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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr.

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Griechisch-orthodoxe und römisch-katholische Kirche

beruhen auf Photios' Enzyklika. Photios und mit ihm die griechisch-orthodoxe
Kirche lehren noch heute, daß der Geist vom Vater ausgehe, in ihm also den
Ursprung seiner Wirksamkeit habe; die römische lehrt das Ausgehen des Geistes
vom Vater und dem Sohn, ex patre kilioquo. Und um dieses Wörtchen
Mioqus sind Ströme Blutes geflossen, haben Tausende freiwillig die Ver¬
bannung auf sich genommen I Um dieses Wörtchens willen, das die römische
Kirche in ihr Glaubensbekenntnis aufgenommen hat, ist der christliche Orient
dem Mohammedanismus und der Türkenherrschaft preisgegeben worden!




Das ist bis jetzt nahezu die allgemeine Annahme der Kirchen- und Dogmen¬
geschichte. Soll man wirklich in dieser dogmatischen Differenz die letzte Ursache
der Trennung der östlichen von der abendländischen Kirche erblicken?

Wie die Gegner Roms die Frage beleuchten, erscheint sie freilich wichtig
genug. Die Lehre der Lateiner, sagen sie, nimmt einen zweimaligen Ausgang
des Geistes aus der Trinität an, sie löse die Einheit des Gottesbegriffs auf,
in dem sie zwei Ursachen in der Trinität annimmt, Vater und Sohn; damit
sei die Einheit des Gottesbegriffs zerstört und die Grundlehre des Christentums
zum Polytheismus degradiert.

Eine Einigung der kirchlichen Anschauungen ist hier in der Tat vollkommen
ausgeschlossen. Auch Prinz Max von Sachsen hat in seiner bekannten Schrift eine
überbrückung dieser Kluft nicht vorzuschlagen gewußt. Aber in einer Beziehung
hat er zweifellos recht gehabt: es läßt sich nicht bestreiten, daß das lateinische
Dogma nur die Fortentwicklung einer schon bei den Kirchenvätern vorliegenden
dogmatischen Anschauung ist. Vater und Sohn sind stets als ein einziges
Prinzip des Geistes anerkannt worden. Sie senden auch nach der Lehre der
Väter den Geist nicht aus, insofern sie als Vater und Sohn verschieden,
sondern insofern sie durchaus als ein einziges Wesen und als eine einzige Kraft
wirksam sind. Mit Recht konnte also die römische Kirche darauf hinweisen,
daß der Zusatz kilioque keine prinzipielle Neuordnung schaffe, sondern nur
klarer zum Ausdruck bringe, was alte Kirchenlehre sei, da der Vater den Geist
nicht äusserte, insofern er Vater, des Sohnes Erzeuger sei, sondern insofern
er eine Person der unteilbaren Trinität sei, ebenso wie der Sohn. Anderseits
waren die Griechen im Recht mit ihrer Behauptung, der Zusatz stelle formal
eine dogmatische Neuerung dar; denn keine der sieben ökumenischen Synoden,
deren Entscheidungen von beiden Kirchen als Quelle der Theologie angesehen
wurden, hatte den Zusatz jemals kanonisiert, kein Kirchenvater hat diese Lehre
jemals aufgestellt oder verteidigt. Die römische Kurie hat vielmehr dem
Drängen der spanischen und fränkischen Kirche nachgebend, diese Neuordnung,
die noch Leo der Dritte auf das entschiedenste ablehnte, eingeführt.

Die theologische Entwicklung der griechisch-orthodoxen Kirche ist dagegen
schon seit dem achten Jahrhundert abgeschlossen gewesen, der große Kirchen-


Griechisch-orthodoxe und römisch-katholische Kirche

beruhen auf Photios' Enzyklika. Photios und mit ihm die griechisch-orthodoxe
Kirche lehren noch heute, daß der Geist vom Vater ausgehe, in ihm also den
Ursprung seiner Wirksamkeit habe; die römische lehrt das Ausgehen des Geistes
vom Vater und dem Sohn, ex patre kilioquo. Und um dieses Wörtchen
Mioqus sind Ströme Blutes geflossen, haben Tausende freiwillig die Ver¬
bannung auf sich genommen I Um dieses Wörtchens willen, das die römische
Kirche in ihr Glaubensbekenntnis aufgenommen hat, ist der christliche Orient
dem Mohammedanismus und der Türkenherrschaft preisgegeben worden!




Das ist bis jetzt nahezu die allgemeine Annahme der Kirchen- und Dogmen¬
geschichte. Soll man wirklich in dieser dogmatischen Differenz die letzte Ursache
der Trennung der östlichen von der abendländischen Kirche erblicken?

Wie die Gegner Roms die Frage beleuchten, erscheint sie freilich wichtig
genug. Die Lehre der Lateiner, sagen sie, nimmt einen zweimaligen Ausgang
des Geistes aus der Trinität an, sie löse die Einheit des Gottesbegriffs auf,
in dem sie zwei Ursachen in der Trinität annimmt, Vater und Sohn; damit
sei die Einheit des Gottesbegriffs zerstört und die Grundlehre des Christentums
zum Polytheismus degradiert.

Eine Einigung der kirchlichen Anschauungen ist hier in der Tat vollkommen
ausgeschlossen. Auch Prinz Max von Sachsen hat in seiner bekannten Schrift eine
überbrückung dieser Kluft nicht vorzuschlagen gewußt. Aber in einer Beziehung
hat er zweifellos recht gehabt: es läßt sich nicht bestreiten, daß das lateinische
Dogma nur die Fortentwicklung einer schon bei den Kirchenvätern vorliegenden
dogmatischen Anschauung ist. Vater und Sohn sind stets als ein einziges
Prinzip des Geistes anerkannt worden. Sie senden auch nach der Lehre der
Väter den Geist nicht aus, insofern sie als Vater und Sohn verschieden,
sondern insofern sie durchaus als ein einziges Wesen und als eine einzige Kraft
wirksam sind. Mit Recht konnte also die römische Kirche darauf hinweisen,
daß der Zusatz kilioque keine prinzipielle Neuordnung schaffe, sondern nur
klarer zum Ausdruck bringe, was alte Kirchenlehre sei, da der Vater den Geist
nicht äusserte, insofern er Vater, des Sohnes Erzeuger sei, sondern insofern
er eine Person der unteilbaren Trinität sei, ebenso wie der Sohn. Anderseits
waren die Griechen im Recht mit ihrer Behauptung, der Zusatz stelle formal
eine dogmatische Neuerung dar; denn keine der sieben ökumenischen Synoden,
deren Entscheidungen von beiden Kirchen als Quelle der Theologie angesehen
wurden, hatte den Zusatz jemals kanonisiert, kein Kirchenvater hat diese Lehre
jemals aufgestellt oder verteidigt. Die römische Kurie hat vielmehr dem
Drängen der spanischen und fränkischen Kirche nachgebend, diese Neuordnung,
die noch Leo der Dritte auf das entschiedenste ablehnte, eingeführt.

Die theologische Entwicklung der griechisch-orthodoxen Kirche ist dagegen
schon seit dem achten Jahrhundert abgeschlossen gewesen, der große Kirchen-


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[0355] Griechisch-orthodoxe und römisch-katholische Kirche beruhen auf Photios' Enzyklika. Photios und mit ihm die griechisch-orthodoxe Kirche lehren noch heute, daß der Geist vom Vater ausgehe, in ihm also den Ursprung seiner Wirksamkeit habe; die römische lehrt das Ausgehen des Geistes vom Vater und dem Sohn, ex patre kilioquo. Und um dieses Wörtchen Mioqus sind Ströme Blutes geflossen, haben Tausende freiwillig die Ver¬ bannung auf sich genommen I Um dieses Wörtchens willen, das die römische Kirche in ihr Glaubensbekenntnis aufgenommen hat, ist der christliche Orient dem Mohammedanismus und der Türkenherrschaft preisgegeben worden! Das ist bis jetzt nahezu die allgemeine Annahme der Kirchen- und Dogmen¬ geschichte. Soll man wirklich in dieser dogmatischen Differenz die letzte Ursache der Trennung der östlichen von der abendländischen Kirche erblicken? Wie die Gegner Roms die Frage beleuchten, erscheint sie freilich wichtig genug. Die Lehre der Lateiner, sagen sie, nimmt einen zweimaligen Ausgang des Geistes aus der Trinität an, sie löse die Einheit des Gottesbegriffs auf, in dem sie zwei Ursachen in der Trinität annimmt, Vater und Sohn; damit sei die Einheit des Gottesbegriffs zerstört und die Grundlehre des Christentums zum Polytheismus degradiert. Eine Einigung der kirchlichen Anschauungen ist hier in der Tat vollkommen ausgeschlossen. Auch Prinz Max von Sachsen hat in seiner bekannten Schrift eine überbrückung dieser Kluft nicht vorzuschlagen gewußt. Aber in einer Beziehung hat er zweifellos recht gehabt: es läßt sich nicht bestreiten, daß das lateinische Dogma nur die Fortentwicklung einer schon bei den Kirchenvätern vorliegenden dogmatischen Anschauung ist. Vater und Sohn sind stets als ein einziges Prinzip des Geistes anerkannt worden. Sie senden auch nach der Lehre der Väter den Geist nicht aus, insofern sie als Vater und Sohn verschieden, sondern insofern sie durchaus als ein einziges Wesen und als eine einzige Kraft wirksam sind. Mit Recht konnte also die römische Kirche darauf hinweisen, daß der Zusatz kilioque keine prinzipielle Neuordnung schaffe, sondern nur klarer zum Ausdruck bringe, was alte Kirchenlehre sei, da der Vater den Geist nicht äusserte, insofern er Vater, des Sohnes Erzeuger sei, sondern insofern er eine Person der unteilbaren Trinität sei, ebenso wie der Sohn. Anderseits waren die Griechen im Recht mit ihrer Behauptung, der Zusatz stelle formal eine dogmatische Neuerung dar; denn keine der sieben ökumenischen Synoden, deren Entscheidungen von beiden Kirchen als Quelle der Theologie angesehen wurden, hatte den Zusatz jemals kanonisiert, kein Kirchenvater hat diese Lehre jemals aufgestellt oder verteidigt. Die römische Kurie hat vielmehr dem Drängen der spanischen und fränkischen Kirche nachgebend, diese Neuordnung, die noch Leo der Dritte auf das entschiedenste ablehnte, eingeführt. Die theologische Entwicklung der griechisch-orthodoxen Kirche ist dagegen schon seit dem achten Jahrhundert abgeschlossen gewesen, der große Kirchen-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_322400/355>, abgerufen am 15.01.2025.