Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr.Aarl Salzer "Wenn dn müßt, Tante, was mir das leid tut," sagt Karl zur Tante, ,>daß "Dadrüber mußt du jetzert hinaus sein!" erwidert ihm die Alte. "Geh jetzert Während Tante Seelchen Kartoffeln zum Rösten in die Pfanne schüttet und Der Lichtschein irrt über das Hofpflaster, huscht in die Ecken und Winkel, Das Pferd hat schon gelogen. Als die Stalltür geöffnet wird, springt es "Habt Ihr eine Trens bei Euch? -- So, dann geht hinauf und holt ihn Es ist boshaft, den Juden aufzufordern, sich den Gaul selbst zu holen. Der Dieser geht den Pferdestand hinauf. Das Tier bläst noch wilder durch die "Na, KatzengoldI" höhnt Karl, "ich tat mich schämen für einen Gäulsjud, Er wird dem Juden, dem stinkiger, der ihm den schönen Rappen wieder Der Jude macht wieder einen Versuch. Aber sobald er sich dein Pferde nur "So ist's recht, Rappchen!" schreit er lachend, "nur nix. gefallen lassen von Tante Seelchen hört in der Küche die Unruhe des Tieres und den Lärm "Karl, was ist denn los, Bub?" Aarl Salzer „Wenn dn müßt, Tante, was mir das leid tut," sagt Karl zur Tante, ,>daß „Dadrüber mußt du jetzert hinaus sein!" erwidert ihm die Alte. „Geh jetzert Während Tante Seelchen Kartoffeln zum Rösten in die Pfanne schüttet und Der Lichtschein irrt über das Hofpflaster, huscht in die Ecken und Winkel, Das Pferd hat schon gelogen. Als die Stalltür geöffnet wird, springt es „Habt Ihr eine Trens bei Euch? — So, dann geht hinauf und holt ihn Es ist boshaft, den Juden aufzufordern, sich den Gaul selbst zu holen. Der Dieser geht den Pferdestand hinauf. Das Tier bläst noch wilder durch die „Na, KatzengoldI" höhnt Karl, „ich tat mich schämen für einen Gäulsjud, Er wird dem Juden, dem stinkiger, der ihm den schönen Rappen wieder Der Jude macht wieder einen Versuch. Aber sobald er sich dein Pferde nur „So ist's recht, Rappchen!" schreit er lachend, „nur nix. gefallen lassen von Tante Seelchen hört in der Küche die Unruhe des Tieres und den Lärm „Karl, was ist denn los, Bub?" <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0044" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/322445"/> <fw type="header" place="top"> Aarl Salzer</fw><lb/> <p xml:id="ID_141"> „Wenn dn müßt, Tante, was mir das leid tut," sagt Karl zur Tante, ,>daß<lb/> ich jetzert den Gaul wieder fortführen fehl"</p><lb/> <p xml:id="ID_142"> „Dadrüber mußt du jetzert hinaus sein!" erwidert ihm die Alte. „Geh jetzert<lb/> schön und steck die Latern an. 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Der Jude drückt sich in die Ecke, um von den niederpraddelnden<lb/> Hufen nicht zerschlagen zu werden.</p><lb/> <p xml:id="ID_149"> „Na, KatzengoldI" höhnt Karl, „ich tat mich schämen für einen Gäulsjud,<lb/> noch keinen Gaul aus dem Stall holen zu könnenI"</p><lb/> <p xml:id="ID_150"> Er wird dem Juden, dem stinkiger, der ihm den schönen Rappen wieder<lb/> aus dem Stalle schafft, nicht helfen, mag der sich allein abquälen. Im Stalle<lb/> wird das Tier sich die Trense nicht so leicht von einem Fremden abstribben lassen;<lb/> es hat es ja kaum vom Vater oder vom Gesellen geduldet.</p><lb/> <p xml:id="ID_151"> Der Jude macht wieder einen Versuch. Aber sobald er sich dein Pferde nur<lb/> nähert, fängt es an, zu tänzeln und hochzugehen. Endlich gelingt es dem<lb/> Händler, den Gaul an der Trense zu fassen. Er zerrt daran herum. Huppla,<lb/> muß Karl zur Seite springen, denn der Rappe schmeißt nach hinten aus, rasch<lb/> zweimal hintereinander. 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Aarl Salzer
„Wenn dn müßt, Tante, was mir das leid tut," sagt Karl zur Tante, ,>daß
ich jetzert den Gaul wieder fortführen fehl"
„Dadrüber mußt du jetzert hinaus sein!" erwidert ihm die Alte. „Geh jetzert
schön und steck die Latern an. Nachher wollen wir noch viel zusammen plaudern,
wenn die Sophie so weiter schläft wie aweil!"
Während Tante Seelchen Kartoffeln zum Rösten in die Pfanne schüttet und
Eier zum Backen zerschlägt, zündet der Bursche die Laterne an und geht dann
hinaus zu dem Juden.
Der Lichtschein irrt über das Hofpflaster, huscht in die Ecken und Winkel,
zuckt die Scheuerwand hinauf und verliert sich im Stall. Dort hängt von der
Decke ein am Ende zu einem Haken umgebogener Draht herab. Karl deutete die
Laterne hinein; sie schaukelt hin und her. Da rußt der in einem Drahtgestelle
befestigte, weitbauchige Zylinder ein wenig an.
Das Pferd hat schon gelogen. Als die Stalltür geöffnet wird, springt es
mit einem Satze auf. Es wittert einen Fremden und bläst erregt durch die
Nüstern. Karl beruhigt das Tier, das zu wiehern beginnt, und fragt den Juden:
„Habt Ihr eine Trens bei Euch? — So, dann geht hinauf und holt ihn
Euch selber!"
Es ist boshaft, den Juden aufzufordern, sich den Gaul selbst zu holen. Der
Rappe wird sich von einem Fremden nicht anbinden lassen. Karl weiß das, er
wird aber an der Unbeholfenheit des Juden seine Freude haben.
Dieser geht den Pferdestand hinauf. Das Tier bläst noch wilder durch die
Nüstern. Der Jude klopft ihm auf den Hals. Da geht das Tier vorn hoch, so¬
weit es durch den Trensenriemen, mit dein es an die Krippe angebunden ist, nicht
behindert ist. Der Jude drückt sich in die Ecke, um von den niederpraddelnden
Hufen nicht zerschlagen zu werden.
„Na, KatzengoldI" höhnt Karl, „ich tat mich schämen für einen Gäulsjud,
noch keinen Gaul aus dem Stall holen zu könnenI"
Er wird dem Juden, dem stinkiger, der ihm den schönen Rappen wieder
aus dem Stalle schafft, nicht helfen, mag der sich allein abquälen. Im Stalle
wird das Tier sich die Trense nicht so leicht von einem Fremden abstribben lassen;
es hat es ja kaum vom Vater oder vom Gesellen geduldet.
Der Jude macht wieder einen Versuch. Aber sobald er sich dein Pferde nur
nähert, fängt es an, zu tänzeln und hochzugehen. Endlich gelingt es dem
Händler, den Gaul an der Trense zu fassen. Er zerrt daran herum. Huppla,
muß Karl zur Seite springen, denn der Rappe schmeißt nach hinten aus, rasch
zweimal hintereinander. Beim zweitenmal schlagen die Hufe heftig wider die
niedere Decke. Der weißgetünchte Lehmbewurf bröckelt ab und bestreut den Pferde¬
rücken. Die Laterne rasselt. Da packt den Burschen die lodernde Begeisterung
der Schadenfreude.
„So ist's recht, Rappchen!" schreit er lachend, „nur nix. gefallen lassen von
dem Jud! Auf ihn, drauf, drauf!"
Tante Seelchen hört in der Küche die Unruhe des Tieres und den Lärm
ihres Neffen. Sie öffnet das Fenster und ruft:
„Karl, was ist denn los, Bub?"
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