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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr.

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Griechisch-orthodoxe und römisch-katholische Kirche

dem Zweiten die Lehren des Protestantismus ausführlich dar. Die Antwort
des Patriarchen vom Jahre 1575 fiel so aus, wie sie in allen Punkten ein
römischer Bischof nicht anders hätte geben können. So tadelt er zunächst,
daß die Protestanten das Dogma der nicänischen und konstantinopolitanischen
Synode vom Ausgang des Geistes allein vom Vater nicht annehmen wollten.
In der Rechtfertigungslehre aber verteidigt er mit Entschiedenheit die Werke
neben dem Glauben, hält an der Siebenzahl der Sakramente und besonders
an der Lehre vom Abendmahl fest. Desgleichen verteidigte er das Gebet für
die Verstorbenen und die Verehrung der Heiligen, trat nachdrücklich für die
Institution des Mönchtums ein und verwarf die lutherische Lehre von der
Willensfreiheit. Die Protestanten mußten erkennen, daß die griechische Kirche
in allen Grundfragen auf dem Standpunkte der römischen stehe. Als trotzdem
Lucas Osiander ausführlich antwortete, brach der Patriarch die Verhandlungen
ab mit der Begründung, eine Verständigung halte er für vollkommen aus¬
geschlossen.

Seitdem ist der Gedanke einer Union zwischen den orthodoxen und pro¬
testantischen Kirchen nie wieder ernstlich erwogen worden; erst 1873 und 1874
fanden unter dem unmittelbaren Eindruck des Vatikanischen Konzils zwischen
den Führern der anglikanischen und Vertretern der orthodoxen Kirche aus
Rußland, Griechenland und den übrigen Balkanländern in Bonn Verhand¬
lungen statt; allein wieder stellte sich die absolute Unmöglichkeit jeder Ver¬
ständigung heraus. Auch hat die protestantische Kirche niemals eine Pro-
paganda für eine Einigung im großen Stil entfaltet, während der Eifer
der katholischen Kirche für die Union niemals aufgehört hat. Dabei ist es höchst
bemerkenswert, daß die Werbungen ausschließlich von Rom ausgehen.




In der orthodoxen Welt sind in den letzten drei Jahrhunderten weder in der
Kirche Rußlands noch in den Kirchen des Königreichs Griechenland und des
übrigen Orients irgendwelche Bestrebungen zu erkennen, die aus eigenem Antriebe
auf eine Beseitigung der trennenden Schranken hinarbeiteten; jedenfalls sind
die offiziellen Kirchen allen derartigen Gedanken einzelner immer ferngeblieben.
Und doch befand sich die Kirche der Griechen unter der Herrschaft der Türken
in der denkbar unseligsten und gedrücktesten Lage. Sie hat in jenen Zeiten eine
Wärme des Glaubens und eine Kraft des Martyriums bewiesen, in denen
allein schon die allergünstigste Voraussetzung für eine Verständigung mit der
freien und mächtigen Kirche hätte liegen müssen; in der Tat aber sehen wir,
daß die UnionsVerhandlungen eben dann aufhören, als die griechische Kirche sich
nicht mehr des Schutzes eines freien Staates erfreut. Die letzten byzantinischen
Kaiser betrieben die Union aus politischen Erwägungen, um Schutz gegen die
Türken zu finden; mit dem Falle von Konstantinopel, mit dem Einzug der
Türken in die Hagia Sofia, mit dem Beginn der Unterdrückung der orthodoxen


Griechisch-orthodoxe und römisch-katholische Kirche

dem Zweiten die Lehren des Protestantismus ausführlich dar. Die Antwort
des Patriarchen vom Jahre 1575 fiel so aus, wie sie in allen Punkten ein
römischer Bischof nicht anders hätte geben können. So tadelt er zunächst,
daß die Protestanten das Dogma der nicänischen und konstantinopolitanischen
Synode vom Ausgang des Geistes allein vom Vater nicht annehmen wollten.
In der Rechtfertigungslehre aber verteidigt er mit Entschiedenheit die Werke
neben dem Glauben, hält an der Siebenzahl der Sakramente und besonders
an der Lehre vom Abendmahl fest. Desgleichen verteidigte er das Gebet für
die Verstorbenen und die Verehrung der Heiligen, trat nachdrücklich für die
Institution des Mönchtums ein und verwarf die lutherische Lehre von der
Willensfreiheit. Die Protestanten mußten erkennen, daß die griechische Kirche
in allen Grundfragen auf dem Standpunkte der römischen stehe. Als trotzdem
Lucas Osiander ausführlich antwortete, brach der Patriarch die Verhandlungen
ab mit der Begründung, eine Verständigung halte er für vollkommen aus¬
geschlossen.

Seitdem ist der Gedanke einer Union zwischen den orthodoxen und pro¬
testantischen Kirchen nie wieder ernstlich erwogen worden; erst 1873 und 1874
fanden unter dem unmittelbaren Eindruck des Vatikanischen Konzils zwischen
den Führern der anglikanischen und Vertretern der orthodoxen Kirche aus
Rußland, Griechenland und den übrigen Balkanländern in Bonn Verhand¬
lungen statt; allein wieder stellte sich die absolute Unmöglichkeit jeder Ver¬
ständigung heraus. Auch hat die protestantische Kirche niemals eine Pro-
paganda für eine Einigung im großen Stil entfaltet, während der Eifer
der katholischen Kirche für die Union niemals aufgehört hat. Dabei ist es höchst
bemerkenswert, daß die Werbungen ausschließlich von Rom ausgehen.




In der orthodoxen Welt sind in den letzten drei Jahrhunderten weder in der
Kirche Rußlands noch in den Kirchen des Königreichs Griechenland und des
übrigen Orients irgendwelche Bestrebungen zu erkennen, die aus eigenem Antriebe
auf eine Beseitigung der trennenden Schranken hinarbeiteten; jedenfalls sind
die offiziellen Kirchen allen derartigen Gedanken einzelner immer ferngeblieben.
Und doch befand sich die Kirche der Griechen unter der Herrschaft der Türken
in der denkbar unseligsten und gedrücktesten Lage. Sie hat in jenen Zeiten eine
Wärme des Glaubens und eine Kraft des Martyriums bewiesen, in denen
allein schon die allergünstigste Voraussetzung für eine Verständigung mit der
freien und mächtigen Kirche hätte liegen müssen; in der Tat aber sehen wir,
daß die UnionsVerhandlungen eben dann aufhören, als die griechische Kirche sich
nicht mehr des Schutzes eines freien Staates erfreut. Die letzten byzantinischen
Kaiser betrieben die Union aus politischen Erwägungen, um Schutz gegen die
Türken zu finden; mit dem Falle von Konstantinopel, mit dem Einzug der
Türken in die Hagia Sofia, mit dem Beginn der Unterdrückung der orthodoxen


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[0359] Griechisch-orthodoxe und römisch-katholische Kirche dem Zweiten die Lehren des Protestantismus ausführlich dar. Die Antwort des Patriarchen vom Jahre 1575 fiel so aus, wie sie in allen Punkten ein römischer Bischof nicht anders hätte geben können. So tadelt er zunächst, daß die Protestanten das Dogma der nicänischen und konstantinopolitanischen Synode vom Ausgang des Geistes allein vom Vater nicht annehmen wollten. In der Rechtfertigungslehre aber verteidigt er mit Entschiedenheit die Werke neben dem Glauben, hält an der Siebenzahl der Sakramente und besonders an der Lehre vom Abendmahl fest. Desgleichen verteidigte er das Gebet für die Verstorbenen und die Verehrung der Heiligen, trat nachdrücklich für die Institution des Mönchtums ein und verwarf die lutherische Lehre von der Willensfreiheit. Die Protestanten mußten erkennen, daß die griechische Kirche in allen Grundfragen auf dem Standpunkte der römischen stehe. Als trotzdem Lucas Osiander ausführlich antwortete, brach der Patriarch die Verhandlungen ab mit der Begründung, eine Verständigung halte er für vollkommen aus¬ geschlossen. Seitdem ist der Gedanke einer Union zwischen den orthodoxen und pro¬ testantischen Kirchen nie wieder ernstlich erwogen worden; erst 1873 und 1874 fanden unter dem unmittelbaren Eindruck des Vatikanischen Konzils zwischen den Führern der anglikanischen und Vertretern der orthodoxen Kirche aus Rußland, Griechenland und den übrigen Balkanländern in Bonn Verhand¬ lungen statt; allein wieder stellte sich die absolute Unmöglichkeit jeder Ver¬ ständigung heraus. Auch hat die protestantische Kirche niemals eine Pro- paganda für eine Einigung im großen Stil entfaltet, während der Eifer der katholischen Kirche für die Union niemals aufgehört hat. Dabei ist es höchst bemerkenswert, daß die Werbungen ausschließlich von Rom ausgehen. In der orthodoxen Welt sind in den letzten drei Jahrhunderten weder in der Kirche Rußlands noch in den Kirchen des Königreichs Griechenland und des übrigen Orients irgendwelche Bestrebungen zu erkennen, die aus eigenem Antriebe auf eine Beseitigung der trennenden Schranken hinarbeiteten; jedenfalls sind die offiziellen Kirchen allen derartigen Gedanken einzelner immer ferngeblieben. Und doch befand sich die Kirche der Griechen unter der Herrschaft der Türken in der denkbar unseligsten und gedrücktesten Lage. Sie hat in jenen Zeiten eine Wärme des Glaubens und eine Kraft des Martyriums bewiesen, in denen allein schon die allergünstigste Voraussetzung für eine Verständigung mit der freien und mächtigen Kirche hätte liegen müssen; in der Tat aber sehen wir, daß die UnionsVerhandlungen eben dann aufhören, als die griechische Kirche sich nicht mehr des Schutzes eines freien Staates erfreut. Die letzten byzantinischen Kaiser betrieben die Union aus politischen Erwägungen, um Schutz gegen die Türken zu finden; mit dem Falle von Konstantinopel, mit dem Einzug der Türken in die Hagia Sofia, mit dem Beginn der Unterdrückung der orthodoxen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_322400/359>, abgerufen am 15.01.2025.