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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr.

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Karl Salzer

Dann nimmt er sein Dienstbuch in Empfang, hebt sein Schließkörbchen auf
die Achsel und geht:

"Also adscheh beisammenI Und wenn ihr mal was brauchtet, oder wenn ich
euch mal irgendwie behilflich sein könnt, ich tu's euch gernl"

Als der Geselle gegangen ist, sagte Karl:

"Wenn jetzert die Märzen noch fort ist und der Jud den Rapp geholt hat,
Tante, dann sind wir ganz alleinI"

Tante Seelchen schaut ins Krankenzimmer und sieht, daß Sophie eingeschlafen
ist, die Taglöhnerin aber auch. Sie ruft sie leise an:

"Märzen . .. Märzen . . .!"

Sie schüttelt die Schlafende sachte; da fährt diese auf:

"Jeßgott, ich bin jo wirklich eingeschlofe!"

"Bscht, höche, Märzen, daß das Made net wach wirbt Kommt, steht jetzert
auf und geht heim, 's ist ZeitI"

Die Frau steht auf. Immer noch schlaftrunken, reibt sie sich die Augen.
Allmählich wird sie ganz munter und sagt dann, als sie begriffen hat, daß sie
heimgehen soll:

"El, Tante Seelchen, ich tat Euch ganz gern ablösen beim Wachen heunt
Nacht!"

Sie möchte lieber dableiben; es ist besser, zu wachen und nicht im Bette zu
liegen, als mit einem brutalen Säufer eine widerliche Ehegemeinschaft zu haben.
Aber Tante Seelchen lehnt ihr Anerbieten ab, und Karl zählt ihr das Lohngeld
in die Hand.

"Märzen, da ist Euer Lohn von dere Woch; wir können jetzert keine Leut
mehr beschäftigen!"

Da schaut die Frau den Burschen und seine Tante traurig an und sagt:

"Ach, lieber Gott, ihr zwei habt jetzert auch euer Last und euern Bast.
liberall ist etwas, überall! Ach Gott, und ich mit meinem versoffenen Lump! Hätt
der sich umgebracht statt euerm Vater!"

Nur ein Seufzen gibt ihr Antwort. Tante Seelchen wühlt aus dem Kartoffel¬
korb unter dem feuchten Schalengeringel einige Kartoffeln heraus.

"Haltet mal Euern Schurz auf!" sagt sie und läßt die Knollen hineinfallen.
"Da nehmt Euch die paar Kartoffeln mit, daß Eure Kinder was zum Nachtessen
haben. Und das Geld versteckt Euch, sonst versauft's der doch, wenn's in seine
Händ fällt! So. g' Nacht, Märzen!"

Und dann sind sie allein, Karl und Tante Seelchen.

Seelchen, das durch sein Sprechen vom Feueranmachen abgekommen ist, schiebt
nun ein Büschel Stroh in den Herd, darüber legt sie eine Hand voll dürren
zasseligen Rebholzes, wie es im Frühjahr in den Wingerten geschnitten und in
der waldarmen rheinhessischen Gegend zum Feueranzünder benutzt wird, und
steckt das Ganze in Brand.

Da hören sie daS Hoftor in den Angeln kreischen. Es geht jemand in
den Hinteren Hof. Am Küchenfenster taucht ein Kopf auf, des Juden grinsendes
Gesicht. Er nickt und ruft Guten Abend. Ob der Karl nicht die Stallaterne
anstecken wolle?


Karl Salzer

Dann nimmt er sein Dienstbuch in Empfang, hebt sein Schließkörbchen auf
die Achsel und geht:

„Also adscheh beisammenI Und wenn ihr mal was brauchtet, oder wenn ich
euch mal irgendwie behilflich sein könnt, ich tu's euch gernl"

Als der Geselle gegangen ist, sagte Karl:

„Wenn jetzert die Märzen noch fort ist und der Jud den Rapp geholt hat,
Tante, dann sind wir ganz alleinI"

Tante Seelchen schaut ins Krankenzimmer und sieht, daß Sophie eingeschlafen
ist, die Taglöhnerin aber auch. Sie ruft sie leise an:

„Märzen . .. Märzen . . .!"

Sie schüttelt die Schlafende sachte; da fährt diese auf:

„Jeßgott, ich bin jo wirklich eingeschlofe!"

„Bscht, höche, Märzen, daß das Made net wach wirbt Kommt, steht jetzert
auf und geht heim, 's ist ZeitI"

Die Frau steht auf. Immer noch schlaftrunken, reibt sie sich die Augen.
Allmählich wird sie ganz munter und sagt dann, als sie begriffen hat, daß sie
heimgehen soll:

„El, Tante Seelchen, ich tat Euch ganz gern ablösen beim Wachen heunt
Nacht!"

Sie möchte lieber dableiben; es ist besser, zu wachen und nicht im Bette zu
liegen, als mit einem brutalen Säufer eine widerliche Ehegemeinschaft zu haben.
Aber Tante Seelchen lehnt ihr Anerbieten ab, und Karl zählt ihr das Lohngeld
in die Hand.

„Märzen, da ist Euer Lohn von dere Woch; wir können jetzert keine Leut
mehr beschäftigen!"

Da schaut die Frau den Burschen und seine Tante traurig an und sagt:

„Ach, lieber Gott, ihr zwei habt jetzert auch euer Last und euern Bast.
liberall ist etwas, überall! Ach Gott, und ich mit meinem versoffenen Lump! Hätt
der sich umgebracht statt euerm Vater!"

Nur ein Seufzen gibt ihr Antwort. Tante Seelchen wühlt aus dem Kartoffel¬
korb unter dem feuchten Schalengeringel einige Kartoffeln heraus.

„Haltet mal Euern Schurz auf!" sagt sie und läßt die Knollen hineinfallen.
„Da nehmt Euch die paar Kartoffeln mit, daß Eure Kinder was zum Nachtessen
haben. Und das Geld versteckt Euch, sonst versauft's der doch, wenn's in seine
Händ fällt! So. g' Nacht, Märzen!"

Und dann sind sie allein, Karl und Tante Seelchen.

Seelchen, das durch sein Sprechen vom Feueranmachen abgekommen ist, schiebt
nun ein Büschel Stroh in den Herd, darüber legt sie eine Hand voll dürren
zasseligen Rebholzes, wie es im Frühjahr in den Wingerten geschnitten und in
der waldarmen rheinhessischen Gegend zum Feueranzünder benutzt wird, und
steckt das Ganze in Brand.

Da hören sie daS Hoftor in den Angeln kreischen. Es geht jemand in
den Hinteren Hof. Am Küchenfenster taucht ein Kopf auf, des Juden grinsendes
Gesicht. Er nickt und ruft Guten Abend. Ob der Karl nicht die Stallaterne
anstecken wolle?


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_322400/43>, abgerufen am 15.01.2025.