Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr.Goethe der Weise und notwendigen, von Gesunden und Krankhaften". Dieselbe Neigung zur Von Goethes Weisheit können wir demnach vorausschicken, sie sei weder Und jeder Schritt ist Uncrmeszlichkeit. Alle Sehnsucht nach früheren oder späteren Zeiten ist Torheit, Vergangenes und Schließt an heute sich rein, an ein Vollendetes, an. Wissenschaftlich wird die ursächliche Erklärung dessen, was ist, aus dem, was Goethe der Weise und notwendigen, von Gesunden und Krankhaften". Dieselbe Neigung zur Von Goethes Weisheit können wir demnach vorausschicken, sie sei weder Und jeder Schritt ist Uncrmeszlichkeit. Alle Sehnsucht nach früheren oder späteren Zeiten ist Torheit, Vergangenes und Schließt an heute sich rein, an ein Vollendetes, an. Wissenschaftlich wird die ursächliche Erklärung dessen, was ist, aus dem, was <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0439" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/322841"/> <fw type="header" place="top"> Goethe der Weise</fw><lb/> <p xml:id="ID_2209" prev="#ID_2208"> und notwendigen, von Gesunden und Krankhaften". Dieselbe Neigung zur<lb/> Ablehnung bemerken wir auf sozialem Gebiet: die hochfliegenden Weltverbesserungs¬<lb/> pläne Samt Simons und anderer nennt er kurzweg „allgemeine Unverschämt¬<lb/> heiten", und über das noch heute so gepriesene Humanitätsideal seines Freundes<lb/> Herder spottet er: „Die Welt wird Ein großes Hospital und Einer des Anderen<lb/> humaner Krankenwärter werden." Was die Politik im allgemeinen betrifft, so<lb/> weist er sie möglichst von sich ab und bekennt: „Ich mag mich sehr gern<lb/> regieren und besteuern lassen, wenn man mir nur an der Öffnung meines<lb/> Fasses die Sonne läßt," und: „Wenn nur Ordnung gehalten wird, so ist es<lb/> ganz einerlei, durch welche Mittel." Auch hier haben wir also seine Weisheit<lb/> nicht in theoretischen Doktrinen, in umgestaltenden Regenerationsgedanken und<lb/> dergleichen zu suchen, noch weniger in dem üblichen Rausch über die herrliche<lb/> Beschaffenheit unserer Gegenwart und die goldenen Verheißungen der Zukunft;<lb/> vielmehr kündet er von dieser voraus, ihre gerühmten Vorzüge — „die Fazili-<lb/> täten der Kommunikation", die Ausbreitung von Bildung und Überbildung,<lb/> die Machtentfaltung der Presse usw. — würden nur ein „Verharren in der<lb/> Mittelmäßigkeit" zur Folge haben, ja, in manchen Stunden glaubte er schon<lb/> „die Wogen und Brandungen der zu befürchtenden Barbarei" zu vernehmen.</p><lb/> <p xml:id="ID_2210" next="#ID_2211"> Von Goethes Weisheit können wir demnach vorausschicken, sie sei weder<lb/> historisch noch prophetisch, weder visionär noch schematisch; sie fußt im Erlebnis<lb/> und lehnt jegliches Dogma ab. Im Gegensatz zu allen Schimären lautet ihre<lb/> Hauptmaxime: „Der Zweck des Lebens ist das Leben selbst;" was aber nicht<lb/> materiell utilitaristisch, vielmehr im Sinne eines „ideellen Utilitariers" gemeint<lb/> ist. Wie es an jener Stelle weiter heißt: „Wenn wir nach innen das Unsrige<lb/> getan haben, so wird sich das Nachaußen von selbst geben." Die Grund¬<lb/> annahme dieser Weisheit steht uns hiermit schon deutlich vor Augen: die<lb/> Gegenwart enthalte das Mögliche. Ein jeder besitzt die Gegenwart; an ihm<lb/> nur liegt es:</p><lb/> <quote> Und jeder Schritt ist Uncrmeszlichkeit.</quote><lb/> <p xml:id="ID_2211" prev="#ID_2210" next="#ID_2212"> Alle Sehnsucht nach früheren oder späteren Zeiten ist Torheit, Vergangenes und<lb/> Künftiges, beides</p><lb/> <quote> Schließt an heute sich rein, an ein Vollendetes, an.</quote><lb/> <p xml:id="ID_2212" prev="#ID_2211" next="#ID_2213"> Wissenschaftlich wird die ursächliche Erklärung dessen, was ist, aus dem, was<lb/> war, abgewiesen, weil sie alles tiefere Erschauen des Gegenwärtigen und dadurch<lb/> zugleich alle wahre Erkenntnis des Ewigen vernichtet; mythisch-religiös kann<lb/> der Gott-Schöpfer, der „nur von außen stieße", nicht zugestanden werden, und<lb/> der Glaube ist zwar „ein heiliges Gefäß", nicht aber für ein überkommenes<lb/> Bekenntnis, vielmehr ein Gefäß, in welches jede Gegenwart und jeder Gegen¬<lb/> wärtige eigenes Gefühl, eigenen Verstand, eigene Einbildungskraft zu opfern<lb/> hat. Es ist genau der gleiche Grundton wie in dem evangelischen Worte von<lb/> dem Himmelreich, das in dem Acte/zu unseren Füßen begraben liegt: Jeder</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0439]
Goethe der Weise
und notwendigen, von Gesunden und Krankhaften". Dieselbe Neigung zur
Ablehnung bemerken wir auf sozialem Gebiet: die hochfliegenden Weltverbesserungs¬
pläne Samt Simons und anderer nennt er kurzweg „allgemeine Unverschämt¬
heiten", und über das noch heute so gepriesene Humanitätsideal seines Freundes
Herder spottet er: „Die Welt wird Ein großes Hospital und Einer des Anderen
humaner Krankenwärter werden." Was die Politik im allgemeinen betrifft, so
weist er sie möglichst von sich ab und bekennt: „Ich mag mich sehr gern
regieren und besteuern lassen, wenn man mir nur an der Öffnung meines
Fasses die Sonne läßt," und: „Wenn nur Ordnung gehalten wird, so ist es
ganz einerlei, durch welche Mittel." Auch hier haben wir also seine Weisheit
nicht in theoretischen Doktrinen, in umgestaltenden Regenerationsgedanken und
dergleichen zu suchen, noch weniger in dem üblichen Rausch über die herrliche
Beschaffenheit unserer Gegenwart und die goldenen Verheißungen der Zukunft;
vielmehr kündet er von dieser voraus, ihre gerühmten Vorzüge — „die Fazili-
täten der Kommunikation", die Ausbreitung von Bildung und Überbildung,
die Machtentfaltung der Presse usw. — würden nur ein „Verharren in der
Mittelmäßigkeit" zur Folge haben, ja, in manchen Stunden glaubte er schon
„die Wogen und Brandungen der zu befürchtenden Barbarei" zu vernehmen.
Von Goethes Weisheit können wir demnach vorausschicken, sie sei weder
historisch noch prophetisch, weder visionär noch schematisch; sie fußt im Erlebnis
und lehnt jegliches Dogma ab. Im Gegensatz zu allen Schimären lautet ihre
Hauptmaxime: „Der Zweck des Lebens ist das Leben selbst;" was aber nicht
materiell utilitaristisch, vielmehr im Sinne eines „ideellen Utilitariers" gemeint
ist. Wie es an jener Stelle weiter heißt: „Wenn wir nach innen das Unsrige
getan haben, so wird sich das Nachaußen von selbst geben." Die Grund¬
annahme dieser Weisheit steht uns hiermit schon deutlich vor Augen: die
Gegenwart enthalte das Mögliche. Ein jeder besitzt die Gegenwart; an ihm
nur liegt es:
Und jeder Schritt ist Uncrmeszlichkeit.
Alle Sehnsucht nach früheren oder späteren Zeiten ist Torheit, Vergangenes und
Künftiges, beides
Schließt an heute sich rein, an ein Vollendetes, an.
Wissenschaftlich wird die ursächliche Erklärung dessen, was ist, aus dem, was
war, abgewiesen, weil sie alles tiefere Erschauen des Gegenwärtigen und dadurch
zugleich alle wahre Erkenntnis des Ewigen vernichtet; mythisch-religiös kann
der Gott-Schöpfer, der „nur von außen stieße", nicht zugestanden werden, und
der Glaube ist zwar „ein heiliges Gefäß", nicht aber für ein überkommenes
Bekenntnis, vielmehr ein Gefäß, in welches jede Gegenwart und jeder Gegen¬
wärtige eigenes Gefühl, eigenen Verstand, eigene Einbildungskraft zu opfern
hat. Es ist genau der gleiche Grundton wie in dem evangelischen Worte von
dem Himmelreich, das in dem Acte/zu unseren Füßen begraben liegt: Jeder
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