Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches [Beginn Spaltensatz] Man könnte dies Schauspiel getrost dem Ring um die oft schlecht beratenen Leiter Es werden hier absichtlich keine Namen Maßgebliches und Unmaßgebliches [Beginn Spaltensatz] Man könnte dies Schauspiel getrost dem Ring um die oft schlecht beratenen Leiter Es werden hier absichtlich keine Namen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0350" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/322752"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/> <cb type="start"/> <p xml:id="ID_1698" next="#ID_1699"> Man könnte dies Schauspiel getrost dem<lb/> Gelächter Preisgeben, wenn dahinter nicht<lb/> doch ein bitterer Ernst lauerte. Wer einmal<lb/> in das literarische Berlin von heutzutage<lb/> hineingesehen hat, in das Berlin, dessen<lb/> Brennpunkt die Presse und das Theaterlcben<lb/> ist, der wird aus eigener Erfahrung wissen,<lb/> welchen gefährlichen Umfang die geschilderte<lb/> Bewegung allmählich angenommen hat. Die<lb/> in Cliquen verstreute literarische Halbwelt<lb/> stellt sich der freien Entwicklung unserer künst¬<lb/> lerischen Kultur überall hemmend und schä¬<lb/> digend in den Weg, verseucht unsere Theater<lb/> und unsere Zeitungen mit dein schleichenden<lb/> Gift ihrer ästhetischen Unfruchtbarkeit, und<lb/> trägt, nehmt alles nur in allein, die Haupt¬<lb/> schuld an den unerhörten Unterlassungssünden<lb/> unserer hauptstädtischen Bühnen. Gerade in<lb/> Berlin, das sich von jeher allem scheinbar<lb/> Neuen mit etwas zu bereitwilliger Freudig¬<lb/> keit öffnet, hat die Cliquenwirtschaft mit Leich¬<lb/> tigkeit jene heillose Machtstellung erringen<lb/> können, die sie heute unbestritten besitzt. Mit<lb/> ihren Sonderinteressen schließt sie einen festen</p> <cb/><lb/> <p xml:id="ID_1699" prev="#ID_1698"> Ring um die oft schlecht beratenen Leiter<lb/> unserer Theater; mit ihren Phrasen umwedelt<lb/> sie die Redakteure unserer Zeitungen und<lb/> schneidet den Betroffenen mit böswilliger Hart¬<lb/> näckigkeit alle Adern ab, die in die Zugluft<lb/> des Lebens und der künstlerischen Gesundheit<lb/> zurückführen. So, und nur so, konnte sich<lb/> das unerfreuliche Bild des künstlerischen Elends<lb/> ergeben, an dem besonders unser Theaterleben<lb/> seit Jahr und Tag krankt.</p> <p xml:id="ID_1700" next="#ID_1701"> Es werden hier absichtlich keine Namen<lb/> genannt. Diese Zeilen richten sich gegen ein<lb/> System, gegen eine Gesamterscheinung, nicht<lb/> gegen einzelne Personen. DaS Individuum<lb/> ist dabei vollkommen gleichgültig. Gefährlich<lb/> wird die literarische Halbwelt erst da, wo sie<lb/> als kompakte Masse in die Erscheinung tritt.<lb/> Aber diese kompakte Masse eines uns bedrän¬<lb/> genden wurzellosen, unfruchtbaren Parvenü-<lb/> tums muß denn auch als ernsthafte Gefahr<lb/> erkannt und respektiert werden. Nur von<lb/> dieser Erkenntnis aus kann der deutschen<lb/> künstlerischen Kultur eine gründliche Genesung<lb/> kommen. Mit dem gemütlichen Unterschätzen</p> <cb type="end"/><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0350]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
Man könnte dies Schauspiel getrost dem
Gelächter Preisgeben, wenn dahinter nicht
doch ein bitterer Ernst lauerte. Wer einmal
in das literarische Berlin von heutzutage
hineingesehen hat, in das Berlin, dessen
Brennpunkt die Presse und das Theaterlcben
ist, der wird aus eigener Erfahrung wissen,
welchen gefährlichen Umfang die geschilderte
Bewegung allmählich angenommen hat. Die
in Cliquen verstreute literarische Halbwelt
stellt sich der freien Entwicklung unserer künst¬
lerischen Kultur überall hemmend und schä¬
digend in den Weg, verseucht unsere Theater
und unsere Zeitungen mit dein schleichenden
Gift ihrer ästhetischen Unfruchtbarkeit, und
trägt, nehmt alles nur in allein, die Haupt¬
schuld an den unerhörten Unterlassungssünden
unserer hauptstädtischen Bühnen. Gerade in
Berlin, das sich von jeher allem scheinbar
Neuen mit etwas zu bereitwilliger Freudig¬
keit öffnet, hat die Cliquenwirtschaft mit Leich¬
tigkeit jene heillose Machtstellung erringen
können, die sie heute unbestritten besitzt. Mit
ihren Sonderinteressen schließt sie einen festen
Ring um die oft schlecht beratenen Leiter
unserer Theater; mit ihren Phrasen umwedelt
sie die Redakteure unserer Zeitungen und
schneidet den Betroffenen mit böswilliger Hart¬
näckigkeit alle Adern ab, die in die Zugluft
des Lebens und der künstlerischen Gesundheit
zurückführen. So, und nur so, konnte sich
das unerfreuliche Bild des künstlerischen Elends
ergeben, an dem besonders unser Theaterleben
seit Jahr und Tag krankt.
Es werden hier absichtlich keine Namen
genannt. Diese Zeilen richten sich gegen ein
System, gegen eine Gesamterscheinung, nicht
gegen einzelne Personen. DaS Individuum
ist dabei vollkommen gleichgültig. Gefährlich
wird die literarische Halbwelt erst da, wo sie
als kompakte Masse in die Erscheinung tritt.
Aber diese kompakte Masse eines uns bedrän¬
genden wurzellosen, unfruchtbaren Parvenü-
tums muß denn auch als ernsthafte Gefahr
erkannt und respektiert werden. Nur von
dieser Erkenntnis aus kann der deutschen
künstlerischen Kultur eine gründliche Genesung
kommen. Mit dem gemütlichen Unterschätzen
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