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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr.

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Aarl Salzer

Die Altweiblein sind neugierig und möchten gerne wissen, wie das ist mit
der Tante Sette, die das erste aus dem Dorfe ausgewanderte Weibsbild sei.
Hinausheiraten, das könnten sie ja verstehen, denn dann habe doch so ein Weibs¬
bild sein Auskommen. Aber ein ledig Weibsbild in der Fremde? Die Spelzheimer
seien doch auch nicht wie die armen Odenwälder darauf angewiesen, ihre Töchter
als Mägde in die Welt zu schicken, und jetzt gehe auf einmal die Sette auswärts.

Eine ganze Revolution ist in den Seelchen der Altweiberchen über diese
Tatsache, und Karl ist voller Erstaunen über die Hutzelchen. Ob sie denn auch
auswandern wollten, weil sie alles so genau ausfragten? Hui jul, wie da die
Drei in Aufregung geraten! Sie auswandern, wo sie es doch so gut hätten?
Ganz leichte Arbeit hätten sie zu tun und bekämen so gut und so reichlich zu
essen dafür!

Nein, nein, die Hutzelchen wollen gewiß nicht fort. Die Auswanderung der
Sette ist wie ein riesiger schwarzer Meteorstein in die siebenzigjähriger, schon halb
wieder in Kindheit gesunkenen Seelen gefallen, und nun stehen sie davor und
wissen ihn nicht mehr fortzubringen daraus, wiewohl ihr ganzes Sinnen und
Denken sich dagegenstemmt.

In die Unterhaltung der Viere poltert eine Stimme:

"Na, ich hab gemeint, da tat einer beim Pfarrer hocken und tat dem einen
Vortrag halten, und jetzert schwatzt er da mit den Hutzelcher, hä?"

Hannes Holtner ist aus dein Wirtshaus heimgekehrt. Als Karl ihn hört,
springt er auf. Hannes Holtner aber sagt:

"Na, geh mal gleich mit herein und verzähl mir mal, was es mit dem
Pfarrer geben hat!"

Im Zimmer drückt er den Jungen wieder in den alten Lehnsessel und läßt
ihn sprechen und hört seinem Schützling aufmerksam zu.

"Hmhmhmmmm, hmhmhmmm, sosososo, kettet!" macht er zwischendurch
manchmal.

Als Karl seine Erzählung beendet und auch von dem guten Rate des
Pfarrers gesprochen hat, fragt er:

"Unkel Hannes, wie stellt Ihr Euch dazu?"

"Da nutz man jetzert mal abwarten. Gehst morgen mal nauf zu der
Hungels-Grek. Mal sehen, was du für Erfahrungen machst. Ich bin jetzt selber
gespannt, wie sich dem Herr Pfarrer seine Quisselgarde verhält, bin kolossal
gespannt!"

"Unkel Hannes!" klagt der Bursche, "ich bin jetzert garnet mehr so zufrieden
wie sonst!"

"Weißt du, lieber Bub, da kann dir auch kein Mensch helfen!" entgegnet
der Alte. "Du mußt dir vorstellen, daß dein Herz noch ist wie ein klein ungezogen
Kind. Wenn die Mutter einmal nicht ist wie sonst aller Tag, wenn sie dem
Kind mal kein Liedchen singt, macht's Kind ein verdrießlich Gesicht, läuft herum
und mangelt. So geht's deinem Herz, wenn's aus dem Gleichgewicht kommt.
Nur Geduld, wenn du mal noch ein bißchen älter bist, wird sich das alles schon
finden. Jetzert geh naus und besorg die Gaul! In der Arbeit vergißt sich der
Kummer. Geh hin!"


Aarl Salzer

Die Altweiblein sind neugierig und möchten gerne wissen, wie das ist mit
der Tante Sette, die das erste aus dem Dorfe ausgewanderte Weibsbild sei.
Hinausheiraten, das könnten sie ja verstehen, denn dann habe doch so ein Weibs¬
bild sein Auskommen. Aber ein ledig Weibsbild in der Fremde? Die Spelzheimer
seien doch auch nicht wie die armen Odenwälder darauf angewiesen, ihre Töchter
als Mägde in die Welt zu schicken, und jetzt gehe auf einmal die Sette auswärts.

Eine ganze Revolution ist in den Seelchen der Altweiberchen über diese
Tatsache, und Karl ist voller Erstaunen über die Hutzelchen. Ob sie denn auch
auswandern wollten, weil sie alles so genau ausfragten? Hui jul, wie da die
Drei in Aufregung geraten! Sie auswandern, wo sie es doch so gut hätten?
Ganz leichte Arbeit hätten sie zu tun und bekämen so gut und so reichlich zu
essen dafür!

Nein, nein, die Hutzelchen wollen gewiß nicht fort. Die Auswanderung der
Sette ist wie ein riesiger schwarzer Meteorstein in die siebenzigjähriger, schon halb
wieder in Kindheit gesunkenen Seelen gefallen, und nun stehen sie davor und
wissen ihn nicht mehr fortzubringen daraus, wiewohl ihr ganzes Sinnen und
Denken sich dagegenstemmt.

In die Unterhaltung der Viere poltert eine Stimme:

„Na, ich hab gemeint, da tat einer beim Pfarrer hocken und tat dem einen
Vortrag halten, und jetzert schwatzt er da mit den Hutzelcher, hä?"

Hannes Holtner ist aus dein Wirtshaus heimgekehrt. Als Karl ihn hört,
springt er auf. Hannes Holtner aber sagt:

„Na, geh mal gleich mit herein und verzähl mir mal, was es mit dem
Pfarrer geben hat!"

Im Zimmer drückt er den Jungen wieder in den alten Lehnsessel und läßt
ihn sprechen und hört seinem Schützling aufmerksam zu.

„Hmhmhmmmm, hmhmhmmm, sosososo, kettet!" macht er zwischendurch
manchmal.

Als Karl seine Erzählung beendet und auch von dem guten Rate des
Pfarrers gesprochen hat, fragt er:

„Unkel Hannes, wie stellt Ihr Euch dazu?"

„Da nutz man jetzert mal abwarten. Gehst morgen mal nauf zu der
Hungels-Grek. Mal sehen, was du für Erfahrungen machst. Ich bin jetzt selber
gespannt, wie sich dem Herr Pfarrer seine Quisselgarde verhält, bin kolossal
gespannt!"

„Unkel Hannes!" klagt der Bursche, „ich bin jetzert garnet mehr so zufrieden
wie sonst!"

„Weißt du, lieber Bub, da kann dir auch kein Mensch helfen!" entgegnet
der Alte. „Du mußt dir vorstellen, daß dein Herz noch ist wie ein klein ungezogen
Kind. Wenn die Mutter einmal nicht ist wie sonst aller Tag, wenn sie dem
Kind mal kein Liedchen singt, macht's Kind ein verdrießlich Gesicht, läuft herum
und mangelt. So geht's deinem Herz, wenn's aus dem Gleichgewicht kommt.
Nur Geduld, wenn du mal noch ein bißchen älter bist, wird sich das alles schon
finden. Jetzert geh naus und besorg die Gaul! In der Arbeit vergißt sich der
Kummer. Geh hin!"


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[0383] Aarl Salzer Die Altweiblein sind neugierig und möchten gerne wissen, wie das ist mit der Tante Sette, die das erste aus dem Dorfe ausgewanderte Weibsbild sei. Hinausheiraten, das könnten sie ja verstehen, denn dann habe doch so ein Weibs¬ bild sein Auskommen. Aber ein ledig Weibsbild in der Fremde? Die Spelzheimer seien doch auch nicht wie die armen Odenwälder darauf angewiesen, ihre Töchter als Mägde in die Welt zu schicken, und jetzt gehe auf einmal die Sette auswärts. Eine ganze Revolution ist in den Seelchen der Altweiberchen über diese Tatsache, und Karl ist voller Erstaunen über die Hutzelchen. Ob sie denn auch auswandern wollten, weil sie alles so genau ausfragten? Hui jul, wie da die Drei in Aufregung geraten! Sie auswandern, wo sie es doch so gut hätten? Ganz leichte Arbeit hätten sie zu tun und bekämen so gut und so reichlich zu essen dafür! Nein, nein, die Hutzelchen wollen gewiß nicht fort. Die Auswanderung der Sette ist wie ein riesiger schwarzer Meteorstein in die siebenzigjähriger, schon halb wieder in Kindheit gesunkenen Seelen gefallen, und nun stehen sie davor und wissen ihn nicht mehr fortzubringen daraus, wiewohl ihr ganzes Sinnen und Denken sich dagegenstemmt. In die Unterhaltung der Viere poltert eine Stimme: „Na, ich hab gemeint, da tat einer beim Pfarrer hocken und tat dem einen Vortrag halten, und jetzert schwatzt er da mit den Hutzelcher, hä?" Hannes Holtner ist aus dein Wirtshaus heimgekehrt. Als Karl ihn hört, springt er auf. Hannes Holtner aber sagt: „Na, geh mal gleich mit herein und verzähl mir mal, was es mit dem Pfarrer geben hat!" Im Zimmer drückt er den Jungen wieder in den alten Lehnsessel und läßt ihn sprechen und hört seinem Schützling aufmerksam zu. „Hmhmhmmmm, hmhmhmmm, sosososo, kettet!" macht er zwischendurch manchmal. Als Karl seine Erzählung beendet und auch von dem guten Rate des Pfarrers gesprochen hat, fragt er: „Unkel Hannes, wie stellt Ihr Euch dazu?" „Da nutz man jetzert mal abwarten. Gehst morgen mal nauf zu der Hungels-Grek. Mal sehen, was du für Erfahrungen machst. Ich bin jetzt selber gespannt, wie sich dem Herr Pfarrer seine Quisselgarde verhält, bin kolossal gespannt!" „Unkel Hannes!" klagt der Bursche, „ich bin jetzert garnet mehr so zufrieden wie sonst!" „Weißt du, lieber Bub, da kann dir auch kein Mensch helfen!" entgegnet der Alte. „Du mußt dir vorstellen, daß dein Herz noch ist wie ein klein ungezogen Kind. Wenn die Mutter einmal nicht ist wie sonst aller Tag, wenn sie dem Kind mal kein Liedchen singt, macht's Kind ein verdrießlich Gesicht, läuft herum und mangelt. So geht's deinem Herz, wenn's aus dem Gleichgewicht kommt. Nur Geduld, wenn du mal noch ein bißchen älter bist, wird sich das alles schon finden. Jetzert geh naus und besorg die Gaul! In der Arbeit vergißt sich der Kummer. Geh hin!"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_322400/383>, abgerufen am 15.01.2025.