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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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uns denn auch jene literarische Halbwelt zu¬
geführt, von der in diesem Zusammenhange
geredet werden soll. Der Begriff deS "Lite-
raten" hat angesichts dieser immer aufdring¬
licher werdenden Erscheinung allmählich einen
stark anrüchigen Charakter bekommen. Ja,
man kann beinahe sagen, daß er sich schon
heute zu einer ernsthaften Gefahr für unser
künstlerisches Nationalbewußtsein ausgewachsen
hat. Das literarische Berlin der Gegenwart
ist von einer unübersehbaren Schar mehr
oder weniger echter "Österreicher" -- sie
hören allerdings zum Teil auf sehr klangvolle
deutsche Namen -- überflutet, die es alle für
erforderlich halten, in ihrer Weise, unermüd¬
lich und betriebsam, an germanischer Kunst
und Kultur mitzuarbeiten. Im Cafühaus
sitzen sie und Pressen ihrer grotesken geistigen
Armut so etwas wie Schmocksche Brillanten
ab. Sie schreiben in einer Sprache, die nur
sie und ihre allernächsten Freunde für deutsch
halten. Sie suchen krampfhaft nach dem,
was sie ihre "Persönliche Note" nennen und
was sie von anderen ihresgleichen unter¬
scheiden soll. Sie saugen sich an den erst¬
besten "gut eingeführten" literarischen Namen
fest, in der stillen Hoffnung, daß der Messias
sie vielleicht doch noch einmal an seinen
Rockschößen mit zur Unsterblichkeit empor¬
tragen wird. Sie unterstützen, nach Maßgabe
ihrer bescheidenen Kräfte, alles, was ungesund
ist und verschnörkelt und konstruiert und ver¬
bildet. Sie sind jede Minute bereit, dem
ersten snobistischen Unsinn, den unsere ver¬
fahrene Zeit als neueste Parole ausgibt, als
begeisterte Fahnenträger zu dienen. Sie
nehmen sich selbst und ihr kleines mensch¬
liches Ich ungeheuer wichtig. Sie machen
Unbefangene glauben, daß sie tief sind wie
Zarathustra und unerschöpflich wie der Stille
Ozean. Aber in Wirklichkeit beschränken sie
ihre Sucht nach Persönlichkeitswerten meistens
auf den bescheidenen Ehrgeiz, sich im Laufe des
Jahres nur etwa zweimal die Haare schneiden
zu lassen.

Da sie fast nie ein eigenes Gesicht haben
und in besseren Stunden Wohl auch die
komische Bedeutungslosigkeit ihrer Figürchen
herausfühlen, ziehen sie ein Austreten in
Nudeln der selbstgewählten splenclicl Isolation
vor. Sie sammeln sich in Cliquen und

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Grüppchen und treten, um besser wirken zu
können, nur noch geschlossen auf den Plan.
Sie gründen Zeitschriften, die fast gänzlich
unter Ausschluß der Öffentlichkeit erscheinen.
Nur der Kenner wird die verschiedenen
Schattierungen dieser Blätter, die alle Paar
Monate eingehen, um dann in ähnlicher
Gestalt wieder aufzuleben, auseinanderhalten
können. Genug, daß jedes eine ganz be¬
stimmte Literatenclique repräsentiert, die alle
Tage ihren Stammtisch im Caföhaus bezieht
und von hier aus ihre vergifteten Pfeile auf
wirkliche oder vermeintliche Gegner entsendet.
Da wird dann der Theater- und Künstler¬
klatsch geschäftig kolportiert. Da wird mit
einer feierlichen Umständlichkeit, als ginge es
um Haupt- und Staatsnktionen, von aus¬
geklügelten "Problemen" gehandelt. Und da
hebt vor allen Dingen ein Gezänke und Ge¬
leise und ein gegenseitiges Sich-mit-Schmutz-
bewerfen an, so lachhaft und würdelos,
daß Leute von einigem Geschmack sich
mit allen Zeichen des Entsetzens davor be¬
kreuzigen.

Denn das ist das Widerwärtigste an der
ganzen Erscheinung: die Bürger dieser lite-
rnrischen Halbwelt können ohne die Umgangs¬
formen zänkischer alter Weiber nicht leben.
Was den in England oder Frankreich reisen¬
den Deutschen so angenehm berührt: das auf
gegenseitige Achtung gegründete Kollegen¬
verhältnis zwischen Journalisten und Schrift¬
stellern -- an den Tafelrunden unserer Kaffee¬
haus-Literaten sucht man vergeblich danach.
Da ist der eine immer der geschworene Feind
des anderen, den zu bekämpfen alle Mittel
heran müssen. Ob da mit haarsträubenden
Denunziationen gearbeitet wird, ob bei diesem
sauberen Geschäft ganze Schmutzkübel aus¬
geschüttet werden -- was tut das zur Sache I
Das Entscheidende bleibt, daß man Aufsehen
erregt und daß der Borfall in den Kreisen,
die es angeht, eine Weile diskutiert wird.
Das Sprichwort von der Krähe, die der an¬
deren die Augen nicht aushackt, behält hier
nur zum Teil seine Gültigkeit. Die groteske
Beweihräucherung des Cliguegenossen, das
Aufblasen lächerlicher Nichtigkeiten zur Größe
eines Zeppelinballons, steht dicht neben dem
von jeder Scham verlassenen Zu-Tode-Hetzen
des Andersgläubigen.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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uns denn auch jene literarische Halbwelt zu¬
geführt, von der in diesem Zusammenhange
geredet werden soll. Der Begriff deS „Lite-
raten" hat angesichts dieser immer aufdring¬
licher werdenden Erscheinung allmählich einen
stark anrüchigen Charakter bekommen. Ja,
man kann beinahe sagen, daß er sich schon
heute zu einer ernsthaften Gefahr für unser
künstlerisches Nationalbewußtsein ausgewachsen
hat. Das literarische Berlin der Gegenwart
ist von einer unübersehbaren Schar mehr
oder weniger echter „Österreicher" — sie
hören allerdings zum Teil auf sehr klangvolle
deutsche Namen — überflutet, die es alle für
erforderlich halten, in ihrer Weise, unermüd¬
lich und betriebsam, an germanischer Kunst
und Kultur mitzuarbeiten. Im Cafühaus
sitzen sie und Pressen ihrer grotesken geistigen
Armut so etwas wie Schmocksche Brillanten
ab. Sie schreiben in einer Sprache, die nur
sie und ihre allernächsten Freunde für deutsch
halten. Sie suchen krampfhaft nach dem,
was sie ihre „Persönliche Note" nennen und
was sie von anderen ihresgleichen unter¬
scheiden soll. Sie saugen sich an den erst¬
besten „gut eingeführten" literarischen Namen
fest, in der stillen Hoffnung, daß der Messias
sie vielleicht doch noch einmal an seinen
Rockschößen mit zur Unsterblichkeit empor¬
tragen wird. Sie unterstützen, nach Maßgabe
ihrer bescheidenen Kräfte, alles, was ungesund
ist und verschnörkelt und konstruiert und ver¬
bildet. Sie sind jede Minute bereit, dem
ersten snobistischen Unsinn, den unsere ver¬
fahrene Zeit als neueste Parole ausgibt, als
begeisterte Fahnenträger zu dienen. Sie
nehmen sich selbst und ihr kleines mensch¬
liches Ich ungeheuer wichtig. Sie machen
Unbefangene glauben, daß sie tief sind wie
Zarathustra und unerschöpflich wie der Stille
Ozean. Aber in Wirklichkeit beschränken sie
ihre Sucht nach Persönlichkeitswerten meistens
auf den bescheidenen Ehrgeiz, sich im Laufe des
Jahres nur etwa zweimal die Haare schneiden
zu lassen.

Da sie fast nie ein eigenes Gesicht haben
und in besseren Stunden Wohl auch die
komische Bedeutungslosigkeit ihrer Figürchen
herausfühlen, ziehen sie ein Austreten in
Nudeln der selbstgewählten splenclicl Isolation
vor. Sie sammeln sich in Cliquen und

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Grüppchen und treten, um besser wirken zu
können, nur noch geschlossen auf den Plan.
Sie gründen Zeitschriften, die fast gänzlich
unter Ausschluß der Öffentlichkeit erscheinen.
Nur der Kenner wird die verschiedenen
Schattierungen dieser Blätter, die alle Paar
Monate eingehen, um dann in ähnlicher
Gestalt wieder aufzuleben, auseinanderhalten
können. Genug, daß jedes eine ganz be¬
stimmte Literatenclique repräsentiert, die alle
Tage ihren Stammtisch im Caföhaus bezieht
und von hier aus ihre vergifteten Pfeile auf
wirkliche oder vermeintliche Gegner entsendet.
Da wird dann der Theater- und Künstler¬
klatsch geschäftig kolportiert. Da wird mit
einer feierlichen Umständlichkeit, als ginge es
um Haupt- und Staatsnktionen, von aus¬
geklügelten „Problemen" gehandelt. Und da
hebt vor allen Dingen ein Gezänke und Ge¬
leise und ein gegenseitiges Sich-mit-Schmutz-
bewerfen an, so lachhaft und würdelos,
daß Leute von einigem Geschmack sich
mit allen Zeichen des Entsetzens davor be¬
kreuzigen.

Denn das ist das Widerwärtigste an der
ganzen Erscheinung: die Bürger dieser lite-
rnrischen Halbwelt können ohne die Umgangs¬
formen zänkischer alter Weiber nicht leben.
Was den in England oder Frankreich reisen¬
den Deutschen so angenehm berührt: das auf
gegenseitige Achtung gegründete Kollegen¬
verhältnis zwischen Journalisten und Schrift¬
stellern — an den Tafelrunden unserer Kaffee¬
haus-Literaten sucht man vergeblich danach.
Da ist der eine immer der geschworene Feind
des anderen, den zu bekämpfen alle Mittel
heran müssen. Ob da mit haarsträubenden
Denunziationen gearbeitet wird, ob bei diesem
sauberen Geschäft ganze Schmutzkübel aus¬
geschüttet werden — was tut das zur Sache I
Das Entscheidende bleibt, daß man Aufsehen
erregt und daß der Borfall in den Kreisen,
die es angeht, eine Weile diskutiert wird.
Das Sprichwort von der Krähe, die der an¬
deren die Augen nicht aushackt, behält hier
nur zum Teil seine Gültigkeit. Die groteske
Beweihräucherung des Cliguegenossen, das
Aufblasen lächerlicher Nichtigkeiten zur Größe
eines Zeppelinballons, steht dicht neben dem
von jeder Scham verlassenen Zu-Tode-Hetzen
des Andersgläubigen.

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[0349] Maßgebliches und Unmaßgebliches uns denn auch jene literarische Halbwelt zu¬ geführt, von der in diesem Zusammenhange geredet werden soll. Der Begriff deS „Lite- raten" hat angesichts dieser immer aufdring¬ licher werdenden Erscheinung allmählich einen stark anrüchigen Charakter bekommen. Ja, man kann beinahe sagen, daß er sich schon heute zu einer ernsthaften Gefahr für unser künstlerisches Nationalbewußtsein ausgewachsen hat. Das literarische Berlin der Gegenwart ist von einer unübersehbaren Schar mehr oder weniger echter „Österreicher" — sie hören allerdings zum Teil auf sehr klangvolle deutsche Namen — überflutet, die es alle für erforderlich halten, in ihrer Weise, unermüd¬ lich und betriebsam, an germanischer Kunst und Kultur mitzuarbeiten. Im Cafühaus sitzen sie und Pressen ihrer grotesken geistigen Armut so etwas wie Schmocksche Brillanten ab. Sie schreiben in einer Sprache, die nur sie und ihre allernächsten Freunde für deutsch halten. Sie suchen krampfhaft nach dem, was sie ihre „Persönliche Note" nennen und was sie von anderen ihresgleichen unter¬ scheiden soll. Sie saugen sich an den erst¬ besten „gut eingeführten" literarischen Namen fest, in der stillen Hoffnung, daß der Messias sie vielleicht doch noch einmal an seinen Rockschößen mit zur Unsterblichkeit empor¬ tragen wird. Sie unterstützen, nach Maßgabe ihrer bescheidenen Kräfte, alles, was ungesund ist und verschnörkelt und konstruiert und ver¬ bildet. Sie sind jede Minute bereit, dem ersten snobistischen Unsinn, den unsere ver¬ fahrene Zeit als neueste Parole ausgibt, als begeisterte Fahnenträger zu dienen. Sie nehmen sich selbst und ihr kleines mensch¬ liches Ich ungeheuer wichtig. Sie machen Unbefangene glauben, daß sie tief sind wie Zarathustra und unerschöpflich wie der Stille Ozean. Aber in Wirklichkeit beschränken sie ihre Sucht nach Persönlichkeitswerten meistens auf den bescheidenen Ehrgeiz, sich im Laufe des Jahres nur etwa zweimal die Haare schneiden zu lassen. Da sie fast nie ein eigenes Gesicht haben und in besseren Stunden Wohl auch die komische Bedeutungslosigkeit ihrer Figürchen herausfühlen, ziehen sie ein Austreten in Nudeln der selbstgewählten splenclicl Isolation vor. Sie sammeln sich in Cliquen und Grüppchen und treten, um besser wirken zu können, nur noch geschlossen auf den Plan. Sie gründen Zeitschriften, die fast gänzlich unter Ausschluß der Öffentlichkeit erscheinen. Nur der Kenner wird die verschiedenen Schattierungen dieser Blätter, die alle Paar Monate eingehen, um dann in ähnlicher Gestalt wieder aufzuleben, auseinanderhalten können. Genug, daß jedes eine ganz be¬ stimmte Literatenclique repräsentiert, die alle Tage ihren Stammtisch im Caföhaus bezieht und von hier aus ihre vergifteten Pfeile auf wirkliche oder vermeintliche Gegner entsendet. Da wird dann der Theater- und Künstler¬ klatsch geschäftig kolportiert. Da wird mit einer feierlichen Umständlichkeit, als ginge es um Haupt- und Staatsnktionen, von aus¬ geklügelten „Problemen" gehandelt. Und da hebt vor allen Dingen ein Gezänke und Ge¬ leise und ein gegenseitiges Sich-mit-Schmutz- bewerfen an, so lachhaft und würdelos, daß Leute von einigem Geschmack sich mit allen Zeichen des Entsetzens davor be¬ kreuzigen. Denn das ist das Widerwärtigste an der ganzen Erscheinung: die Bürger dieser lite- rnrischen Halbwelt können ohne die Umgangs¬ formen zänkischer alter Weiber nicht leben. Was den in England oder Frankreich reisen¬ den Deutschen so angenehm berührt: das auf gegenseitige Achtung gegründete Kollegen¬ verhältnis zwischen Journalisten und Schrift¬ stellern — an den Tafelrunden unserer Kaffee¬ haus-Literaten sucht man vergeblich danach. Da ist der eine immer der geschworene Feind des anderen, den zu bekämpfen alle Mittel heran müssen. Ob da mit haarsträubenden Denunziationen gearbeitet wird, ob bei diesem sauberen Geschäft ganze Schmutzkübel aus¬ geschüttet werden — was tut das zur Sache I Das Entscheidende bleibt, daß man Aufsehen erregt und daß der Borfall in den Kreisen, die es angeht, eine Weile diskutiert wird. Das Sprichwort von der Krähe, die der an¬ deren die Augen nicht aushackt, behält hier nur zum Teil seine Gültigkeit. Die groteske Beweihräucherung des Cliguegenossen, das Aufblasen lächerlicher Nichtigkeiten zur Größe eines Zeppelinballons, steht dicht neben dem von jeder Scham verlassenen Zu-Tode-Hetzen des Andersgläubigen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_322400/349>, abgerufen am 15.01.2025.