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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr.

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Hemmnisse innerer Kolonisation

Sodann schuf das Ansiedlungsgesetz vom 10. August 1904 ein weiteres
Bauverbot. Wer ein Haus errichten will, das sich nicht unmittelbar an den
schon bebauten Dorfkern anschließt, bedarf zuvor einer besonderen, durch den
Kreisausschuß zu erteilenden Ansiedlungsgenehmigung. Nun tagt der Kreis¬
ausschuß höchstens alle Monate einmal; ferner befragt er, ehe er sich entscheidet,
gemäß Z 17 des Anstedlungsgesetzes die Gemeinde, wie viel an Kapital sie für
Kirche und Schule fordert, um die ihr zwar nicht durch den Neubau, aber
durch die voraussichtlich darin wohnenden Menschen erwachsenden Mehrausgaben
decken zu können. Zu der Antwort hat die Gemeinde einundzwanzig Tage
Zeit. Der Gemeindevorsteher fordert, um leine Nackenschläge in der Gemeinde
zu bekommen, für Kirche und Schule möglichst viel. Der Kreisausschuß ver¬
handelt hierüber und setzt dann den Betrag fest, den der Baulustige zu hinter¬
legen oder richtiger zu zahlen hat, bevor er die Baugenehmigung erhält. Daß
alles dies viel Zeit erfordert, erschwert das Bauen ungemein, ganz abgesehen
davon, daß der, welcher bauen will, meist nicht an Überfluß an Geld leidet. Jeden¬
falls werden ihm dadurch seine Barmittel in etwas, manchmal ganz erheblich
beschnitten.

Allerdings ist die Ansiedlungsgenehmigung nicht erforderlich, wenn ein
behördlich festgestellter Bebauungsplan besteht und der Bau innerhalb des Gebiets
des Bebauungsplans erfolgt. Indes dies weiß man zu umgehe". In einer
aufblühenden Dorfgemeinde ist vor mehr als zehn Jahren ein Bebauungsplan
zeichnerisch hergestellt worden, jedermann richtet sich danach, er wird aber nicht
ausgelegt und nicht behördlich festgestellt, damit -- wie schlechte Menschen glauben
annehmen zu müssen -- vor jeder Baugenehmigung ein großer Geldbetrag
infolge des unfertigen Bebauungsplans als Ansiedlungsgenehmigung erhoben
werden kann. An derartige böswillige Umgehungen des Gesetzes mag man bei
Abfassung desselben nicht gedacht haben. Indes braucht auch gar nicht immer
Absicht vorzuliegen. Ein Bebauungsplan bleibt auch manchmal schon deshalb
liegen, weil die beteiligten Behörden und Privatpersonen sich darüber nicht
einigen können, und das Einspruchsverfahren gescheut wird.

Auch ohne böse Absicht wirkt Bummelei und Unbeholfenheit eines weder
juristisch noch technisch gebildeten Gemeindevorstehers dahin, daß die förmliche
Feststellung des Bebauungsplanes entweder überhaupt oder doch recht lange
unterbleibt. Dabei läuft die Gemeinde auch kaum eine Gefahr. Denn die
Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts geht dahin, daß die Baupolizei
einen auch noch nicht fertiggestellten Bebauungsplan berücksichtigen muß. Gesetz
und Rechtsprechung haben sich eben dahin geeinigt, den Gemeinden
das Leben möglichst leicht und dem Baulustigen das Bauen möglichst
schwer zu machen.

Wie kann nun ein kleiner Mann auf dem Lande, der sich etwas erspart
hat, um sich ein eigenes Häuschen zu errichten, alle diese Schlingen, die das
Gesetz dem Baulustigen gelegt hat, vorher klar erkennen, um sie zu vermeiden.


Hemmnisse innerer Kolonisation

Sodann schuf das Ansiedlungsgesetz vom 10. August 1904 ein weiteres
Bauverbot. Wer ein Haus errichten will, das sich nicht unmittelbar an den
schon bebauten Dorfkern anschließt, bedarf zuvor einer besonderen, durch den
Kreisausschuß zu erteilenden Ansiedlungsgenehmigung. Nun tagt der Kreis¬
ausschuß höchstens alle Monate einmal; ferner befragt er, ehe er sich entscheidet,
gemäß Z 17 des Anstedlungsgesetzes die Gemeinde, wie viel an Kapital sie für
Kirche und Schule fordert, um die ihr zwar nicht durch den Neubau, aber
durch die voraussichtlich darin wohnenden Menschen erwachsenden Mehrausgaben
decken zu können. Zu der Antwort hat die Gemeinde einundzwanzig Tage
Zeit. Der Gemeindevorsteher fordert, um leine Nackenschläge in der Gemeinde
zu bekommen, für Kirche und Schule möglichst viel. Der Kreisausschuß ver¬
handelt hierüber und setzt dann den Betrag fest, den der Baulustige zu hinter¬
legen oder richtiger zu zahlen hat, bevor er die Baugenehmigung erhält. Daß
alles dies viel Zeit erfordert, erschwert das Bauen ungemein, ganz abgesehen
davon, daß der, welcher bauen will, meist nicht an Überfluß an Geld leidet. Jeden¬
falls werden ihm dadurch seine Barmittel in etwas, manchmal ganz erheblich
beschnitten.

Allerdings ist die Ansiedlungsgenehmigung nicht erforderlich, wenn ein
behördlich festgestellter Bebauungsplan besteht und der Bau innerhalb des Gebiets
des Bebauungsplans erfolgt. Indes dies weiß man zu umgehe«. In einer
aufblühenden Dorfgemeinde ist vor mehr als zehn Jahren ein Bebauungsplan
zeichnerisch hergestellt worden, jedermann richtet sich danach, er wird aber nicht
ausgelegt und nicht behördlich festgestellt, damit — wie schlechte Menschen glauben
annehmen zu müssen — vor jeder Baugenehmigung ein großer Geldbetrag
infolge des unfertigen Bebauungsplans als Ansiedlungsgenehmigung erhoben
werden kann. An derartige böswillige Umgehungen des Gesetzes mag man bei
Abfassung desselben nicht gedacht haben. Indes braucht auch gar nicht immer
Absicht vorzuliegen. Ein Bebauungsplan bleibt auch manchmal schon deshalb
liegen, weil die beteiligten Behörden und Privatpersonen sich darüber nicht
einigen können, und das Einspruchsverfahren gescheut wird.

Auch ohne böse Absicht wirkt Bummelei und Unbeholfenheit eines weder
juristisch noch technisch gebildeten Gemeindevorstehers dahin, daß die förmliche
Feststellung des Bebauungsplanes entweder überhaupt oder doch recht lange
unterbleibt. Dabei läuft die Gemeinde auch kaum eine Gefahr. Denn die
Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts geht dahin, daß die Baupolizei
einen auch noch nicht fertiggestellten Bebauungsplan berücksichtigen muß. Gesetz
und Rechtsprechung haben sich eben dahin geeinigt, den Gemeinden
das Leben möglichst leicht und dem Baulustigen das Bauen möglichst
schwer zu machen.

Wie kann nun ein kleiner Mann auf dem Lande, der sich etwas erspart
hat, um sich ein eigenes Häuschen zu errichten, alle diese Schlingen, die das
Gesetz dem Baulustigen gelegt hat, vorher klar erkennen, um sie zu vermeiden.


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[0453] Hemmnisse innerer Kolonisation Sodann schuf das Ansiedlungsgesetz vom 10. August 1904 ein weiteres Bauverbot. Wer ein Haus errichten will, das sich nicht unmittelbar an den schon bebauten Dorfkern anschließt, bedarf zuvor einer besonderen, durch den Kreisausschuß zu erteilenden Ansiedlungsgenehmigung. Nun tagt der Kreis¬ ausschuß höchstens alle Monate einmal; ferner befragt er, ehe er sich entscheidet, gemäß Z 17 des Anstedlungsgesetzes die Gemeinde, wie viel an Kapital sie für Kirche und Schule fordert, um die ihr zwar nicht durch den Neubau, aber durch die voraussichtlich darin wohnenden Menschen erwachsenden Mehrausgaben decken zu können. Zu der Antwort hat die Gemeinde einundzwanzig Tage Zeit. Der Gemeindevorsteher fordert, um leine Nackenschläge in der Gemeinde zu bekommen, für Kirche und Schule möglichst viel. Der Kreisausschuß ver¬ handelt hierüber und setzt dann den Betrag fest, den der Baulustige zu hinter¬ legen oder richtiger zu zahlen hat, bevor er die Baugenehmigung erhält. Daß alles dies viel Zeit erfordert, erschwert das Bauen ungemein, ganz abgesehen davon, daß der, welcher bauen will, meist nicht an Überfluß an Geld leidet. Jeden¬ falls werden ihm dadurch seine Barmittel in etwas, manchmal ganz erheblich beschnitten. Allerdings ist die Ansiedlungsgenehmigung nicht erforderlich, wenn ein behördlich festgestellter Bebauungsplan besteht und der Bau innerhalb des Gebiets des Bebauungsplans erfolgt. Indes dies weiß man zu umgehe«. In einer aufblühenden Dorfgemeinde ist vor mehr als zehn Jahren ein Bebauungsplan zeichnerisch hergestellt worden, jedermann richtet sich danach, er wird aber nicht ausgelegt und nicht behördlich festgestellt, damit — wie schlechte Menschen glauben annehmen zu müssen — vor jeder Baugenehmigung ein großer Geldbetrag infolge des unfertigen Bebauungsplans als Ansiedlungsgenehmigung erhoben werden kann. An derartige böswillige Umgehungen des Gesetzes mag man bei Abfassung desselben nicht gedacht haben. Indes braucht auch gar nicht immer Absicht vorzuliegen. Ein Bebauungsplan bleibt auch manchmal schon deshalb liegen, weil die beteiligten Behörden und Privatpersonen sich darüber nicht einigen können, und das Einspruchsverfahren gescheut wird. Auch ohne böse Absicht wirkt Bummelei und Unbeholfenheit eines weder juristisch noch technisch gebildeten Gemeindevorstehers dahin, daß die förmliche Feststellung des Bebauungsplanes entweder überhaupt oder doch recht lange unterbleibt. Dabei läuft die Gemeinde auch kaum eine Gefahr. Denn die Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts geht dahin, daß die Baupolizei einen auch noch nicht fertiggestellten Bebauungsplan berücksichtigen muß. Gesetz und Rechtsprechung haben sich eben dahin geeinigt, den Gemeinden das Leben möglichst leicht und dem Baulustigen das Bauen möglichst schwer zu machen. Wie kann nun ein kleiner Mann auf dem Lande, der sich etwas erspart hat, um sich ein eigenes Häuschen zu errichten, alle diese Schlingen, die das Gesetz dem Baulustigen gelegt hat, vorher klar erkennen, um sie zu vermeiden.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_322400/453>, abgerufen am 15.01.2025.