus der
Enge kam und immer mehr die Weite eroberte, -- kann der mitten in der
tätigen Welt wieder in die Enge zurückkehren und dort seine Bestimmung
finden? Grimmelshausen, der Autor, welcher dem Simplizisstmus so viel von sich
gegeben hatte, lebte ja selbst nicht im Nesignationswinkel, er war kein Mönch
und kein Einsiedel geworden, sondern ein schaffendes Glied der Menschheit.

Also trieb es ihn, seineu ersten fünf Büchern ein sechstes nachzuschicken,
wozu ihm der buchhändlerische Erfolg seines Werkes ein weiterer Ansporn war.
Freilich, den einmal angelegten Faden durfte er nicht zerreißen, er konnte ihn
nur fester spinnen und stärker drehen. So verläßt der einsiedlerische Simplizius
seine Berghütte und wird aus einem Wald- ein Wallbruder. Doch jetzt lenkt
er den Drang, in die Welt zu steigen, auf eine fromme Pilgerbahn, die ihn
an die heiligen Orte führen soll. Das war immerhin die rechte Fortsetzung
seines Lebens, wie er es als Soldat und Abenteurer geführt hatte. Und
deshalb stürzt er in neue Unrast, bis er infolge eines Schiffbruchs auf einer
menschenleeren Insel landet, wo nun sein Leben in glaubhaft gemachter Ein¬
samkeit verläuft. Seine Sehnsucht kehrt sich nicht zur Heimat, sondern ganz
nach innen, und so läutert er sich zur vollkommenen Seelenreinheit. Hier bleibt
er als ein ganz Gefestigter, der die Welt entbehren kann, glücklich, daß er mit
seiner Hände Arbeit sich die Erde Untertan machen und durch inneres Streben
das Menschliche in sich zur Vollkommenheit entwickeln darf. Außer an dem
inhaltsreichen Gang seiner Erzählung, die uns ein unübertroffen anschauliches
und lebenstrotzendes Kulturbild vom Dreißigjährigen Kriege gibt, und die uns
zum Schluß noch die erste Robinsonade schenkt, läßt uns also Grimmelshausen
an der Entwicklungsgeschichte eines Charakters teilnehmen, der sich geistig über
sein Jahrhundert erhebt. Es zeugt von seiner eigenen inneren Selbständigkeit,
daß er es fertig bringt, in den Zeiten des tiefsten wirtschaftlichen und nationalen
Verfalls einen solchen Charakter zu schaffen, der trotz Schmutz und Greuel


Grimmelshausen und der Simplizius Simplizilstmus

des Namens Joh. Cristoffel von Grimmelshusen ist, genau wie die vielfachen
Pseudonyme, hinter denen er sich ehedem verborgen hatte.




Der Roman führt uns aus der Einsamkeit eines friedlichen Waldlebens
durch ein unruhiges und manchmal roh verwildertes Leben abwärts in die
Tiefe eines körperlichen und sittlichen Verfalls, bis es wieder zur Höhe eines
beschaulichen Einsiedeltums aufsteigt, wo der Held seinen wahren Menschenwert
aufs neue erkennt und hervorholt.

Daß er dies als Einstedel tut, ist im Plan des Ganzen wohl begründet.
Und doch muß den Grimmeishausen eine gewisse Unbefriedigung mit diesem
Schluß, wie das fünfte Buch ihn bringt, erfüllt haben, dessen Glaubhaftigkeit
aus der psychischen Veranlagung des Simplizius heraus bezweifelt werden mochte.
Kann dieser Abenteurer, den sein Tatenhunger, sein Fürwitz, man möchte sagen,
sein Dämon getrieben hat, eine Irrfahrt durchs Leben zu wagen, der aus der
Enge kam und immer mehr die Weite eroberte, — kann der mitten in der
tätigen Welt wieder in die Enge zurückkehren und dort seine Bestimmung
finden? Grimmelshausen, der Autor, welcher dem Simplizisstmus so viel von sich
gegeben hatte, lebte ja selbst nicht im Nesignationswinkel, er war kein Mönch
und kein Einsiedel geworden, sondern ein schaffendes Glied der Menschheit.

Also trieb es ihn, seineu ersten fünf Büchern ein sechstes nachzuschicken,
wozu ihm der buchhändlerische Erfolg seines Werkes ein weiterer Ansporn war.
Freilich, den einmal angelegten Faden durfte er nicht zerreißen, er konnte ihn
nur fester spinnen und stärker drehen. So verläßt der einsiedlerische Simplizius
seine Berghütte und wird aus einem Wald- ein Wallbruder. Doch jetzt lenkt
er den Drang, in die Welt zu steigen, auf eine fromme Pilgerbahn, die ihn
an die heiligen Orte führen soll. Das war immerhin die rechte Fortsetzung
seines Lebens, wie er es als Soldat und Abenteurer geführt hatte. Und
deshalb stürzt er in neue Unrast, bis er infolge eines Schiffbruchs auf einer
menschenleeren Insel landet, wo nun sein Leben in glaubhaft gemachter Ein¬
samkeit verläuft. Seine Sehnsucht kehrt sich nicht zur Heimat, sondern ganz
nach innen, und so läutert er sich zur vollkommenen Seelenreinheit. Hier bleibt
er als ein ganz Gefestigter, der die Welt entbehren kann, glücklich, daß er mit
seiner Hände Arbeit sich die Erde Untertan machen und durch inneres Streben
das Menschliche in sich zur Vollkommenheit entwickeln darf. Außer an dem
inhaltsreichen Gang seiner Erzählung, die uns ein unübertroffen anschauliches
und lebenstrotzendes Kulturbild vom Dreißigjährigen Kriege gibt, und die uns
zum Schluß noch die erste Robinsonade schenkt, läßt uns also Grimmelshausen
an der Entwicklungsgeschichte eines Charakters teilnehmen, der sich geistig über
sein Jahrhundert erhebt. Es zeugt von seiner eigenen inneren Selbständigkeit,
daß er es fertig bringt, in den Zeiten des tiefsten wirtschaftlichen und nationalen
Verfalls einen solchen Charakter zu schaffen, der trotz Schmutz und Greuel


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[0466] Grimmelshausen und der Simplizius Simplizilstmus des Namens Joh. Cristoffel von Grimmelshusen ist, genau wie die vielfachen Pseudonyme, hinter denen er sich ehedem verborgen hatte. Der Roman führt uns aus der Einsamkeit eines friedlichen Waldlebens durch ein unruhiges und manchmal roh verwildertes Leben abwärts in die Tiefe eines körperlichen und sittlichen Verfalls, bis es wieder zur Höhe eines beschaulichen Einsiedeltums aufsteigt, wo der Held seinen wahren Menschenwert aufs neue erkennt und hervorholt. Daß er dies als Einstedel tut, ist im Plan des Ganzen wohl begründet. Und doch muß den Grimmeishausen eine gewisse Unbefriedigung mit diesem Schluß, wie das fünfte Buch ihn bringt, erfüllt haben, dessen Glaubhaftigkeit aus der psychischen Veranlagung des Simplizius heraus bezweifelt werden mochte. Kann dieser Abenteurer, den sein Tatenhunger, sein Fürwitz, man möchte sagen, sein Dämon getrieben hat, eine Irrfahrt durchs Leben zu wagen, der aus der Enge kam und immer mehr die Weite eroberte, — kann der mitten in der tätigen Welt wieder in die Enge zurückkehren und dort seine Bestimmung finden? Grimmelshausen, der Autor, welcher dem Simplizisstmus so viel von sich gegeben hatte, lebte ja selbst nicht im Nesignationswinkel, er war kein Mönch und kein Einsiedel geworden, sondern ein schaffendes Glied der Menschheit. Also trieb es ihn, seineu ersten fünf Büchern ein sechstes nachzuschicken, wozu ihm der buchhändlerische Erfolg seines Werkes ein weiterer Ansporn war. Freilich, den einmal angelegten Faden durfte er nicht zerreißen, er konnte ihn nur fester spinnen und stärker drehen. So verläßt der einsiedlerische Simplizius seine Berghütte und wird aus einem Wald- ein Wallbruder. Doch jetzt lenkt er den Drang, in die Welt zu steigen, auf eine fromme Pilgerbahn, die ihn an die heiligen Orte führen soll. Das war immerhin die rechte Fortsetzung seines Lebens, wie er es als Soldat und Abenteurer geführt hatte. Und deshalb stürzt er in neue Unrast, bis er infolge eines Schiffbruchs auf einer menschenleeren Insel landet, wo nun sein Leben in glaubhaft gemachter Ein¬ samkeit verläuft. Seine Sehnsucht kehrt sich nicht zur Heimat, sondern ganz nach innen, und so läutert er sich zur vollkommenen Seelenreinheit. Hier bleibt er als ein ganz Gefestigter, der die Welt entbehren kann, glücklich, daß er mit seiner Hände Arbeit sich die Erde Untertan machen und durch inneres Streben das Menschliche in sich zur Vollkommenheit entwickeln darf. Außer an dem inhaltsreichen Gang seiner Erzählung, die uns ein unübertroffen anschauliches und lebenstrotzendes Kulturbild vom Dreißigjährigen Kriege gibt, und die uns zum Schluß noch die erste Robinsonade schenkt, läßt uns also Grimmelshausen an der Entwicklungsgeschichte eines Charakters teilnehmen, der sich geistig über sein Jahrhundert erhebt. Es zeugt von seiner eigenen inneren Selbständigkeit, daß er es fertig bringt, in den Zeiten des tiefsten wirtschaftlichen und nationalen Verfalls einen solchen Charakter zu schaffen, der trotz Schmutz und Greuel

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_322400/466>, abgerufen am 15.01.2025.