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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr.

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Rarl Salzer

"El, Tante, der Gaul läßt sich von dem Katzengold net angreifen, und das
macht mir einen Mordsspaß I"

Dann höhnt er den Juden wieder:

"Gell, schlechte Judehändelchen könnt Ihr machen, aber ohne Stallknecht
einen Gaul vom Stand herunterbringen, das könnt Ihr nett"

Da steht die Tante im Rahmen der Stalltür und fragt:

"Na, was geht denn da für sich oder net für sich?"

"Nu, wie heißt, was werd gehen für sich? Nix geht für steht 's tut gehen
überhaupt net. Der Rapp war gewesen von jeher ein scheu Tier, und der bös
Bub will mir ihn jetzt machen noch ganz lolii"

Nun spricht Tante Seelchen verweisend zu dem Jungen:

"Ist das die ganze Frucht von dem, was isch dir vordere gesagt hab, Karl?"

Da bricht wieder alles Ungezügelte, alles jugendliche Draufgängertum in
dein Burschen los, und er knirscht mit trotziger Stimme:

"Ich gönn ihm den Gaul net, dem Dreckjud, dem stinkiger I"

"Nu," sagt der Jude, "die Familie Salzer aus Spelzen ist net dreckig und
net stinkig, die Familie Salzer ist eine ehrbar FamilieI"

Wütend über diese Worte, stürmt Karl auf den Mann zu, droht ihm mit
der Faust und zischt seine Worte zwischen heißem Atem hindurch:

"Jüdchen, Jüdchen, nimm dich in acht, sonst kannst du mal was erfahren I
Kann die ganz Familie etwas für dem Vater seine Schuld?"

"Nu, aber der Jud muß sich lassen schelten, wie's gefällt dem Christ, gelt,
Jüngelchen: das war und bleibt so: ein schlechter Christ ist immer noch besser als
ein guter JudI"

"Karl, wenn du so bist, machst du mir keinen Spaß!" wirft Seelchen dem
Neffen vor. "Das ist doch jetzert mal net zu ändern. Sei dem Mann behilflich,
stribb dem Gaul die Stalltrens ab und tu ihm dem Katzengold seine an. Geh
fort, lieber Bub, allo!"

Mehr als die bittenden Worte selbst, macht der traurige Klang der Stimme
den Burschen wieder weich. Er nimmt aus der Haferkiste einige Körner und
reicht sie dem Tiere, dessen Augen feurig glänzen, dar, streichelt es und spricht
ihm beruhigend zu. Dann stribbt er ihm die Trense ab und die andere an, heißt
die Tante und den Juden aus dem Stalle gehen und führt dann seinen
Rappen hinaus.

Draußen ruft er den Händler herbei und gibt ihm den Trensenriemen in
die Hand, der Tante die Laterne, platscht dabei dem Gaule den Wanst und sagt
ihm beständig liebe Worte. Wie er sieht, daß das Tier sich beruhigt hat, heißt
er den Mann ein paarmal im Hofe herumgehen; er beobachtet dabei das Pferd.
Das spitzt die Ohren, legt sie wieder, sieht sich auch hin und wieder nach Karl
um. Dann sagt dieser:

"So ist'S recht, mein Hans, so ist's recht, nur schön brav!"

Und der Jude meint nach einem Weilchen:

"Nu wird man das Tor können aufmachen! Läßt er sich reiten?"

"Auch das, wenn Ihr wollt, Katzengold! Aber erst will ich ihn noch ein
Bischen in die Reih putzen, haltet mal still!"


Grenzboten IV 1912 ö
Rarl Salzer

„El, Tante, der Gaul läßt sich von dem Katzengold net angreifen, und das
macht mir einen Mordsspaß I"

Dann höhnt er den Juden wieder:

„Gell, schlechte Judehändelchen könnt Ihr machen, aber ohne Stallknecht
einen Gaul vom Stand herunterbringen, das könnt Ihr nett"

Da steht die Tante im Rahmen der Stalltür und fragt:

„Na, was geht denn da für sich oder net für sich?"

„Nu, wie heißt, was werd gehen für sich? Nix geht für steht 's tut gehen
überhaupt net. Der Rapp war gewesen von jeher ein scheu Tier, und der bös
Bub will mir ihn jetzt machen noch ganz lolii"

Nun spricht Tante Seelchen verweisend zu dem Jungen:

„Ist das die ganze Frucht von dem, was isch dir vordere gesagt hab, Karl?"

Da bricht wieder alles Ungezügelte, alles jugendliche Draufgängertum in
dein Burschen los, und er knirscht mit trotziger Stimme:

„Ich gönn ihm den Gaul net, dem Dreckjud, dem stinkiger I"

„Nu," sagt der Jude, „die Familie Salzer aus Spelzen ist net dreckig und
net stinkig, die Familie Salzer ist eine ehrbar FamilieI"

Wütend über diese Worte, stürmt Karl auf den Mann zu, droht ihm mit
der Faust und zischt seine Worte zwischen heißem Atem hindurch:

„Jüdchen, Jüdchen, nimm dich in acht, sonst kannst du mal was erfahren I
Kann die ganz Familie etwas für dem Vater seine Schuld?"

„Nu, aber der Jud muß sich lassen schelten, wie's gefällt dem Christ, gelt,
Jüngelchen: das war und bleibt so: ein schlechter Christ ist immer noch besser als
ein guter JudI"

„Karl, wenn du so bist, machst du mir keinen Spaß!" wirft Seelchen dem
Neffen vor. „Das ist doch jetzert mal net zu ändern. Sei dem Mann behilflich,
stribb dem Gaul die Stalltrens ab und tu ihm dem Katzengold seine an. Geh
fort, lieber Bub, allo!"

Mehr als die bittenden Worte selbst, macht der traurige Klang der Stimme
den Burschen wieder weich. Er nimmt aus der Haferkiste einige Körner und
reicht sie dem Tiere, dessen Augen feurig glänzen, dar, streichelt es und spricht
ihm beruhigend zu. Dann stribbt er ihm die Trense ab und die andere an, heißt
die Tante und den Juden aus dem Stalle gehen und führt dann seinen
Rappen hinaus.

Draußen ruft er den Händler herbei und gibt ihm den Trensenriemen in
die Hand, der Tante die Laterne, platscht dabei dem Gaule den Wanst und sagt
ihm beständig liebe Worte. Wie er sieht, daß das Tier sich beruhigt hat, heißt
er den Mann ein paarmal im Hofe herumgehen; er beobachtet dabei das Pferd.
Das spitzt die Ohren, legt sie wieder, sieht sich auch hin und wieder nach Karl
um. Dann sagt dieser:

„So ist'S recht, mein Hans, so ist's recht, nur schön brav!"

Und der Jude meint nach einem Weilchen:

„Nu wird man das Tor können aufmachen! Läßt er sich reiten?"

„Auch das, wenn Ihr wollt, Katzengold! Aber erst will ich ihn noch ein
Bischen in die Reih putzen, haltet mal still!"


Grenzboten IV 1912 ö
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[0045] Rarl Salzer „El, Tante, der Gaul läßt sich von dem Katzengold net angreifen, und das macht mir einen Mordsspaß I" Dann höhnt er den Juden wieder: „Gell, schlechte Judehändelchen könnt Ihr machen, aber ohne Stallknecht einen Gaul vom Stand herunterbringen, das könnt Ihr nett" Da steht die Tante im Rahmen der Stalltür und fragt: „Na, was geht denn da für sich oder net für sich?" „Nu, wie heißt, was werd gehen für sich? Nix geht für steht 's tut gehen überhaupt net. Der Rapp war gewesen von jeher ein scheu Tier, und der bös Bub will mir ihn jetzt machen noch ganz lolii" Nun spricht Tante Seelchen verweisend zu dem Jungen: „Ist das die ganze Frucht von dem, was isch dir vordere gesagt hab, Karl?" Da bricht wieder alles Ungezügelte, alles jugendliche Draufgängertum in dein Burschen los, und er knirscht mit trotziger Stimme: „Ich gönn ihm den Gaul net, dem Dreckjud, dem stinkiger I" „Nu," sagt der Jude, „die Familie Salzer aus Spelzen ist net dreckig und net stinkig, die Familie Salzer ist eine ehrbar FamilieI" Wütend über diese Worte, stürmt Karl auf den Mann zu, droht ihm mit der Faust und zischt seine Worte zwischen heißem Atem hindurch: „Jüdchen, Jüdchen, nimm dich in acht, sonst kannst du mal was erfahren I Kann die ganz Familie etwas für dem Vater seine Schuld?" „Nu, aber der Jud muß sich lassen schelten, wie's gefällt dem Christ, gelt, Jüngelchen: das war und bleibt so: ein schlechter Christ ist immer noch besser als ein guter JudI" „Karl, wenn du so bist, machst du mir keinen Spaß!" wirft Seelchen dem Neffen vor. „Das ist doch jetzert mal net zu ändern. Sei dem Mann behilflich, stribb dem Gaul die Stalltrens ab und tu ihm dem Katzengold seine an. Geh fort, lieber Bub, allo!" Mehr als die bittenden Worte selbst, macht der traurige Klang der Stimme den Burschen wieder weich. Er nimmt aus der Haferkiste einige Körner und reicht sie dem Tiere, dessen Augen feurig glänzen, dar, streichelt es und spricht ihm beruhigend zu. Dann stribbt er ihm die Trense ab und die andere an, heißt die Tante und den Juden aus dem Stalle gehen und führt dann seinen Rappen hinaus. Draußen ruft er den Händler herbei und gibt ihm den Trensenriemen in die Hand, der Tante die Laterne, platscht dabei dem Gaule den Wanst und sagt ihm beständig liebe Worte. Wie er sieht, daß das Tier sich beruhigt hat, heißt er den Mann ein paarmal im Hofe herumgehen; er beobachtet dabei das Pferd. Das spitzt die Ohren, legt sie wieder, sieht sich auch hin und wieder nach Karl um. Dann sagt dieser: „So ist'S recht, mein Hans, so ist's recht, nur schön brav!" Und der Jude meint nach einem Weilchen: „Nu wird man das Tor können aufmachen! Läßt er sich reiten?" „Auch das, wenn Ihr wollt, Katzengold! Aber erst will ich ihn noch ein Bischen in die Reih putzen, haltet mal still!" Grenzboten IV 1912 ö

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_322400/45>, abgerufen am 15.01.2025.