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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr.

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Griechisch-orthodoxe und römisch-katholische Kirche

lehrer Johannes von Damaskus hatte ihrer Theologie die letzte abschließende
Formulierung gegeben. Seitdem hat sich das griechische Dogma nicht mehr
entwickelt. In der lateinischen, römischen Kirche aber beginnt die große
theologische Entwicklung erst seit der Trennung von Konstantinopel: erst die
Scholastik hat das theologische System der römischen Kirche ausgebildet, das
im Tridentinum für immer festgelegt worden ist. Diese Feststellung erklärt
ausreichend, warum seitdem nie eine Einigung mehr erfolgt, vielmehr die
Trennung von Jahrhundert zu Jahrhundert größer geworden ist. >




Unter den jetzt gegebenen historischen Voraussetzungen scheint eine Einigung
in dem einen dogmatischen Punkte vollständig ausgeschlossen.

Wohl kam formal noch in den Tagen von Johannes Bekkos eine
Union zustande: 1274 wurde sie auf dem Konzil von Lyon durch die
Abgesandten des Kaisers Michael dem Achten Palaiologos beschworen. Aber
von welchem Geiste derartige Abmachungen eingegeben und getragen waren,
lehren die Werke des Führers jener Gesandtschaft, des Georgios Akropolites.
"Höret mich aut" ruft er in einer seiner Schriften den Lateinern zu,
"Warum streiten wir um theologische Fragen? Warum erkennen wir uns
nicht einfach als Menschen an, sondern bilden uns ein, wir müßten von
göttlicher Natur sein, die über den Himmeln thront? O, wir Toren!
Wir unterlassen es, unsere menschlichen Dinge einfach zu betreiben, und
streben nach der Natur der Cherubim; wir lassen ab, einfach die sittlichen
Gebote zu beobachten und haben es vorgezogen zu theologisieren; anstatt
uns in die Geheimnisse der Natur und des körperlichen Lebens zu vertiefen
und über unsere Sittlichkeit nachzudenken, sind wir zu Theologen geworden."
Man glaubt hier kaum einen Byzantiner zu hören. Denn das sind nicht die
Gedanken eines Freundes oder Gegners der Kirchenunion, sondern es sind die
Erwägungen eines Rationalisten. Akropolites steht freilich in der Geschichte
des byzantinischen Geisteslebens nicht allein. Es gehört zu den seltsamsten
Eigentümlichkeiten dieser uns noch in so vieler Beziehung verschleierten und
geheimnisvollen byzantinischen Kultur, daß neben der ausgeprägtesten Kirch¬
lichkeit alles geistigen Lebens doch seit dem zehnten Jahrhundert etwa, seit dem
Wiedererwachen des Humanismus, auch der Rationalismus auftaucht, allerdings
nur in wenigen Köpfen, selten deutlich faßbar, aber zu aller Zeit bis ins fünfzehnte
Jahrhundert wahrzunehmen und doch nie ganz identisch mit jenem Humanismus,
den die Mehrzahl der byzantinischen Gelehrten sehr wohl mit strenger Kirchlichkeit
zu vereinigen wußten. In Byzanz hat es mehr als einen Erasmus gegeben.

Eine Union aber auf dieser im Rationalismus beruhenden Grundlage
kann naturgemäß nicht bestehen, ebensowenig wie sie denkbar ist auf der Grund¬
lage eines gegenseitigen Duldens aller Besonderheiten, so daß die Union nichts
wäre als eine Äußerlichkeit. Solche jetzt wieder empfohlene Vogel-Strauß-Politik


Griechisch-orthodoxe und römisch-katholische Kirche

lehrer Johannes von Damaskus hatte ihrer Theologie die letzte abschließende
Formulierung gegeben. Seitdem hat sich das griechische Dogma nicht mehr
entwickelt. In der lateinischen, römischen Kirche aber beginnt die große
theologische Entwicklung erst seit der Trennung von Konstantinopel: erst die
Scholastik hat das theologische System der römischen Kirche ausgebildet, das
im Tridentinum für immer festgelegt worden ist. Diese Feststellung erklärt
ausreichend, warum seitdem nie eine Einigung mehr erfolgt, vielmehr die
Trennung von Jahrhundert zu Jahrhundert größer geworden ist. >




Unter den jetzt gegebenen historischen Voraussetzungen scheint eine Einigung
in dem einen dogmatischen Punkte vollständig ausgeschlossen.

Wohl kam formal noch in den Tagen von Johannes Bekkos eine
Union zustande: 1274 wurde sie auf dem Konzil von Lyon durch die
Abgesandten des Kaisers Michael dem Achten Palaiologos beschworen. Aber
von welchem Geiste derartige Abmachungen eingegeben und getragen waren,
lehren die Werke des Führers jener Gesandtschaft, des Georgios Akropolites.
„Höret mich aut" ruft er in einer seiner Schriften den Lateinern zu,
„Warum streiten wir um theologische Fragen? Warum erkennen wir uns
nicht einfach als Menschen an, sondern bilden uns ein, wir müßten von
göttlicher Natur sein, die über den Himmeln thront? O, wir Toren!
Wir unterlassen es, unsere menschlichen Dinge einfach zu betreiben, und
streben nach der Natur der Cherubim; wir lassen ab, einfach die sittlichen
Gebote zu beobachten und haben es vorgezogen zu theologisieren; anstatt
uns in die Geheimnisse der Natur und des körperlichen Lebens zu vertiefen
und über unsere Sittlichkeit nachzudenken, sind wir zu Theologen geworden."
Man glaubt hier kaum einen Byzantiner zu hören. Denn das sind nicht die
Gedanken eines Freundes oder Gegners der Kirchenunion, sondern es sind die
Erwägungen eines Rationalisten. Akropolites steht freilich in der Geschichte
des byzantinischen Geisteslebens nicht allein. Es gehört zu den seltsamsten
Eigentümlichkeiten dieser uns noch in so vieler Beziehung verschleierten und
geheimnisvollen byzantinischen Kultur, daß neben der ausgeprägtesten Kirch¬
lichkeit alles geistigen Lebens doch seit dem zehnten Jahrhundert etwa, seit dem
Wiedererwachen des Humanismus, auch der Rationalismus auftaucht, allerdings
nur in wenigen Köpfen, selten deutlich faßbar, aber zu aller Zeit bis ins fünfzehnte
Jahrhundert wahrzunehmen und doch nie ganz identisch mit jenem Humanismus,
den die Mehrzahl der byzantinischen Gelehrten sehr wohl mit strenger Kirchlichkeit
zu vereinigen wußten. In Byzanz hat es mehr als einen Erasmus gegeben.

Eine Union aber auf dieser im Rationalismus beruhenden Grundlage
kann naturgemäß nicht bestehen, ebensowenig wie sie denkbar ist auf der Grund¬
lage eines gegenseitigen Duldens aller Besonderheiten, so daß die Union nichts
wäre als eine Äußerlichkeit. Solche jetzt wieder empfohlene Vogel-Strauß-Politik


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[0356] Griechisch-orthodoxe und römisch-katholische Kirche lehrer Johannes von Damaskus hatte ihrer Theologie die letzte abschließende Formulierung gegeben. Seitdem hat sich das griechische Dogma nicht mehr entwickelt. In der lateinischen, römischen Kirche aber beginnt die große theologische Entwicklung erst seit der Trennung von Konstantinopel: erst die Scholastik hat das theologische System der römischen Kirche ausgebildet, das im Tridentinum für immer festgelegt worden ist. Diese Feststellung erklärt ausreichend, warum seitdem nie eine Einigung mehr erfolgt, vielmehr die Trennung von Jahrhundert zu Jahrhundert größer geworden ist. > Unter den jetzt gegebenen historischen Voraussetzungen scheint eine Einigung in dem einen dogmatischen Punkte vollständig ausgeschlossen. Wohl kam formal noch in den Tagen von Johannes Bekkos eine Union zustande: 1274 wurde sie auf dem Konzil von Lyon durch die Abgesandten des Kaisers Michael dem Achten Palaiologos beschworen. Aber von welchem Geiste derartige Abmachungen eingegeben und getragen waren, lehren die Werke des Führers jener Gesandtschaft, des Georgios Akropolites. „Höret mich aut" ruft er in einer seiner Schriften den Lateinern zu, „Warum streiten wir um theologische Fragen? Warum erkennen wir uns nicht einfach als Menschen an, sondern bilden uns ein, wir müßten von göttlicher Natur sein, die über den Himmeln thront? O, wir Toren! Wir unterlassen es, unsere menschlichen Dinge einfach zu betreiben, und streben nach der Natur der Cherubim; wir lassen ab, einfach die sittlichen Gebote zu beobachten und haben es vorgezogen zu theologisieren; anstatt uns in die Geheimnisse der Natur und des körperlichen Lebens zu vertiefen und über unsere Sittlichkeit nachzudenken, sind wir zu Theologen geworden." Man glaubt hier kaum einen Byzantiner zu hören. Denn das sind nicht die Gedanken eines Freundes oder Gegners der Kirchenunion, sondern es sind die Erwägungen eines Rationalisten. Akropolites steht freilich in der Geschichte des byzantinischen Geisteslebens nicht allein. Es gehört zu den seltsamsten Eigentümlichkeiten dieser uns noch in so vieler Beziehung verschleierten und geheimnisvollen byzantinischen Kultur, daß neben der ausgeprägtesten Kirch¬ lichkeit alles geistigen Lebens doch seit dem zehnten Jahrhundert etwa, seit dem Wiedererwachen des Humanismus, auch der Rationalismus auftaucht, allerdings nur in wenigen Köpfen, selten deutlich faßbar, aber zu aller Zeit bis ins fünfzehnte Jahrhundert wahrzunehmen und doch nie ganz identisch mit jenem Humanismus, den die Mehrzahl der byzantinischen Gelehrten sehr wohl mit strenger Kirchlichkeit zu vereinigen wußten. In Byzanz hat es mehr als einen Erasmus gegeben. Eine Union aber auf dieser im Rationalismus beruhenden Grundlage kann naturgemäß nicht bestehen, ebensowenig wie sie denkbar ist auf der Grund¬ lage eines gegenseitigen Duldens aller Besonderheiten, so daß die Union nichts wäre als eine Äußerlichkeit. Solche jetzt wieder empfohlene Vogel-Strauß-Politik

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_322400/356>, abgerufen am 15.01.2025.