Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr.Die Sprache unserer Reichsgesetze Zu unseren ältesten Reichsgesetzen zählen das Handelsgesetzbuch und die Weiter ist das Strafgesetzbuch zu erwähnen. Auch seine Sprache ist im Zu den besten Leistungen der Gesctzessprache jener Zeit gehören die preu¬ Grenzboten IV 1912 4ö
Die Sprache unserer Reichsgesetze Zu unseren ältesten Reichsgesetzen zählen das Handelsgesetzbuch und die Weiter ist das Strafgesetzbuch zu erwähnen. Auch seine Sprache ist im Zu den besten Leistungen der Gesctzessprache jener Zeit gehören die preu¬ Grenzboten IV 1912 4ö
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0368" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/322770"/> <fw type="header" place="top"> Die Sprache unserer Reichsgesetze</fw><lb/> <p xml:id="ID_1759"> Zu unseren ältesten Reichsgesetzen zählen das Handelsgesetzbuch und die<lb/> Wechselordnung. Obwohl es auch hier in einzelnen nicht an sprachlichen Nach¬<lb/> lässigkeiten fehlt, ist die Sprache dieser Gesetze im ganzen sehr zu loben. Sie<lb/> ist anschaulich und klar und befindet sich im Einklang mit der Sprache des<lb/> Handelsverkehrs. Die spätere Fassung des Handelsgesetzbuches vom 10. Mai<lb/> 1897 hat die Gesetzessprache nicht verbessert. Namentlich der Abschnitt „Aktien¬<lb/> gesellschaften" ist unerfreulich, vor allem sehr schwerfällig und wenig anschaulich<lb/> geschrieben. In bezug auf die Reinheit der Sprache mußte das Handelsgesetz¬<lb/> buch besondere Zurückhaltung üben, weil viele der in der Handelswelt um¬<lb/> laufenden Fremdwörter fest eingebürgert sind und sich nicht ohne weiteres durch<lb/> Verdeutschungen ersetzen lassen, auch wenn diese an sich gut sind. Gerade in<lb/> diesem Punkte aber hat man bei der Neufassung der Wechselordnung vom<lb/> 30. Mai 1908 sehr gesündigt. Es wird es gewiß niemand verteidigen, daß<lb/> man bei der InterNationalität des Wechselverkehrs in unserem Gesetzbuch ein¬<lb/> gebürgerte Ausdrücke wie „Akzeptant", „Indossament", „Protest" u. a. durch<lb/> an sich vielleicht ganz gute Verdeutschungen ersetze. Denn die Gefahr, daß diese<lb/> Verdeutschungen nicht richtig verstanden werden und dann zu rechtlichen Weite¬<lb/> rungen Veranlassung geben, liegt nahe. Aber bei einer ganzen Menge von<lb/> Fremdwörtern, z. B. Regreß, Kopie, Provision, Legitimation usw. ist die Be¬<lb/> fürchtung überflüssig. Die Überschriften der beiden Gesetze hat man in zweck¬<lb/> mäßiger Weise in „Handelsgesetzbuch" und „Wechselordnung" gekürzt.</p><lb/> <p xml:id="ID_1760"> Weiter ist das Strafgesetzbuch zu erwähnen. Auch seine Sprache ist im<lb/> ganzen genommen nicht schlecht. Sie ist klar. Mit Fremdwörtern wird kein<lb/> verwerflicher Aufwand getrieben. Einzelne Paragraphen, wie z. B. die Begriffs¬<lb/> bestimmung des Versuchs 43), die des Betrugs mit ihrer vielgerügten Rede¬<lb/> wendung von der „Vorspiegelung falscher Tatsachen", sind wenig glücklich. Im<lb/> ganzen kündigt sich in diesem Gesetze bereits die spätere, farblose, abstrakte,<lb/> wenig anschauliche Ausdrucksweise der Gesetzessprache an; es überwiegt jedoch<lb/> noch die Ausdrucksweise, die in den Gesetzen aus der ersten Hälfte des neun¬<lb/> zehnten Jahrhunderts üblich ist.</p><lb/> <p xml:id="ID_1761" next="#ID_1762"> Zu den besten Leistungen der Gesctzessprache jener Zeit gehören die preu¬<lb/> ßischen kirchenpolitischen Gesetze ans dem Jahre 1873, die sogenannten Mai¬<lb/> gesetze. Mögen sonst die Anschauungen sehr darüber auseinandergehen, ob<lb/> diese Gesetze unserem Vaterlande zum Heile gereicht haben; in sprachlicher<lb/> Hinsicht verdienen sie uneingeschränktes Lob. Sie sind klar, knapp, rein, einfach<lb/> und natürlich in ihrer Ausdrucksweise. Fremdwörter sind nur spärlich ver¬<lb/> wendet. Ich möchte da z. B. darauf hinweisen, daß das Gesetz vom 12. Mai<lb/> 1873 über die kirchliche Disziplinargewalt einen „Gerichtshof für kirchliche<lb/> Angelegenheiten" kennt, während das einen ähnlichen Gegenstand behandelnde<lb/> Kirchengesetz vom 16. März 1910 einen Gerichtshof als „Spruchkollegium"<lb/> bezeichnet, obwohl der Ausdruck „Kollegium" längst aus unserer Gesetzessprache<lb/> verschwunden ist, und man recht gut „Spruchbehörde", „Spruchgericht" oder</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten IV 1912 4ö</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0368]
Die Sprache unserer Reichsgesetze
Zu unseren ältesten Reichsgesetzen zählen das Handelsgesetzbuch und die
Wechselordnung. Obwohl es auch hier in einzelnen nicht an sprachlichen Nach¬
lässigkeiten fehlt, ist die Sprache dieser Gesetze im ganzen sehr zu loben. Sie
ist anschaulich und klar und befindet sich im Einklang mit der Sprache des
Handelsverkehrs. Die spätere Fassung des Handelsgesetzbuches vom 10. Mai
1897 hat die Gesetzessprache nicht verbessert. Namentlich der Abschnitt „Aktien¬
gesellschaften" ist unerfreulich, vor allem sehr schwerfällig und wenig anschaulich
geschrieben. In bezug auf die Reinheit der Sprache mußte das Handelsgesetz¬
buch besondere Zurückhaltung üben, weil viele der in der Handelswelt um¬
laufenden Fremdwörter fest eingebürgert sind und sich nicht ohne weiteres durch
Verdeutschungen ersetzen lassen, auch wenn diese an sich gut sind. Gerade in
diesem Punkte aber hat man bei der Neufassung der Wechselordnung vom
30. Mai 1908 sehr gesündigt. Es wird es gewiß niemand verteidigen, daß
man bei der InterNationalität des Wechselverkehrs in unserem Gesetzbuch ein¬
gebürgerte Ausdrücke wie „Akzeptant", „Indossament", „Protest" u. a. durch
an sich vielleicht ganz gute Verdeutschungen ersetze. Denn die Gefahr, daß diese
Verdeutschungen nicht richtig verstanden werden und dann zu rechtlichen Weite¬
rungen Veranlassung geben, liegt nahe. Aber bei einer ganzen Menge von
Fremdwörtern, z. B. Regreß, Kopie, Provision, Legitimation usw. ist die Be¬
fürchtung überflüssig. Die Überschriften der beiden Gesetze hat man in zweck¬
mäßiger Weise in „Handelsgesetzbuch" und „Wechselordnung" gekürzt.
Weiter ist das Strafgesetzbuch zu erwähnen. Auch seine Sprache ist im
ganzen genommen nicht schlecht. Sie ist klar. Mit Fremdwörtern wird kein
verwerflicher Aufwand getrieben. Einzelne Paragraphen, wie z. B. die Begriffs¬
bestimmung des Versuchs 43), die des Betrugs mit ihrer vielgerügten Rede¬
wendung von der „Vorspiegelung falscher Tatsachen", sind wenig glücklich. Im
ganzen kündigt sich in diesem Gesetze bereits die spätere, farblose, abstrakte,
wenig anschauliche Ausdrucksweise der Gesetzessprache an; es überwiegt jedoch
noch die Ausdrucksweise, die in den Gesetzen aus der ersten Hälfte des neun¬
zehnten Jahrhunderts üblich ist.
Zu den besten Leistungen der Gesctzessprache jener Zeit gehören die preu¬
ßischen kirchenpolitischen Gesetze ans dem Jahre 1873, die sogenannten Mai¬
gesetze. Mögen sonst die Anschauungen sehr darüber auseinandergehen, ob
diese Gesetze unserem Vaterlande zum Heile gereicht haben; in sprachlicher
Hinsicht verdienen sie uneingeschränktes Lob. Sie sind klar, knapp, rein, einfach
und natürlich in ihrer Ausdrucksweise. Fremdwörter sind nur spärlich ver¬
wendet. Ich möchte da z. B. darauf hinweisen, daß das Gesetz vom 12. Mai
1873 über die kirchliche Disziplinargewalt einen „Gerichtshof für kirchliche
Angelegenheiten" kennt, während das einen ähnlichen Gegenstand behandelnde
Kirchengesetz vom 16. März 1910 einen Gerichtshof als „Spruchkollegium"
bezeichnet, obwohl der Ausdruck „Kollegium" längst aus unserer Gesetzessprache
verschwunden ist, und man recht gut „Spruchbehörde", „Spruchgericht" oder
Grenzboten IV 1912 4ö
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