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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr.

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Impressionismus
Dr. Roland Schacht von

er Ausdruck "Impressionismus" als Bezeichnung einer bestimmten
Kunstrichtung ist etwa vierzig Jahre alt und entstammt einem franzö¬
sischen Witzblatt, das von einer Gemäldeunterschrift "Impression"
z ausgehend, den Maler und seine Genossen spöttisch als "les im-
A pressionisies" bezeichnete. Aber der Pfeil traf nicht, der Ausdruck
gefiel den Angegriffenen und wurde ein Sammelname zunächst für eine ganz bestimmte
Gruppe von Malern, dann für eine Art System, bis man, wie es häufig mit
ästhetischen Begriffen zu gehen pflegt, so viel Verwandtes unter diese Bezeichnung
brachte und dem Verwandten wiederum soviel Ähnliches angliederte, daß zuletzt,
angesichts der nun doch höchst mannigfaltig gewordenen Fülle der Erscheinungen,
kein Mensch mehr recht wußte, was er impressionistisch nennen sollte, ja daß
sogar einzelne Gelehrte, wie R. Hamann, den Ausdruck auf schlechtweg alle
Äußerungen einer bestimmten Kulturepoche übertragen haben, wodurch er selbst¬
verständlich an Klarheit einbüßen mußte. Daher kommt es denn auch, daß es
jetzt bald keine Kunst mehr gibt, die nicht schon als impressionistisch bezeichnet
worden wäre. Hier wieder Klarheit zu schaffen, ist das Bestreben des Buches
von Werner Weisbach (Impressionismus, Ein Problem der Malerei in der Antike
und Neuzeit. Berlin, Grotesche Verlagsbuchhandlung, 1910*), 1911).

Wenn jemand eine Bewegung, die zu weit gegangen ist, zurückstauen und
eindämmen will, gerät er leicht in Gefahr, doktrinär zu werden. Weisbach ist
dieser Gefahr glücklich entgangen. Als künstlerisch empfindender Mensch ist er sich
dessen durchaus bewußt geblieben, daß ein künstlerisches Problem nicht mit ein
paar Definitionen klar umrissen werden und restlos erklärt werden kann und daß
zur Lösung eines künstlerischen Problems viele Wege möglich sind, von denen alle,
wenn sie nur ans Ziel der Kunst überhaupt führen, gleich gut und gleich berechtigt
sind. Aus diesem Grunde geht er nicht von einer bestimmten, notgedrungen extremen
Form des Impressionismus aus, und erläutert nicht durch die Formel: Impressio¬
nismus ist..., sondern wie es in künstlerischen Dingen einzig richtig ist, durch die Fest¬
stellung : Impressionismus entsteht, wenn der Künstler unverändernde (also nicht stilisie¬
rende, idealisierende) Wiedergabe des momentanen subjektiven Natureindrucks und nur
diese erstrebt. Und wiederum ist es vortrefflich, daß er sich nicht in geschiehts- oder kultur¬
philosophische Spekulationen verliert, sondern vom Künstler ausgeht. In der Tat dürfte
das Bemühen einiger Kritiker, aus dem Impressionismus einen Stil im Sinne von
Gotik oder Barock zu machen und diesen Stil dann ans einer impressionistisch gearteten
Kultur entspringen zu lassen, als verfehlt bezeichnet werden müssen. Denn es läßt sich



") Der erste Band ist in Heft 22 des Jahrgangs tStl kurz angezeigt worden.


Impressionismus
Dr. Roland Schacht von

er Ausdruck „Impressionismus" als Bezeichnung einer bestimmten
Kunstrichtung ist etwa vierzig Jahre alt und entstammt einem franzö¬
sischen Witzblatt, das von einer Gemäldeunterschrift „Impression"
z ausgehend, den Maler und seine Genossen spöttisch als „les im-
A pressionisies" bezeichnete. Aber der Pfeil traf nicht, der Ausdruck
gefiel den Angegriffenen und wurde ein Sammelname zunächst für eine ganz bestimmte
Gruppe von Malern, dann für eine Art System, bis man, wie es häufig mit
ästhetischen Begriffen zu gehen pflegt, so viel Verwandtes unter diese Bezeichnung
brachte und dem Verwandten wiederum soviel Ähnliches angliederte, daß zuletzt,
angesichts der nun doch höchst mannigfaltig gewordenen Fülle der Erscheinungen,
kein Mensch mehr recht wußte, was er impressionistisch nennen sollte, ja daß
sogar einzelne Gelehrte, wie R. Hamann, den Ausdruck auf schlechtweg alle
Äußerungen einer bestimmten Kulturepoche übertragen haben, wodurch er selbst¬
verständlich an Klarheit einbüßen mußte. Daher kommt es denn auch, daß es
jetzt bald keine Kunst mehr gibt, die nicht schon als impressionistisch bezeichnet
worden wäre. Hier wieder Klarheit zu schaffen, ist das Bestreben des Buches
von Werner Weisbach (Impressionismus, Ein Problem der Malerei in der Antike
und Neuzeit. Berlin, Grotesche Verlagsbuchhandlung, 1910*), 1911).

Wenn jemand eine Bewegung, die zu weit gegangen ist, zurückstauen und
eindämmen will, gerät er leicht in Gefahr, doktrinär zu werden. Weisbach ist
dieser Gefahr glücklich entgangen. Als künstlerisch empfindender Mensch ist er sich
dessen durchaus bewußt geblieben, daß ein künstlerisches Problem nicht mit ein
paar Definitionen klar umrissen werden und restlos erklärt werden kann und daß
zur Lösung eines künstlerischen Problems viele Wege möglich sind, von denen alle,
wenn sie nur ans Ziel der Kunst überhaupt führen, gleich gut und gleich berechtigt
sind. Aus diesem Grunde geht er nicht von einer bestimmten, notgedrungen extremen
Form des Impressionismus aus, und erläutert nicht durch die Formel: Impressio¬
nismus ist..., sondern wie es in künstlerischen Dingen einzig richtig ist, durch die Fest¬
stellung : Impressionismus entsteht, wenn der Künstler unverändernde (also nicht stilisie¬
rende, idealisierende) Wiedergabe des momentanen subjektiven Natureindrucks und nur
diese erstrebt. Und wiederum ist es vortrefflich, daß er sich nicht in geschiehts- oder kultur¬
philosophische Spekulationen verliert, sondern vom Künstler ausgeht. In der Tat dürfte
das Bemühen einiger Kritiker, aus dem Impressionismus einen Stil im Sinne von
Gotik oder Barock zu machen und diesen Stil dann ans einer impressionistisch gearteten
Kultur entspringen zu lassen, als verfehlt bezeichnet werden müssen. Denn es läßt sich



") Der erste Band ist in Heft 22 des Jahrgangs tStl kurz angezeigt worden.
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[0339] [Abbildung] Impressionismus Dr. Roland Schacht von er Ausdruck „Impressionismus" als Bezeichnung einer bestimmten Kunstrichtung ist etwa vierzig Jahre alt und entstammt einem franzö¬ sischen Witzblatt, das von einer Gemäldeunterschrift „Impression" z ausgehend, den Maler und seine Genossen spöttisch als „les im- A pressionisies" bezeichnete. Aber der Pfeil traf nicht, der Ausdruck gefiel den Angegriffenen und wurde ein Sammelname zunächst für eine ganz bestimmte Gruppe von Malern, dann für eine Art System, bis man, wie es häufig mit ästhetischen Begriffen zu gehen pflegt, so viel Verwandtes unter diese Bezeichnung brachte und dem Verwandten wiederum soviel Ähnliches angliederte, daß zuletzt, angesichts der nun doch höchst mannigfaltig gewordenen Fülle der Erscheinungen, kein Mensch mehr recht wußte, was er impressionistisch nennen sollte, ja daß sogar einzelne Gelehrte, wie R. Hamann, den Ausdruck auf schlechtweg alle Äußerungen einer bestimmten Kulturepoche übertragen haben, wodurch er selbst¬ verständlich an Klarheit einbüßen mußte. Daher kommt es denn auch, daß es jetzt bald keine Kunst mehr gibt, die nicht schon als impressionistisch bezeichnet worden wäre. Hier wieder Klarheit zu schaffen, ist das Bestreben des Buches von Werner Weisbach (Impressionismus, Ein Problem der Malerei in der Antike und Neuzeit. Berlin, Grotesche Verlagsbuchhandlung, 1910*), 1911). Wenn jemand eine Bewegung, die zu weit gegangen ist, zurückstauen und eindämmen will, gerät er leicht in Gefahr, doktrinär zu werden. Weisbach ist dieser Gefahr glücklich entgangen. Als künstlerisch empfindender Mensch ist er sich dessen durchaus bewußt geblieben, daß ein künstlerisches Problem nicht mit ein paar Definitionen klar umrissen werden und restlos erklärt werden kann und daß zur Lösung eines künstlerischen Problems viele Wege möglich sind, von denen alle, wenn sie nur ans Ziel der Kunst überhaupt führen, gleich gut und gleich berechtigt sind. Aus diesem Grunde geht er nicht von einer bestimmten, notgedrungen extremen Form des Impressionismus aus, und erläutert nicht durch die Formel: Impressio¬ nismus ist..., sondern wie es in künstlerischen Dingen einzig richtig ist, durch die Fest¬ stellung : Impressionismus entsteht, wenn der Künstler unverändernde (also nicht stilisie¬ rende, idealisierende) Wiedergabe des momentanen subjektiven Natureindrucks und nur diese erstrebt. Und wiederum ist es vortrefflich, daß er sich nicht in geschiehts- oder kultur¬ philosophische Spekulationen verliert, sondern vom Künstler ausgeht. In der Tat dürfte das Bemühen einiger Kritiker, aus dem Impressionismus einen Stil im Sinne von Gotik oder Barock zu machen und diesen Stil dann ans einer impressionistisch gearteten Kultur entspringen zu lassen, als verfehlt bezeichnet werden müssen. Denn es läßt sich ") Der erste Band ist in Heft 22 des Jahrgangs tStl kurz angezeigt worden.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_322400/339>, abgerufen am 15.01.2025.