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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr.

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Karl Salzer

Bei den Worten heilig, heilig, heilig macht der Priester mit der Monstranz
in Kreuzesform den Segen über die Gemeinde, und wieder rasseln die Altarschellen.
Da klopfen die Singenden auf die Brust.

Wir beten dich in Demut, mit Furcht und Zittern an.

Die kleine weiße Hostie in der Monstranz schwebt wie eine schimmernde
Taube.

Heilig, heilig, heilig, unaussprechlich heilig bist du, Jesus, ohne End im
hochheiligen SakramentI

Der Ministrant schwenkt heftiger und rascher das Weihrauchfaß. Dichte Duft¬
wolken quirlen zu den hohen Gewölben empor, kaum daß der Priester zu sehen
ist, und der sakramentale Gott ist verborgen wie Jehova in der zwischen den
Flügeln der Engel auf der Bundeslade hängenden Wolke.

Karl singt scheu mit, ganz scheu und mit halber Stimme. Es ist ihm, als
würden sie ihm das Singen verbieten, wenn er zu laut würde.

Nach dem Segen setzt die eigentliche feierliche Messe ein. An den Stufen
des Altars beginnt der Priester mit den Ministranten die Wechselgebete.

Introibo sa altare vel!

^6 venin ami laetiiicat zuventutem meam!

Und die Gläubigen singen:

Danach stimmt der Pfarrer den Jubclhymnus des Qloris in exoelsis Oeo an.

Und wieder der Gesang der Gemeinde.

Wie der Pfarrer, nur mehr mit der langen, schimmernden weißen Aide
bekleidet, die Kanzel ersteigt, kommt dem Karl Salzer plötzlich eine scharfe Röte
ins Gesicht; er wird unruhig. Am liebsten möchte er sich unter die Bänke verkriechen.

O, daß er nicht daran dachte, als es noch Zeit war, nicht in das Hochamt
zu gehen, dann wäre ihm diese Schande erspart gebliebenI

Es ist dem Burschen ganz plötzlich eingefallen, daß am Kirchweihsonntag die
Namen der während des Jahres gestorbenen Gemeindemitglieder verlesen werden,
weil für sie am zweiten Kirchweihtage ein feierliches Totenamt gehalten wird.
Seinen Vater, den Schmied Salzer, wird der Pfarrer Wohl nicht verlesen; der ist
kein Gestorbener, der ist ein Selbstmörder.


Karl Salzer

Bei den Worten heilig, heilig, heilig macht der Priester mit der Monstranz
in Kreuzesform den Segen über die Gemeinde, und wieder rasseln die Altarschellen.
Da klopfen die Singenden auf die Brust.

Wir beten dich in Demut, mit Furcht und Zittern an.

Die kleine weiße Hostie in der Monstranz schwebt wie eine schimmernde
Taube.

Heilig, heilig, heilig, unaussprechlich heilig bist du, Jesus, ohne End im
hochheiligen SakramentI

Der Ministrant schwenkt heftiger und rascher das Weihrauchfaß. Dichte Duft¬
wolken quirlen zu den hohen Gewölben empor, kaum daß der Priester zu sehen
ist, und der sakramentale Gott ist verborgen wie Jehova in der zwischen den
Flügeln der Engel auf der Bundeslade hängenden Wolke.

Karl singt scheu mit, ganz scheu und mit halber Stimme. Es ist ihm, als
würden sie ihm das Singen verbieten, wenn er zu laut würde.

Nach dem Segen setzt die eigentliche feierliche Messe ein. An den Stufen
des Altars beginnt der Priester mit den Ministranten die Wechselgebete.

Introibo sa altare vel!

^6 venin ami laetiiicat zuventutem meam!

Und die Gläubigen singen:

Danach stimmt der Pfarrer den Jubclhymnus des Qloris in exoelsis Oeo an.

Und wieder der Gesang der Gemeinde.

Wie der Pfarrer, nur mehr mit der langen, schimmernden weißen Aide
bekleidet, die Kanzel ersteigt, kommt dem Karl Salzer plötzlich eine scharfe Röte
ins Gesicht; er wird unruhig. Am liebsten möchte er sich unter die Bänke verkriechen.

O, daß er nicht daran dachte, als es noch Zeit war, nicht in das Hochamt
zu gehen, dann wäre ihm diese Schande erspart gebliebenI

Es ist dem Burschen ganz plötzlich eingefallen, daß am Kirchweihsonntag die
Namen der während des Jahres gestorbenen Gemeindemitglieder verlesen werden,
weil für sie am zweiten Kirchweihtage ein feierliches Totenamt gehalten wird.
Seinen Vater, den Schmied Salzer, wird der Pfarrer Wohl nicht verlesen; der ist
kein Gestorbener, der ist ein Selbstmörder.


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[0434] Karl Salzer Bei den Worten heilig, heilig, heilig macht der Priester mit der Monstranz in Kreuzesform den Segen über die Gemeinde, und wieder rasseln die Altarschellen. Da klopfen die Singenden auf die Brust. Wir beten dich in Demut, mit Furcht und Zittern an. Die kleine weiße Hostie in der Monstranz schwebt wie eine schimmernde Taube. Heilig, heilig, heilig, unaussprechlich heilig bist du, Jesus, ohne End im hochheiligen SakramentI Der Ministrant schwenkt heftiger und rascher das Weihrauchfaß. Dichte Duft¬ wolken quirlen zu den hohen Gewölben empor, kaum daß der Priester zu sehen ist, und der sakramentale Gott ist verborgen wie Jehova in der zwischen den Flügeln der Engel auf der Bundeslade hängenden Wolke. Karl singt scheu mit, ganz scheu und mit halber Stimme. Es ist ihm, als würden sie ihm das Singen verbieten, wenn er zu laut würde. Nach dem Segen setzt die eigentliche feierliche Messe ein. An den Stufen des Altars beginnt der Priester mit den Ministranten die Wechselgebete. Introibo sa altare vel! ^6 venin ami laetiiicat zuventutem meam! Und die Gläubigen singen: Danach stimmt der Pfarrer den Jubclhymnus des Qloris in exoelsis Oeo an. Und wieder der Gesang der Gemeinde. Wie der Pfarrer, nur mehr mit der langen, schimmernden weißen Aide bekleidet, die Kanzel ersteigt, kommt dem Karl Salzer plötzlich eine scharfe Röte ins Gesicht; er wird unruhig. Am liebsten möchte er sich unter die Bänke verkriechen. O, daß er nicht daran dachte, als es noch Zeit war, nicht in das Hochamt zu gehen, dann wäre ihm diese Schande erspart gebliebenI Es ist dem Burschen ganz plötzlich eingefallen, daß am Kirchweihsonntag die Namen der während des Jahres gestorbenen Gemeindemitglieder verlesen werden, weil für sie am zweiten Kirchweihtage ein feierliches Totenamt gehalten wird. Seinen Vater, den Schmied Salzer, wird der Pfarrer Wohl nicht verlesen; der ist kein Gestorbener, der ist ein Selbstmörder.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_322400/434>, abgerufen am 15.01.2025.