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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr.

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Die Sprache unserer Reichsgesetze

Betracht kommende Gesetzeswerk, das Bürgerliche Gesetzbuch, nicht nur mehrere
treffliche Einzelschriften besitzen, die sich in eingehender Weise mit seiner sprach¬
lichen Fassung beschäftigen, sondern auch in einer Reihe von Zeitschriften, z. B.
der Deutschen Juristenzeitung, den Grenzboten, dem Gerichtssaal, Gesetz und Recht
und namentlich in der Zeitschrift des Allgemeinen Deutschen Sprachvereins die
Sprache unserer Gesetze, zumal die der neuesten Gesetze, öfter Gegenstand von
Abhandlungen gewesen ist. Außerdem würde eine derartige eingehende Einzel¬
prüfung unausbleiblich in juristisches Fachwerk hinüberführen. Es kann sich
also nur darum handeln, in großen, allgemeinen Zügen und einfachen Um¬
rissen ein Bild der Entwicklung unserer Gesetzessprache während der letzten fünfzig
Jahre zu zeichnen, unter besonderer Berücksichtigung einzelner wichtigerer Gesetze,
wobei vielleicht zur Belebung des Ganzen vereinzelt Streiflichter auf diese oder
jene Sonderbestimmung fallen können.

Die Reichsjustizgesetze und das Bürgerliche Gesetzbuch mit seinen Neben¬
gesetzen bilden Marksteine in der Geschichte der deutschen Gesetzgebung nicht nur
in rechtlicher, sondern auch in sprachlicher Hinsicht. Diese Gesetzeswerke teilen
daher die Entwicklung der neueren Gesetzessprache in drei Abschnitte, deren
erster also von der Reichsgründung bis zum Jahre 1879 geht, während der
zweite die Zeit von 1879 bis 1900, der dritte die vom Jahre 1900 bis zur
Gegenwart umfassen würde. Die Gesetzessprache in der ersten Hälfte des neun¬
zehnten Jahrhunderts zeichnet sich durch eine gewisse Einfachheit und Schlichtheit
des Ausdrucks aus, während es ihr auf der anderen Seite an Genauigkeit und
Sorgfalt fehlt. Die Sprache des Gesetzgebers steht der allgemeinen Ausdrucks¬
weise näher als in unseren Tagen. Dann wird in der zweiten Hälfte des
neunzehnten Jahrhunderts die Gesetzessprache immer blasser, farbloser und
unpersönlicher.

Die Verfassung des Deutschen Reiches ist nicht das älteste unserer Reichs¬
gesetze, aber sie verdient dennoch an erster Stelle genannt zu werden.
In sprachlicher Hinsicht allerdings kann sie keinen Anspruch darauf machen,
ein hervorragendes Werk zu sein. In bezug auf die Reinheit der Sprache
fallen namentlich die vielen nicht nur leicht entbehrlichen, sondern auch
recht unschönen Fremdwörter unangenehm auf: Jndigenat, Exekution, Kom¬
petenz, Petitionen, Legislaturperiode, Finalabschlüsse, Kriegsmarine, Friedens¬
präsenzstärke, Aversum und viele andere. Wenn in Artikel 19 gesagt wird,
daß eine "Exekution" vom Kaiser zu "vollstrecken" sei, so beweist das ebenso
wie ähnliche Nachlässigkeiten, daß man der sprachlichen Fassung dieses Grund¬
pfeilers unserer Gesetzgebung keine sonderliche Beachtung geschenkt hat. Gleich¬
wohl ist die Reichsverfassung kein sprachlich schlechtes Gesetz. Die knappe,
bestimmte Ausdrucksweise gefällt. Die Paragraphen sind überwiegend kurz, die
längeren sind in kurze Abschnitte eingeteilt, was nicht nur angenehm zum Auge
spricht, sondern auch die Klarheit und Anschaulichkeit der Sprache des Gesetzes
fördert, dessen Gegenstand recht spröde ist.


Die Sprache unserer Reichsgesetze

Betracht kommende Gesetzeswerk, das Bürgerliche Gesetzbuch, nicht nur mehrere
treffliche Einzelschriften besitzen, die sich in eingehender Weise mit seiner sprach¬
lichen Fassung beschäftigen, sondern auch in einer Reihe von Zeitschriften, z. B.
der Deutschen Juristenzeitung, den Grenzboten, dem Gerichtssaal, Gesetz und Recht
und namentlich in der Zeitschrift des Allgemeinen Deutschen Sprachvereins die
Sprache unserer Gesetze, zumal die der neuesten Gesetze, öfter Gegenstand von
Abhandlungen gewesen ist. Außerdem würde eine derartige eingehende Einzel¬
prüfung unausbleiblich in juristisches Fachwerk hinüberführen. Es kann sich
also nur darum handeln, in großen, allgemeinen Zügen und einfachen Um¬
rissen ein Bild der Entwicklung unserer Gesetzessprache während der letzten fünfzig
Jahre zu zeichnen, unter besonderer Berücksichtigung einzelner wichtigerer Gesetze,
wobei vielleicht zur Belebung des Ganzen vereinzelt Streiflichter auf diese oder
jene Sonderbestimmung fallen können.

Die Reichsjustizgesetze und das Bürgerliche Gesetzbuch mit seinen Neben¬
gesetzen bilden Marksteine in der Geschichte der deutschen Gesetzgebung nicht nur
in rechtlicher, sondern auch in sprachlicher Hinsicht. Diese Gesetzeswerke teilen
daher die Entwicklung der neueren Gesetzessprache in drei Abschnitte, deren
erster also von der Reichsgründung bis zum Jahre 1879 geht, während der
zweite die Zeit von 1879 bis 1900, der dritte die vom Jahre 1900 bis zur
Gegenwart umfassen würde. Die Gesetzessprache in der ersten Hälfte des neun¬
zehnten Jahrhunderts zeichnet sich durch eine gewisse Einfachheit und Schlichtheit
des Ausdrucks aus, während es ihr auf der anderen Seite an Genauigkeit und
Sorgfalt fehlt. Die Sprache des Gesetzgebers steht der allgemeinen Ausdrucks¬
weise näher als in unseren Tagen. Dann wird in der zweiten Hälfte des
neunzehnten Jahrhunderts die Gesetzessprache immer blasser, farbloser und
unpersönlicher.

Die Verfassung des Deutschen Reiches ist nicht das älteste unserer Reichs¬
gesetze, aber sie verdient dennoch an erster Stelle genannt zu werden.
In sprachlicher Hinsicht allerdings kann sie keinen Anspruch darauf machen,
ein hervorragendes Werk zu sein. In bezug auf die Reinheit der Sprache
fallen namentlich die vielen nicht nur leicht entbehrlichen, sondern auch
recht unschönen Fremdwörter unangenehm auf: Jndigenat, Exekution, Kom¬
petenz, Petitionen, Legislaturperiode, Finalabschlüsse, Kriegsmarine, Friedens¬
präsenzstärke, Aversum und viele andere. Wenn in Artikel 19 gesagt wird,
daß eine „Exekution" vom Kaiser zu „vollstrecken" sei, so beweist das ebenso
wie ähnliche Nachlässigkeiten, daß man der sprachlichen Fassung dieses Grund¬
pfeilers unserer Gesetzgebung keine sonderliche Beachtung geschenkt hat. Gleich¬
wohl ist die Reichsverfassung kein sprachlich schlechtes Gesetz. Die knappe,
bestimmte Ausdrucksweise gefällt. Die Paragraphen sind überwiegend kurz, die
längeren sind in kurze Abschnitte eingeteilt, was nicht nur angenehm zum Auge
spricht, sondern auch die Klarheit und Anschaulichkeit der Sprache des Gesetzes
fördert, dessen Gegenstand recht spröde ist.


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[0367] Die Sprache unserer Reichsgesetze Betracht kommende Gesetzeswerk, das Bürgerliche Gesetzbuch, nicht nur mehrere treffliche Einzelschriften besitzen, die sich in eingehender Weise mit seiner sprach¬ lichen Fassung beschäftigen, sondern auch in einer Reihe von Zeitschriften, z. B. der Deutschen Juristenzeitung, den Grenzboten, dem Gerichtssaal, Gesetz und Recht und namentlich in der Zeitschrift des Allgemeinen Deutschen Sprachvereins die Sprache unserer Gesetze, zumal die der neuesten Gesetze, öfter Gegenstand von Abhandlungen gewesen ist. Außerdem würde eine derartige eingehende Einzel¬ prüfung unausbleiblich in juristisches Fachwerk hinüberführen. Es kann sich also nur darum handeln, in großen, allgemeinen Zügen und einfachen Um¬ rissen ein Bild der Entwicklung unserer Gesetzessprache während der letzten fünfzig Jahre zu zeichnen, unter besonderer Berücksichtigung einzelner wichtigerer Gesetze, wobei vielleicht zur Belebung des Ganzen vereinzelt Streiflichter auf diese oder jene Sonderbestimmung fallen können. Die Reichsjustizgesetze und das Bürgerliche Gesetzbuch mit seinen Neben¬ gesetzen bilden Marksteine in der Geschichte der deutschen Gesetzgebung nicht nur in rechtlicher, sondern auch in sprachlicher Hinsicht. Diese Gesetzeswerke teilen daher die Entwicklung der neueren Gesetzessprache in drei Abschnitte, deren erster also von der Reichsgründung bis zum Jahre 1879 geht, während der zweite die Zeit von 1879 bis 1900, der dritte die vom Jahre 1900 bis zur Gegenwart umfassen würde. Die Gesetzessprache in der ersten Hälfte des neun¬ zehnten Jahrhunderts zeichnet sich durch eine gewisse Einfachheit und Schlichtheit des Ausdrucks aus, während es ihr auf der anderen Seite an Genauigkeit und Sorgfalt fehlt. Die Sprache des Gesetzgebers steht der allgemeinen Ausdrucks¬ weise näher als in unseren Tagen. Dann wird in der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts die Gesetzessprache immer blasser, farbloser und unpersönlicher. Die Verfassung des Deutschen Reiches ist nicht das älteste unserer Reichs¬ gesetze, aber sie verdient dennoch an erster Stelle genannt zu werden. In sprachlicher Hinsicht allerdings kann sie keinen Anspruch darauf machen, ein hervorragendes Werk zu sein. In bezug auf die Reinheit der Sprache fallen namentlich die vielen nicht nur leicht entbehrlichen, sondern auch recht unschönen Fremdwörter unangenehm auf: Jndigenat, Exekution, Kom¬ petenz, Petitionen, Legislaturperiode, Finalabschlüsse, Kriegsmarine, Friedens¬ präsenzstärke, Aversum und viele andere. Wenn in Artikel 19 gesagt wird, daß eine „Exekution" vom Kaiser zu „vollstrecken" sei, so beweist das ebenso wie ähnliche Nachlässigkeiten, daß man der sprachlichen Fassung dieses Grund¬ pfeilers unserer Gesetzgebung keine sonderliche Beachtung geschenkt hat. Gleich¬ wohl ist die Reichsverfassung kein sprachlich schlechtes Gesetz. Die knappe, bestimmte Ausdrucksweise gefällt. Die Paragraphen sind überwiegend kurz, die längeren sind in kurze Abschnitte eingeteilt, was nicht nur angenehm zum Auge spricht, sondern auch die Klarheit und Anschaulichkeit der Sprache des Gesetzes fördert, dessen Gegenstand recht spröde ist.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_322400/367>, abgerufen am 15.01.2025.